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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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gesagt wurde; und habe jetzt doch ein bequemeres Quartier,
und vorher gar keine Aussicht dazu. Ich habe jetzt keinen
besondern Verdruß: ich erwarte ihn nur; denn warum sollte
er nicht kommen! Ich habe nur die Unannehmlichkeit,
den letzten Sonntag -- wo es möglich, aber nicht wahrschein-
lich war -- noch keinen Brief von Varnhagen erhalten zu
haben: er ist wahrscheinlich den Dienstag zuvor, um eine Vier-
telstunde später als 7, nach Berlin gekommen, und konnte kei-
nen Brief mehr anbringen; indeß bin ich nun bis morgen ohne
Nachricht: und muß mein Schicksal wie in einer Lotterietrom-
mel ansehen: in welcher es zwar immer liegt, aber nicht uns
immer zwingt daran zu denken: aber auch das wirkt nicht
heftig, ja nur ganz leise auf mich. Sonst konnte ich von der
Heimath und all ihren Erinnrungen, gewohnten Gängen, be-
quemen Dasein, Freunden, und Bekannten losgewurzelt wer-
den: es wär' eine Einbildung eine Ortsveränderung jetzt noch
zu fürchten, da das Einzige, welches mir jeden versüßen könnte,
nämlich zu bleiben, unmöglich geworden ist; sonst verliere ich
an kleinern Mittelorten nur immer, was ich modifizirt wie-
derfinden muß. Nur scheue und fürchte ich noch sehr, schlech-
tere Gegend, kälteres Klima, und neues Einrichten: doch dem
entgeh' ich gewiß nicht: wie allem, was man fürchtet! Noch
Eins fürchte ich sehr; Ministerschaft ohne erkleckliche Gehalts-
erhöhung, ohne welche ich Repräsentation mit Sorgen hätte;
d. h. Spannung und Lüge: scheinen müßte ohne Zweck, der
mir einer wäre; Mühe, keine Ruhe u. s. w. Doch das kommt
alles: wie alles kam. Ich bin in einer Gemüthsverfassung,
in welcher ich es genau weiß, und es mir dennoch nichts macht.

geſagt wurde; und habe jetzt doch ein bequemeres Quartier,
und vorher gar keine Ausſicht dazu. Ich habe jetzt keinen
beſondern Verdruß: ich erwarte ihn nur; denn warum ſollte
er nicht kommen! Ich habe nur die Unannehmlichkeit,
den letzten Sonntag — wo es möglich, aber nicht wahrſchein-
lich war — noch keinen Brief von Varnhagen erhalten zu
haben: er iſt wahrſcheinlich den Dienstag zuvor, um eine Vier-
telſtunde ſpäter als 7, nach Berlin gekommen, und konnte kei-
nen Brief mehr anbringen; indeß bin ich nun bis morgen ohne
Nachricht: und muß mein Schickſal wie in einer Lotterietrom-
mel anſehen: in welcher es zwar immer liegt, aber nicht uns
immer zwingt daran zu denken: aber auch das wirkt nicht
heftig, ja nur ganz leiſe auf mich. Sonſt konnte ich von der
Heimath und all ihren Erinnrungen, gewohnten Gängen, be-
quemen Daſein, Freunden, und Bekannten losgewurzelt wer-
den: es wär’ eine Einbildung eine Ortsveränderung jetzt noch
zu fürchten, da das Einzige, welches mir jeden verſüßen könnte,
nämlich zu bleiben, unmöglich geworden iſt; ſonſt verliere ich
an kleinern Mittelorten nur immer, was ich modifizirt wie-
derfinden muß. Nur ſcheue und fürchte ich noch ſehr, ſchlech-
tere Gegend, kälteres Klima, und neues Einrichten: doch dem
entgeh’ ich gewiß nicht: wie allem, was man fürchtet! Noch
Eins fürchte ich ſehr; Miniſterſchaft ohne erkleckliche Gehalts-
erhöhung, ohne welche ich Repräſentation mit Sorgen hätte;
d. h. Spannung und Lüge: ſcheinen müßte ohne Zweck, der
mir einer wäre; Mühe, keine Ruhe u. ſ. w. Doch das kommt
alles: wie alles kam. Ich bin in einer Gemüthsverfaſſung,
in welcher ich es genau weiß, und es mir dennoch nichts macht.

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[485/0493] geſagt wurde; und habe jetzt doch ein bequemeres Quartier, und vorher gar keine Ausſicht dazu. Ich habe jetzt keinen beſondern Verdruß: ich erwarte ihn nur; denn warum ſollte er nicht kommen! Ich habe nur die Unannehmlichkeit, den letzten Sonntag — wo es möglich, aber nicht wahrſchein- lich war — noch keinen Brief von Varnhagen erhalten zu haben: er iſt wahrſcheinlich den Dienstag zuvor, um eine Vier- telſtunde ſpäter als 7, nach Berlin gekommen, und konnte kei- nen Brief mehr anbringen; indeß bin ich nun bis morgen ohne Nachricht: und muß mein Schickſal wie in einer Lotterietrom- mel anſehen: in welcher es zwar immer liegt, aber nicht uns immer zwingt daran zu denken: aber auch das wirkt nicht heftig, ja nur ganz leiſe auf mich. Sonſt konnte ich von der Heimath und all ihren Erinnrungen, gewohnten Gängen, be- quemen Daſein, Freunden, und Bekannten losgewurzelt wer- den: es wär’ eine Einbildung eine Ortsveränderung jetzt noch zu fürchten, da das Einzige, welches mir jeden verſüßen könnte, nämlich zu bleiben, unmöglich geworden iſt; ſonſt verliere ich an kleinern Mittelorten nur immer, was ich modifizirt wie- derfinden muß. Nur ſcheue und fürchte ich noch ſehr, ſchlech- tere Gegend, kälteres Klima, und neues Einrichten: doch dem entgeh’ ich gewiß nicht: wie allem, was man fürchtet! Noch Eins fürchte ich ſehr; Miniſterſchaft ohne erkleckliche Gehalts- erhöhung, ohne welche ich Repräſentation mit Sorgen hätte; d. h. Spannung und Lüge: ſcheinen müßte ohne Zweck, der mir einer wäre; Mühe, keine Ruhe u. ſ. w. Doch das kommt alles: wie alles kam. Ich bin in einer Gemüthsverfaſſung, in welcher ich es genau weiß, und es mir dennoch nichts macht.

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/493>, abgerufen am 22.11.2024.