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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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sens nicht ändern; wir sind nur die fühlende Einsicht dersel-
ben: und wird ihr widersprochen, und wir sehen ein, daß auch
das richtig in einem andern Sinne ist, und wir uns unter-
ordnen sollen: so ist, und bleibt uns weh; mit, und aus
Vernunft. Was kann man also thun, als seine Schmerzen
fühlen, und sie sich machen helfen! Dabei lieb' ich meine
Natur, und ihre Ansprüche; und tödte doch, bleibe in Einem
Tödten! und wenn ich Freunden gegenüber bin, und dies
nur mit Tinte und Feder, und das wogende Leben uns
nicht trägt
, in dessen tausendfältigen Wellen sich doch un-
endliche Lebensbilder abspieglen müssen, die uns zerstreuen
müssen: so fällt mir nur das Resultat ein, der eigentliche Jam-
mer des Facits; und den trag' ich Scheu immer vorzutragen.
Das die Bestandtheile meines Schweigens! Auch Varnhagen
war an fünf Wochen krank: drei zu Bette; und ich seine
Wärterin: welches, da er in einem kleinen Zimmer mit eiser-
nem Ofen zu liegen kam, und ich durch kalte Räume zu ihm
mußte, und es doch nie lange bei ihm aushalten konnte, also
immer hin und her lief, -- und ich unpaß -- mir sehr scha-
dete. Mein Rheumatism im Kreuz will keine Art Anstrengung
mehr erlauben: ich kann keine halbe Stunde ohne Schmerzen
mehr gehen; durch eine neue Erkältung von diesem Sommer
aus Komplaisance! -- Mein Arzt ist nicht schlecht, aber er
übersieht mich nicht: folglich auch meine Übel nicht. Koreff
weit weg! Karlsbald wäre mir gut, meine ich. Das ist aber
so weit: und mit einer Jungfer allein hin, ist auch übel; und
die Zeit der Kur hart: und ich auch dort ohne ärztliche Di-
rektion. Kurz, alles schwer Kommen Sie denn noch mit

ſens nicht ändern; wir ſind nur die fühlende Einſicht derſel-
ben: und wird ihr widerſprochen, und wir ſehen ein, daß auch
das richtig in einem andern Sinne iſt, und wir uns unter-
ordnen ſollen: ſo iſt, und bleibt uns weh; mit, und aus
Vernunft. Was kann man alſo thun, als ſeine Schmerzen
fühlen, und ſie ſich machen helfen! Dabei lieb’ ich meine
Natur, und ihre Anſprüche; und tödte doch, bleibe in Einem
Tödten! und wenn ich Freunden gegenüber bin, und dies
nur mit Tinte und Feder, und das wogende Leben uns
nicht trägt
, in deſſen tauſendfältigen Wellen ſich doch un-
endliche Lebensbilder abſpieglen müſſen, die uns zerſtreuen
müſſen: ſo fällt mir nur das Reſultat ein, der eigentliche Jam-
mer des Facits; und den trag’ ich Scheu immer vorzutragen.
Das die Beſtandtheile meines Schweigens! Auch Varnhagen
war an fünf Wochen krank: drei zu Bette; und ich ſeine
Wärterin: welches, da er in einem kleinen Zimmer mit eiſer-
nem Ofen zu liegen kam, und ich durch kalte Räume zu ihm
mußte, und es doch nie lange bei ihm aushalten konnte, alſo
immer hin und her lief, — und ich unpaß — mir ſehr ſcha-
dete. Mein Rheumatism im Kreuz will keine Art Anſtrengung
mehr erlauben: ich kann keine halbe Stunde ohne Schmerzen
mehr gehen; durch eine neue Erkältung von dieſem Sommer
aus Komplaiſance! — Mein Arzt iſt nicht ſchlecht, aber er
überſieht mich nicht: folglich auch meine Übel nicht. Koreff
weit weg! Karlsbald wäre mir gut, meine ich. Das iſt aber
ſo weit: und mit einer Jungfer allein hin, iſt auch übel; und
die Zeit der Kur hart: und ich auch dort ohne ärztliche Di-
rektion. Kurz, alles ſchwer Kommen Sie denn noch mit

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[568/0576] ſens nicht ändern; wir ſind nur die fühlende Einſicht derſel- ben: und wird ihr widerſprochen, und wir ſehen ein, daß auch das richtig in einem andern Sinne iſt, und wir uns unter- ordnen ſollen: ſo iſt, und bleibt uns weh; mit, und aus Vernunft. Was kann man alſo thun, als ſeine Schmerzen fühlen, und ſie ſich machen helfen! Dabei lieb’ ich meine Natur, und ihre Anſprüche; und tödte doch, bleibe in Einem Tödten! und wenn ich Freunden gegenüber bin, und dies nur mit Tinte und Feder, und das wogende Leben uns nicht trägt, in deſſen tauſendfältigen Wellen ſich doch un- endliche Lebensbilder abſpieglen müſſen, die uns zerſtreuen müſſen: ſo fällt mir nur das Reſultat ein, der eigentliche Jam- mer des Facits; und den trag’ ich Scheu immer vorzutragen. Das die Beſtandtheile meines Schweigens! Auch Varnhagen war an fünf Wochen krank: drei zu Bette; und ich ſeine Wärterin: welches, da er in einem kleinen Zimmer mit eiſer- nem Ofen zu liegen kam, und ich durch kalte Räume zu ihm mußte, und es doch nie lange bei ihm aushalten konnte, alſo immer hin und her lief, — und ich unpaß — mir ſehr ſcha- dete. Mein Rheumatism im Kreuz will keine Art Anſtrengung mehr erlauben: ich kann keine halbe Stunde ohne Schmerzen mehr gehen; durch eine neue Erkältung von dieſem Sommer aus Komplaiſance! — Mein Arzt iſt nicht ſchlecht, aber er überſieht mich nicht: folglich auch meine Übel nicht. Koreff weit weg! Karlsbald wäre mir gut, meine ich. Das iſt aber ſo weit: und mit einer Jungfer allein hin, iſt auch übel; und die Zeit der Kur hart: und ich auch dort ohne ärztliche Di- rektion. Kurz, alles ſchwer Kommen Sie denn noch mit

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 568. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/576>, abgerufen am 22.11.2024.