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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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über eine bestimmte Unthat im brennenden Gerechtigkeitszorn
bin. Betrachten wir das Ganze, so kann uns nie entgehen,
daß dies nur langsam fortrücken kann: sich entwicklen muß
durch Geistiges, wie Pflanzen an der Sonne, -- und daß wir
Armen uns immer nur in einer bestimmten Entwickelungspe-
riode befinden können, die ungefähr unserer Organisation gleich
wohl und wehe thut; und sollte es uns merklich besser gehen,
wir, wie wir jetzt sind, plötzlich in eine künftige Zeitperiode
versetzt werden müßten: änderte sich aber diese, in welcher wir
sind, plötzlich, auf menschliche Weise, so hätten wir sehr zu
leiden. Es giebt aber einen Zustand, in dem man dies doch
wünscht: den nenn' ich aber Ennui. Es sind die Mißstände
auf der Erde nicht auszugleichen. Nicht einmal eingesehen
werden sie. Sogar den Sündenfall hat man erfunden, --
größter Beweis, daß, will man einen Grundunsinn ausglei-
chen, nur der Witz der Stupidität noch thätig bleiben kann,
für jede andere ist der Unsinn ein Ende, -- um nicht ergeben
und fleißig an Kleinigkeiten zu arbeiten; an dem, was grade
jedesmal vor uns ist: dies ist unsere irdische Natur; dies zu
erkennen, unseres Geistes Aufgabe; dazu aufgelegt sein, unsere
hiesige Gesundheit und ihr Merkmal. Und haben weise Men-
schen gesagt, wir sollen wie Kinder sein, so versteh' ich dies
darunter. Kinder sind immer ehrliche Leute; und ehrliche Leute
wie Kinder; ihr ganzer Geist in einer Frage an alle Gegen-
stände begriffen.

Lesen Sie doch Steffens Karikaturen des Heiligsten! Ich
habe mich durch dies Buch durchärgern müssen. Er und seine
Gegenstände sind immer interessant: aber solcher Geist bleibt

über eine beſtimmte Unthat im brennenden Gerechtigkeitszorn
bin. Betrachten wir das Ganze, ſo kann uns nie entgehen,
daß dies nur langſam fortrücken kann: ſich entwicklen muß
durch Geiſtiges, wie Pflanzen an der Sonne, — und daß wir
Armen uns immer nur in einer beſtimmten Entwickelungspe-
riode befinden können, die ungefähr unſerer Organiſation gleich
wohl und wehe thut; und ſollte es uns merklich beſſer gehen,
wir, wie wir jetzt ſind, plötzlich in eine künftige Zeitperiode
verſetzt werden müßten: änderte ſich aber dieſe, in welcher wir
ſind, plötzlich, auf menſchliche Weiſe, ſo hätten wir ſehr zu
leiden. Es giebt aber einen Zuſtand, in dem man dies doch
wünſcht: den nenn’ ich aber Ennui. Es ſind die Mißſtände
auf der Erde nicht auszugleichen. Nicht einmal eingeſehen
werden ſie. Sogar den Sündenfall hat man erfunden, —
größter Beweis, daß, will man einen Grundunſinn ausglei-
chen, nur der Witz der Stupidität noch thätig bleiben kann,
für jede andere iſt der Unſinn ein Ende, — um nicht ergeben
und fleißig an Kleinigkeiten zu arbeiten; an dem, was grade
jedesmal vor uns iſt: dies iſt unſere irdiſche Natur; dies zu
erkennen, unſeres Geiſtes Aufgabe; dazu aufgelegt ſein, unſere
hieſige Geſundheit und ihr Merkmal. Und haben weiſe Men-
ſchen geſagt, wir ſollen wie Kinder ſein, ſo verſteh’ ich dies
darunter. Kinder ſind immer ehrliche Leute; und ehrliche Leute
wie Kinder; ihr ganzer Geiſt in einer Frage an alle Gegen-
ſtände begriffen.

Leſen Sie doch Steffens Karikaturen des Heiligſten! Ich
habe mich durch dies Buch durchärgern müſſen. Er und ſeine
Gegenſtände ſind immer intereſſant: aber ſolcher Geiſt bleibt

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[559/0567] über eine beſtimmte Unthat im brennenden Gerechtigkeitszorn bin. Betrachten wir das Ganze, ſo kann uns nie entgehen, daß dies nur langſam fortrücken kann: ſich entwicklen muß durch Geiſtiges, wie Pflanzen an der Sonne, — und daß wir Armen uns immer nur in einer beſtimmten Entwickelungspe- riode befinden können, die ungefähr unſerer Organiſation gleich wohl und wehe thut; und ſollte es uns merklich beſſer gehen, wir, wie wir jetzt ſind, plötzlich in eine künftige Zeitperiode verſetzt werden müßten: änderte ſich aber dieſe, in welcher wir ſind, plötzlich, auf menſchliche Weiſe, ſo hätten wir ſehr zu leiden. Es giebt aber einen Zuſtand, in dem man dies doch wünſcht: den nenn’ ich aber Ennui. Es ſind die Mißſtände auf der Erde nicht auszugleichen. Nicht einmal eingeſehen werden ſie. Sogar den Sündenfall hat man erfunden, — größter Beweis, daß, will man einen Grundunſinn ausglei- chen, nur der Witz der Stupidität noch thätig bleiben kann, für jede andere iſt der Unſinn ein Ende, — um nicht ergeben und fleißig an Kleinigkeiten zu arbeiten; an dem, was grade jedesmal vor uns iſt: dies iſt unſere irdiſche Natur; dies zu erkennen, unſeres Geiſtes Aufgabe; dazu aufgelegt ſein, unſere hieſige Geſundheit und ihr Merkmal. Und haben weiſe Men- ſchen geſagt, wir ſollen wie Kinder ſein, ſo verſteh’ ich dies darunter. Kinder ſind immer ehrliche Leute; und ehrliche Leute wie Kinder; ihr ganzer Geiſt in einer Frage an alle Gegen- ſtände begriffen. Leſen Sie doch Steffens Karikaturen des Heiligſten! Ich habe mich durch dies Buch durchärgern müſſen. Er und ſeine Gegenſtände ſind immer intereſſant: aber ſolcher Geiſt bleibt

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 559. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/567>, abgerufen am 22.11.2024.