Respekt und Grundsätze zu handlen. So nehmen Leute, die keine haben, ihre Religionsmeinungen. -- Nun Sie, liebes Ernestinchen, und da weiß ich noch auswendig, fallen Schelte für Moritz vor. -- Moritz eignet sich also das Vorlesen zu? auch schon falsch! wenn ein Brief ausdrücklich an Sie ist; oder auch nur ein Blatt. Was Tinte und Feder betrifft, wollen immer die Männer machen, als gehörte das ausschließ- lich ihnen: weil ihre Geschäfte in diesen Materialien vor- gehen: und nur ihr Schreiben und Lesen ist ein Geschäft, drück- ken sie in Handlungen und Benehmen aus. Was geschehen soll und muß, ist eins: was einem wichtig ist. Sie haben einen schönen Sinn! dem ich allerdings zutraue, daß ich Sie in's Gesicht hinein loben kann. Lob' ich mich doch wohl frei und frank selber laut; es thut mir doch nichts. "Sie bilden sich gewiß nichts darauf ein." Weil Sie sich überhaupt nichts einbilden: Wahrhaft, redlich und unschuldig sind: und da- rum lieb' ich Sie. Der Mensch braucht nichts als das zu sein, und er mag, ohne dies, alle guten Eigenschaften haben, so kann er sie doch nicht gebrauchen. Gebrauchen, ein Mensch zu sein. Ich erlasse alle übrigen: diese nie: und bin völlig überzeugt, ohne diese, mit allen Gaben, mit jeder: ist man kein Autor, kein Dichter, kein Künstler, kein Philosoph, kein Freund, keine Mutter, keine Schwester, kein angenehmer Ge- sellschafter, kein wirklicher Geschäftsmann, kein Regent. Mit diesen, immer liebewerth. Nun ist's drei Viertel. Adieu, liebes Ernestinchen, unterdeß, bis Morgen. -- --
Reſpekt und Grundſätze zu handlen. So nehmen Leute, die keine haben, ihre Religionsmeinungen. — Nun Sie, liebes Erneſtinchen, und da weiß ich noch auswendig, fallen Schelte für Moritz vor. — Moritz eignet ſich alſo das Vorleſen zu? auch ſchon falſch! wenn ein Brief ausdrücklich an Sie iſt; oder auch nur ein Blatt. Was Tinte und Feder betrifft, wollen immer die Männer machen, als gehörte das ausſchließ- lich ihnen: weil ihre Geſchäfte in dieſen Materialien vor- gehen: und nur ihr Schreiben und Leſen iſt ein Geſchäft, drück- ken ſie in Handlungen und Benehmen aus. Was geſchehen ſoll und muß, iſt eins: was einem wichtig iſt. Sie haben einen ſchönen Sinn! dem ich allerdings zutraue, daß ich Sie in’s Geſicht hinein loben kann. Lob’ ich mich doch wohl frei und frank ſelber laut; es thut mir doch nichts. „Sie bilden ſich gewiß nichts darauf ein.“ Weil Sie ſich überhaupt nichts einbilden: Wahrhaft, redlich und unſchuldig ſind: und da- rum lieb’ ich Sie. Der Menſch braucht nichts als das zu ſein, und er mag, ohne dies, alle guten Eigenſchaften haben, ſo kann er ſie doch nicht gebrauchen. Gebrauchen, ein Menſch zu ſein. Ich erlaſſe alle übrigen: dieſe nie: und bin völlig überzeugt, ohne dieſe, mit allen Gaben, mit jeder: iſt man kein Autor, kein Dichter, kein Künſtler, kein Philoſoph, kein Freund, keine Mutter, keine Schweſter, kein angenehmer Ge- ſellſchafter, kein wirklicher Geſchäftsmann, kein Regent. Mit dieſen, immer liebewerth. Nun iſt’s drei Viertel. Adieu, liebes Erneſtinchen, unterdeß, bis Morgen. — —
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Reſpekt und Grundſätze zu handlen. So nehmen Leute, die
keine haben, ihre Religionsmeinungen. — Nun Sie, liebes
Erneſtinchen, und da weiß ich noch auswendig, fallen Schelte
für Moritz vor. — Moritz eignet ſich alſo das Vorleſen zu?
auch ſchon falſch! wenn ein Brief ausdrücklich an Sie iſt;
oder auch nur ein Blatt. Was Tinte und Feder betrifft,
wollen immer die Männer machen, als gehörte das ausſchließ-
lich ihnen: weil ihre Geſchäfte in dieſen Materialien vor-
gehen: und nur ihr Schreiben und Leſen iſt ein Geſchäft, drück-
ken ſie in Handlungen und Benehmen aus. Was geſchehen
ſoll und muß, iſt eins: was einem wichtig iſt. Sie haben
einen ſchönen Sinn! dem ich allerdings zutraue, daß ich Sie
in’s Geſicht hinein loben kann. Lob’ ich mich doch wohl frei
und frank ſelber laut; es thut mir doch nichts. „Sie bilden
ſich gewiß nichts darauf ein.“ Weil Sie ſich überhaupt nichts
einbilden: Wahrhaft, redlich und unſchuldig ſind: und da-
rum lieb’ ich Sie. Der Menſch braucht nichts als das zu
ſein, und er mag, ohne dies, alle guten Eigenſchaften haben,
ſo kann er ſie doch nicht gebrauchen. Gebrauchen, ein Menſch
zu ſein. Ich erlaſſe alle übrigen: dieſe nie: und bin völlig
überzeugt, ohne dieſe, mit allen Gaben, mit jeder: iſt man
kein Autor, kein Dichter, kein Künſtler, kein Philoſoph, kein
Freund, keine Mutter, keine Schweſter, kein angenehmer Ge-
ſellſchafter, kein wirklicher Geſchäftsmann, kein Regent. Mit
dieſen, immer liebewerth. Nun iſt’s drei Viertel. Adieu,
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/525>, abgerufen am 22.11.2024.
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