Kühles, sehr helles, zugeschlossenes Nordostwind-Wetter.
Was soll ich Ihnen auf Ihre reichen vollen Briefe ant- worten! Ich bin endlich zugeschlossen wie das Wetter selbst; kalt, vertrocknet, und fühle mein eigenes Wetter. Gerne schickte ich Ihnen ein Labsal durch diesen Brief, aber da ich gar nichts machen kann auf dieser ganzen Welt, nur ein Quellensitzer bin, der da sitzet und wartet ob sie rinnen; selbst nur eine Quelle bin, so quillt mir wiederum nur der Wille dazu, und sonst nichts. Sein Sie zufrieden damit, wie ich es sein muß, d. h. still, stumm. Ich sehe ganz Ihre Lage ein, als ob es meine wäre, ich fühle sie auf allen ihren Punkten; und auch dies bringt mich zum Schweigen. -- Die Karaktere stellen sich; wie Fichten, Eichen, Linden, Tannen aus ihren Samen her- vortreten. Nie hab' ich es vermocht, wenn zwischen mir und Andern eine Wahl war, diesen zu treten und mich zu stellen; und die paarmal, die ich es wohl im Leben that, haben mir nur bewiesen, mich nur gelehrt, es nicht mehr zu thun: weil ich mich noch viel unseliger dann befand. Meine Unzufrie- denheit ist mir noch die erträglichste, mit mir werde ich noch am stillsten und daher am leichtesten fertig. Ich glaube es kommt auch daher, weil man sein eigen Gesichte nicht sieht; die unmittelbare Mittheilung des Gesammtzustandes der Seele. Nicht zum Ertragen dem, der es zu deuten versteht, zeigt es Unglücklichsein an. So wird man denn am Ende bank- rutt. Insolvabel, unfähig sich zu zahlen; aber man klagt
Was ſoll ich Ihnen auf Ihre reichen vollen Briefe ant- worten! Ich bin endlich zugeſchloſſen wie das Wetter ſelbſt; kalt, vertrocknet, und fühle mein eigenes Wetter. Gerne ſchickte ich Ihnen ein Labſal durch dieſen Brief, aber da ich gar nichts machen kann auf dieſer ganzen Welt, nur ein Quellenſitzer bin, der da ſitzet und wartet ob ſie rinnen; ſelbſt nur eine Quelle bin, ſo quillt mir wiederum nur der Wille dazu, und ſonſt nichts. Sein Sie zufrieden damit, wie ich es ſein muß, d. h. ſtill, ſtumm. Ich ſehe ganz Ihre Lage ein, als ob es meine wäre, ich fühle ſie auf allen ihren Punkten; und auch dies bringt mich zum Schweigen. — Die Karaktere ſtellen ſich; wie Fichten, Eichen, Linden, Tannen aus ihren Samen her- vortreten. Nie hab’ ich es vermocht, wenn zwiſchen mir und Andern eine Wahl war, dieſen zu treten und mich zu ſtellen; und die paarmal, die ich es wohl im Leben that, haben mir nur bewieſen, mich nur gelehrt, es nicht mehr zu thun: weil ich mich noch viel unſeliger dann befand. Meine Unzufrie- denheit iſt mir noch die erträglichſte, mit mir werde ich noch am ſtillſten und daher am leichteſten fertig. Ich glaube es kommt auch daher, weil man ſein eigen Geſichte nicht ſieht; die unmittelbare Mittheilung des Geſammtzuſtandes der Seele. Nicht zum Ertragen dem, der es zu deuten verſteht, zeigt es Unglücklichſein an. So wird man denn am Ende bank- rutt. Inſolvabel, unfähig ſich zu zahlen; aber man klagt
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[538/0546]
An Friedrich Ludwig Lindner, in Straßburg.
Karlsruhe, Montag den 24. Mai 1818.
Kühles, ſehr helles, zugeſchloſſenes Nordoſtwind-Wetter.
Was ſoll ich Ihnen auf Ihre reichen vollen Briefe ant-
worten! Ich bin endlich zugeſchloſſen wie das Wetter ſelbſt;
kalt, vertrocknet, und fühle mein eigenes Wetter. Gerne ſchickte
ich Ihnen ein Labſal durch dieſen Brief, aber da ich gar nichts
machen kann auf dieſer ganzen Welt, nur ein Quellenſitzer
bin, der da ſitzet und wartet ob ſie rinnen; ſelbſt nur eine
Quelle bin, ſo quillt mir wiederum nur der Wille dazu, und
ſonſt nichts. Sein Sie zufrieden damit, wie ich es ſein muß,
d. h. ſtill, ſtumm. Ich ſehe ganz Ihre Lage ein, als ob es
meine wäre, ich fühle ſie auf allen ihren Punkten; und auch
dies bringt mich zum Schweigen. — Die Karaktere ſtellen ſich;
wie Fichten, Eichen, Linden, Tannen aus ihren Samen her-
vortreten. Nie hab’ ich es vermocht, wenn zwiſchen mir und
Andern eine Wahl war, dieſen zu treten und mich zu ſtellen;
und die paarmal, die ich es wohl im Leben that, haben mir
nur bewieſen, mich nur gelehrt, es nicht mehr zu thun: weil
ich mich noch viel unſeliger dann befand. Meine Unzufrie-
denheit iſt mir noch die erträglichſte, mit mir werde ich noch
am ſtillſten und daher am leichteſten fertig. Ich glaube es
kommt auch daher, weil man ſein eigen Geſichte nicht ſieht;
die unmittelbare Mittheilung des Geſammtzuſtandes der Seele.
Nicht zum Ertragen dem, der es zu deuten verſteht, zeigt es
Unglücklichſein an. So wird man denn am Ende bank-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 538. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/546>, abgerufen am 22.11.2024.
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