Daß keiner glaubt, daß er schlecht sei: ist der größte Be- weis, daß es kein Mensch ist. --
An Auguste Brede, in Stuttgart.
Noch immer Baden, den 21. September 1818.
Montag Vormittag, schönes Sommerwetter.
Willkommen, liebste Auguste! Wohl bekomme Ihnen das Bad! ich denk' es auch: der Sprudel ist das beste Fegefeuer, die herrlichste Eingeweid-Lethe! Zu Goethen gratulire ich auch! Es ist für ewig; den größten Zeugen seiner Zeit ge- sehen zu haben! (Rivarol -- aus der Revolutionszeit, aus- gewandert -- sagt in einem seiner Werke, der Mensch sei der Zeuge für Gottes ganze Schöpfung. Seit der langen Zeit hab' ich das viel sublimer, und besonders herzlicher ausge- drückt in Saint-Martin gelesen.) Von den andern Erschei- nungen schweig' ich -- bis wir uns sprechen, und ich Sie ge- hört habe, dann sollen Sie auch wissen, was ich jetzt denke, ehe ich Sie gehört habe. Hier ist's noch sehr schön von Seiten der Natur: aber sehr leer. -- Wir können den Tag unserer Abreise von hier noch nicht bestimmen; weil der Großherzog nun auf der Favorite ist, von wo ihm verordnet ist nach Montpellier zu reisen, und diese Abreise sich doch verzögert, und V. nicht vorher nach Karlsruhe möchte. Tettenborn reist immer hin und her: er ist jetzt wieder weg. -- Ich war die letzte Zeit hier viel im Theater, der armen Akteurs wegen, die doch oft gut spielen, und in Anzug und allem das Unmögliche lei- sten! Gestern unser Stück: Johann von Finnland! -- aber gestern weint' ich, anstatt zu lachen; es war mit aber Unpäß-
lich-
Daß keiner glaubt, daß er ſchlecht ſei: iſt der größte Be- weis, daß es kein Menſch iſt. —
An Auguſte Brede, in Stuttgart.
Noch immer Baden, den 21. September 1818.
Montag Vormittag, ſchönes Sommerwetter.
Willkommen, liebſte Auguſte! Wohl bekomme Ihnen das Bad! ich denk’ es auch: der Sprudel iſt das beſte Fegefeuer, die herrlichſte Eingeweid-Lethe! Zu Goethen gratulire ich auch! Es iſt für ewig; den größten Zeugen ſeiner Zeit ge- ſehen zu haben! (Rivarol — aus der Revolutionszeit, aus- gewandert — ſagt in einem ſeiner Werke, der Menſch ſei der Zeuge für Gottes ganze Schöpfung. Seit der langen Zeit hab’ ich das viel ſublimer, und beſonders herzlicher ausge- drückt in Saint-Martin geleſen.) Von den andern Erſchei- nungen ſchweig’ ich — bis wir uns ſprechen, und ich Sie ge- hört habe, dann ſollen Sie auch wiſſen, was ich jetzt denke, ehe ich Sie gehört habe. Hier iſt’s noch ſehr ſchön von Seiten der Natur: aber ſehr leer. — Wir können den Tag unſerer Abreiſe von hier noch nicht beſtimmen; weil der Großherzog nun auf der Favorite iſt, von wo ihm verordnet iſt nach Montpellier zu reiſen, und dieſe Abreiſe ſich doch verzögert, und V. nicht vorher nach Karlsruhe möchte. Tettenborn reiſt immer hin und her: er iſt jetzt wieder weg. — Ich war die letzte Zeit hier viel im Theater, der armen Akteurs wegen, die doch oft gut ſpielen, und in Anzug und allem das Unmögliche lei- ſten! Geſtern unſer Stück: Johann von Finnland! — aber geſtern weint’ ich, anſtatt zu lachen; es war mit aber Unpäß-
lich-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0552"n="544"/><p>Daß keiner glaubt, daß er ſchlecht ſei: iſt der größte Be-<lb/>
weis, daß es kein Menſch iſt. —</p></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An Auguſte Brede, in Stuttgart.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Noch immer Baden, den 21. September 1818.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#et">Montag Vormittag, ſchönes Sommerwetter.</hi></p><lb/><p>Willkommen, liebſte Auguſte! Wohl bekomme Ihnen das<lb/>
