kein promptes Gefühl haben, hartherziger sind, als ich, die eitel sind: und aus dieser Eitelkeit nach Lob und Beifall stre- ben und handeln, die ihnen gezollt werden. Ganz gut. Nur bleibe man dabei: und schwelge nicht an zwei Taflen. Al- mosen kann man von meiner haben. Die Beschreibung, die ich hier von meinem Effekt mache, wiederholt sich nun mein ganzes Leben durch, durch alle Nüancen, die bei einem jeden Verhältniß zu Menschen aus diesen hervorgerufen werden, aber immer nach derselben Regel. Die Regel hier, bin ich: die sich längst einsieht, aber gar nicht ändern kann. Es mag Andern auch so gehen; aber noch niemals fand ich jemand, der mich ganz übersah, ganz meine Konstitution und meine Seele verstand, jedes Einzelne, die widersinnigsten Äußerun- gen aus dem Ganzen; sonst müßte es sich ändern, und ich würde eine andere Regel. Du nimmst mich mit Liebe auf im Ganzen, und verstehst mich, und gleich ist es anders. -- Was Herr von Zerboni mit dem treffenden Wort meinen kann, das ich soll gesagt haben, und das einen ganzen Menschen unwi- dersprechlich bezeichnen soll, weiß ich wirklich nicht: besonders aber weil es ihm Herr von St. soll erzählt haben. Dem er- innre ich mich nicht etwas gesagt zu haben; sonst sage ich dergleichen grade sehr viel; "in dem Fach bin ich ein Igno- rant", und Gentz wollte darüber vor achtzehn Jahren schon verzweiflen; wenn ich ihm mit Einem Wort Menschen vor- hielt, die er alle Tage in den großen Häusern sah, und nicht kannte. --
-- Sei du aber nur ganz ruhig; und boße dich nicht! Denke auch nicht, anderswo sei's besser; noch ärger. Die
kein promptes Gefühl haben, hartherziger ſind, als ich, die eitel ſind: und aus dieſer Eitelkeit nach Lob und Beifall ſtre- ben und handeln, die ihnen gezollt werden. Ganz gut. Nur bleibe man dabei: und ſchwelge nicht an zwei Taflen. Al- moſen kann man von meiner haben. Die Beſchreibung, die ich hier von meinem Effekt mache, wiederholt ſich nun mein ganzes Leben durch, durch alle Nüancen, die bei einem jeden Verhältniß zu Menſchen aus dieſen hervorgerufen werden, aber immer nach derſelben Regel. Die Regel hier, bin ich: die ſich längſt einſieht, aber gar nicht ändern kann. Es mag Andern auch ſo gehen; aber noch niemals fand ich jemand, der mich ganz überſah, ganz meine Konſtitution und meine Seele verſtand, jedes Einzelne, die widerſinnigſten Äußerun- gen aus dem Ganzen; ſonſt müßte es ſich ändern, und ich würde eine andere Regel. Du nimmſt mich mit Liebe auf im Ganzen, und verſtehſt mich, und gleich iſt es anders. — Was Herr von Zerboni mit dem treffenden Wort meinen kann, das ich ſoll geſagt haben, und das einen ganzen Menſchen unwi- derſprechlich bezeichnen ſoll, weiß ich wirklich nicht: beſonders aber weil es ihm Herr von St. ſoll erzählt haben. Dem er- innre ich mich nicht etwas geſagt zu haben; ſonſt ſage ich dergleichen grade ſehr viel; „in dem Fach bin ich ein Igno- rant“, und Gentz wollte darüber vor achtzehn Jahren ſchon verzweiflen; wenn ich ihm mit Einem Wort Menſchen vor- hielt, die er alle Tage in den großen Häuſern ſah, und nicht kannte. —
— Sei du aber nur ganz ruhig; und boße dich nicht! Denke auch nicht, anderswo ſei’s beſſer; noch ärger. Die
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kein promptes Gefühl haben, hartherziger ſind, als ich, die
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ben und handeln, die ihnen gezollt werden. Ganz gut. Nur
bleibe man dabei: und ſchwelge nicht an zwei Taflen. Al-
moſen kann man von meiner haben. Die Beſchreibung, die
ich hier von meinem Effekt mache, wiederholt ſich nun mein
ganzes Leben durch, durch alle Nüancen, die bei einem jeden
Verhältniß zu Menſchen aus dieſen hervorgerufen werden,
aber immer nach derſelben Regel. Die Regel hier, bin ich:
die ſich längſt einſieht, aber gar nicht ändern kann. Es mag
Andern auch ſo gehen; aber noch niemals fand ich jemand,
der mich ganz überſah, ganz meine Konſtitution und meine
Seele verſtand, jedes Einzelne, die widerſinnigſten Äußerun-
gen aus dem Ganzen; ſonſt müßte es ſich ändern, und ich
würde eine andere Regel. Du nimmſt mich mit Liebe auf im
Ganzen, und verſtehſt mich, und gleich iſt es anders. — Was
Herr von Zerboni mit dem treffenden Wort meinen kann, das
ich ſoll geſagt haben, und das einen ganzen Menſchen unwi-
derſprechlich bezeichnen ſoll, weiß ich wirklich nicht: beſonders
aber weil es ihm Herr von St. ſoll erzählt haben. Dem er-
innre ich mich nicht etwas geſagt zu haben; ſonſt ſage ich
dergleichen grade ſehr viel; „in dem Fach bin ich ein Igno-
rant“, und Gentz wollte darüber vor achtzehn Jahren ſchon
verzweiflen; wenn ich ihm mit Einem Wort Menſchen vor-
hielt, die er alle Tage in den großen Häuſern ſah, und nicht
kannte. —
— Sei du aber nur ganz ruhig; und boße dich nicht!
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/516>, abgerufen am 22.11.2024.
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