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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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Sitze auf den Bänken in den Logen waren sonst bequeme
Stühle, die Entree frei, Königliche Gardedükorps und die Li-
vreen empfingen einen; alles war festlich, und respektuos! und
große Virtuosen an der Reihe; die niemand achtete. Aber
auch niemand sabberte; keiner hämmerte an seiner Bildung,
und sah alle Viertelstunde im Spiegel, wie weit sie gediehen
sei; und bloße Leute schrieben nicht Kritiken, aller Art: und
Gemeine bedienten sich auch nur gemeiner Worte, und wür-
selten nicht mit den besten.

Ist man selbst unter seinen Landsleuten alt geworden,
so ist man eingedrückt wo man es sein soll; mußte man sich
aber in der Fremde abtragen, und hat man dabei von je die
Anlage, von seinem Punkt, eignen Standpunkt, mehr zu se-
hen, als den selbst, so paßt man nicht besonders in die neue
Klemme. Ist die Länderei -- contree -- nun schön, findet
man einen angemessenen Wirkungskreis, gehört man von Ge-
burt zu den Ersten des Landes, ist man hübsch, eitel; oder
wahnvoll, man könne wirken, ändern, erlangen, so mag das
angehen: ich, kann nur amüsiren, amüsirt sein, vergnügt, aber
nicht glücklich sein. Bleiben ist mein liebstes Reisen; ich weiß
nicht einmal, ob ich hier bleibe: welches dennoch mein größ-
ter Schreck sein würde; bin nur prekair eingerichtet, wie in
Karlsruhe; und ärger: das Ärgste ist, daß meine Gedanken
keinen Stützpunkt haben; und daß ich in Verzweiflung bin,
den Landespunkt, den ich so liebte, für den ich Gott alle
Tage Reden hielt, verlassen zu haben. Und nun genug!
Ohne den unendlichen Rest zu berühren!! Gemeinheit. Ge-
meinheit bei Menschen, die innen und außen hoch stehen; in-

Sitze auf den Bänken in den Logen waren ſonſt bequeme
Stühle, die Entrée frei, Königliche Gardedükorps und die Li-
vreen empfingen einen; alles war feſtlich, und reſpektuos! und
große Virtuoſen an der Reihe; die niemand achtete. Aber
auch niemand ſabberte; keiner hämmerte an ſeiner Bildung,
und ſah alle Viertelſtunde im Spiegel, wie weit ſie gediehen
ſei; und bloße Leute ſchrieben nicht Kritiken, aller Art: und
Gemeine bedienten ſich auch nur gemeiner Worte, und wür-
ſelten nicht mit den beſten.

Iſt man ſelbſt unter ſeinen Landsleuten alt geworden,
ſo iſt man eingedrückt wo man es ſein ſoll; mußte man ſich
aber in der Fremde abtragen, und hat man dabei von je die
Anlage, von ſeinem Punkt, eignen Standpunkt, mehr zu ſe-
hen, als den ſelbſt, ſo paßt man nicht beſonders in die neue
Klemme. Iſt die Länderei — contrée — nun ſchön, findet
man einen angemeſſenen Wirkungskreis, gehört man von Ge-
burt zu den Erſten des Landes, iſt man hübſch, eitel; oder
wahnvoll, man könne wirken, ändern, erlangen, ſo mag das
angehen: ich, kann nur amüſiren, amüſirt ſein, vergnügt, aber
nicht glücklich ſein. Bleiben iſt mein liebſtes Reiſen; ich weiß
nicht einmal, ob ich hier bleibe: welches dennoch mein größ-
ter Schreck ſein würde; bin nur prekair eingerichtet, wie in
Karlsruhe; und ärger: das Ärgſte iſt, daß meine Gedanken
keinen Stützpunkt haben; und daß ich in Verzweiflung bin,
den Landespunkt, den ich ſo liebte, für den ich Gott alle
Tage Reden hielt, verlaſſen zu haben. Und nun genug!
Ohne den unendlichen Reſt zu berühren!! Gemeinheit. Ge-
meinheit bei Menſchen, die innen und außen hoch ſtehen; in-

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[604/0612] Sitze auf den Bänken in den Logen waren ſonſt bequeme Stühle, die Entrée frei, Königliche Gardedükorps und die Li- vreen empfingen einen; alles war feſtlich, und reſpektuos! und große Virtuoſen an der Reihe; die niemand achtete. Aber auch niemand ſabberte; keiner hämmerte an ſeiner Bildung, und ſah alle Viertelſtunde im Spiegel, wie weit ſie gediehen ſei; und bloße Leute ſchrieben nicht Kritiken, aller Art: und Gemeine bedienten ſich auch nur gemeiner Worte, und wür- ſelten nicht mit den beſten. Iſt man ſelbſt unter ſeinen Landsleuten alt geworden, ſo iſt man eingedrückt wo man es ſein ſoll; mußte man ſich aber in der Fremde abtragen, und hat man dabei von je die Anlage, von ſeinem Punkt, eignen Standpunkt, mehr zu ſe- hen, als den ſelbſt, ſo paßt man nicht beſonders in die neue Klemme. Iſt die Länderei — contrée — nun ſchön, findet man einen angemeſſenen Wirkungskreis, gehört man von Ge- burt zu den Erſten des Landes, iſt man hübſch, eitel; oder wahnvoll, man könne wirken, ändern, erlangen, ſo mag das angehen: ich, kann nur amüſiren, amüſirt ſein, vergnügt, aber nicht glücklich ſein. Bleiben iſt mein liebſtes Reiſen; ich weiß nicht einmal, ob ich hier bleibe: welches dennoch mein größ- ter Schreck ſein würde; bin nur prekair eingerichtet, wie in Karlsruhe; und ärger: das Ärgſte iſt, daß meine Gedanken keinen Stützpunkt haben; und daß ich in Verzweiflung bin, den Landespunkt, den ich ſo liebte, für den ich Gott alle Tage Reden hielt, verlaſſen zu haben. Und nun genug! Ohne den unendlichen Reſt zu berühren!! Gemeinheit. Ge- meinheit bei Menſchen, die innen und außen hoch ſtehen; in-

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 604. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/612>, abgerufen am 23.11.2024.