Bad! ich denk’ es auch: der Sprudel iſt das beſte Fegefeuer,<lb/>
die herrlichſte Eingeweid-Lethe! Zu Goethen gratulire ich<lb/>
auch! Es iſt für ewig; den größten Zeugen ſeiner Zeit ge-<lb/>ſehen zu haben! (Rivarol — aus der Revolutionszeit, aus-<lb/>
gewandert —ſagt in einem ſeiner Werke, der Menſch ſei der<lb/>
Zeuge für Gottes ganze Schöpfung. Seit der langen Zeit<lb/>
hab’ ich das viel ſublimer, und beſonders herzlicher ausge-<lb/>
drückt in Saint-Martin geleſen.) Von den andern Erſchei-<lb/>
nungen ſchweig’ ich — bis wir uns ſprechen, und ich Sie ge-<lb/>
hört habe, dann ſollen Sie auch wiſſen, was ich jetzt denke, ehe<lb/>
ich Sie gehört habe. Hier iſt’s noch ſehr ſchön von Seiten der<lb/>
Natur: aber ſehr leer. — Wir können den Tag unſerer Abreiſe<lb/>
von hier noch nicht beſtimmen; weil der Großherzog nun auf<lb/>
der Favorite iſt, von wo ihm verordnet iſt nach Montpellier<lb/>
zu reiſen, und dieſe Abreiſe ſich doch verzögert, und V. nicht<lb/>
vorher nach Karlsruhe möchte. Tettenborn reiſt immer hin<lb/>
und her: er iſt jetzt wieder weg. — Ich war die letzte Zeit<lb/>
hier viel im Theater, der armen Akteurs wegen, die doch oft<lb/>
gut ſpielen, und in Anzug und allem <hirendition="#g">das Unmögliche</hi> lei-<lb/>ſten! Geſtern unſer Stück: Johann von Finnland! — aber<lb/>
geſtern weint’ ich, anſtatt zu lachen; es war mit aber Unpäß-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">lich-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[544/0552]
Daß keiner glaubt, daß er ſchlecht ſei: iſt der größte Be-
weis, daß es kein Menſch iſt. —
An Auguſte Brede, in Stuttgart.
Noch immer Baden, den 21. September 1818.
Montag Vormittag, ſchönes Sommerwetter.
Willkommen, liebſte Auguſte! Wohl bekomme Ihnen das
Bad! ich denk’ es auch: der Sprudel iſt das beſte Fegefeuer,
die herrlichſte Eingeweid-Lethe! Zu Goethen gratulire ich
auch! Es iſt für ewig; den größten Zeugen ſeiner Zeit ge-
ſehen zu haben! (Rivarol — aus der Revolutionszeit, aus-
gewandert — ſagt in einem ſeiner Werke, der Menſch ſei der
Zeuge für Gottes ganze Schöpfung. Seit der langen Zeit
hab’ ich das viel ſublimer, und beſonders herzlicher ausge-
drückt in Saint-Martin geleſen.) Von den andern Erſchei-
nungen ſchweig’ ich — bis wir uns ſprechen, und ich Sie ge-
hört habe, dann ſollen Sie auch wiſſen, was ich jetzt denke, ehe
ich Sie gehört habe. Hier iſt’s noch ſehr ſchön von Seiten der
Natur: aber ſehr leer. — Wir können den Tag unſerer Abreiſe
von hier noch nicht beſtimmen; weil der Großherzog nun auf
der Favorite iſt, von wo ihm verordnet iſt nach Montpellier
zu reiſen, und dieſe Abreiſe ſich doch verzögert, und V. nicht
vorher nach Karlsruhe möchte. Tettenborn reiſt immer hin
und her: er iſt jetzt wieder weg. — Ich war die letzte Zeit
hier viel im Theater, der armen Akteurs wegen, die doch oft
gut ſpielen, und in Anzug und allem das Unmögliche lei-
ſten! Geſtern unſer Stück: Johann von Finnland! — aber
geſtern weint’ ich, anſtatt zu lachen; es war mit aber Unpäß-
lich-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 544. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/552>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.