werden! (Brutus sagt zum Cassius bei Shakespeare: "Sehn wir uns wieder, nun so lächeln wir," und darauf: "Wo nicht, ist wahrlich wohlgethan dies Scheiden.") Wenn das Feld meiner Seele zu bösen Ahndungen umgeackert wäre, so könn- ten mich die Sprüche dieser Römer sorgen machen und trau- rig machen; wie sie unendlich, ganz unergründlich schön sind, erhaben, edel, und freundlich traurig! Aber ich bin zu sehr beschäftigt; habe zu viel zu thun, wovon Gutes entsteht, oder Schlechtes abgewehrt wird, um nach dem Nachhall und Anklang, die dieser Spruch in jenen Gängen meiner Seele aufruft, lange hin zu hören: und von neuem bewundre ich nur Shakespeare davon wieder; der den Macbeth dem Arzt, der ihm den Tod der Lady ankündigt, als schon alles verlo- ren ist, und er sich zum letztenmal harnischt, antworten läßt: "Sie hätte ein andermal sterben sollen!" --
Ich will mich bemühen: auf Ihren Brief zu antworten. Wenn ich sagte, Angst und Sorge beschleichen Ihr Herz: so meint' ich auch nur Angst, daß Sie für Gemeines zu sorgen haben, und mit ihm handhaben müssen; und daß, eben weil Sie dies -- auch aus großer Neuheit -- nicht können, die Sorge darum größer anwachse, als ihre Natur es mit sich bringe. Ich ging so weit, zu glauben, daß Ihnen Berlin durch den Aufenthalt des unglücklichen Mädchens, dessen Sie sich für Ihren Freund jetzt annehmen müssen, etwas verhaßt würde, und nicht mehr als ein Lustort und eine Freistatt erscheinen würde, wo man müssige Zeit zur Erholung zuzubringen liebt. Für's Erste nur, versteht sich. Ihr Brief ist einer der schönsten, die ich von Ihnen habe: Ihr darstellendes mahlerisches Talent
werden! (Brutus ſagt zum Caſſius bei Shakeſpeare: „Sehn wir uns wieder, nun ſo lächeln wir,“ und darauf: „Wo nicht, iſt wahrlich wohlgethan dies Scheiden.“) Wenn das Feld meiner Seele zu böſen Ahndungen umgeackert wäre, ſo könn- ten mich die Sprüche dieſer Römer ſorgen machen und trau- rig machen; wie ſie unendlich, ganz unergründlich ſchön ſind, erhaben, edel, und freundlich traurig! Aber ich bin zu ſehr beſchäftigt; habe zu viel zu thun, wovon Gutes entſteht, oder Schlechtes abgewehrt wird, um nach dem Nachhall und Anklang, die dieſer Spruch in jenen Gängen meiner Seele aufruft, lange hin zu hören: und von neuem bewundre ich nur Shakeſpeare davon wieder; der den Macbeth dem Arzt, der ihm den Tod der Lady ankündigt, als ſchon alles verlo- ren iſt, und er ſich zum letztenmal harniſcht, antworten läßt: „Sie hätte ein andermal ſterben ſollen!“ —
Ich will mich bemühen: auf Ihren Brief zu antworten. Wenn ich ſagte, Angſt und Sorge beſchleichen Ihr Herz: ſo meint’ ich auch nur Angſt, daß Sie für Gemeines zu ſorgen haben, und mit ihm handhaben müſſen; und daß, eben weil Sie dies — auch aus großer Neuheit — nicht können, die Sorge darum größer anwachſe, als ihre Natur es mit ſich bringe. Ich ging ſo weit, zu glauben, daß Ihnen Berlin durch den Aufenthalt des unglücklichen Mädchens, deſſen Sie ſich für Ihren Freund jetzt annehmen müſſen, etwas verhaßt würde, und nicht mehr als ein Luſtort und eine Freiſtatt erſcheinen würde, wo man müſſige Zeit zur Erholung zuzubringen liebt. Für’s Erſte nur, verſteht ſich. Ihr Brief iſt einer der ſchönſten, die ich von Ihnen habe: Ihr darſtellendes mahleriſches Talent
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werden! (Brutus ſagt zum Caſſius bei Shakeſpeare: „Sehn
wir uns wieder, nun ſo lächeln wir,“ und darauf: „Wo nicht,
iſt wahrlich wohlgethan dies Scheiden.“) Wenn das Feld
meiner Seele zu böſen Ahndungen umgeackert wäre, ſo könn-
ten mich die Sprüche dieſer Römer ſorgen machen und trau-
rig machen; wie ſie unendlich, ganz unergründlich ſchön
ſind, erhaben, edel, und freundlich traurig! Aber ich bin zu
ſehr beſchäftigt; habe zu viel zu thun, wovon Gutes entſteht,
oder Schlechtes abgewehrt wird, um nach dem Nachhall und
Anklang, die dieſer Spruch in jenen Gängen meiner Seele
aufruft, lange hin zu hören: und von neuem bewundre ich
nur Shakeſpeare davon wieder; der den Macbeth dem Arzt,
der ihm den Tod der Lady ankündigt, als ſchon alles verlo-
ren iſt, und er ſich zum letztenmal harniſcht, antworten läßt:
„Sie hätte ein andermal ſterben ſollen!“ —
Ich will mich bemühen: auf Ihren Brief zu antworten.
Wenn ich ſagte, Angſt und Sorge beſchleichen Ihr Herz: ſo
meint’ ich auch nur Angſt, daß Sie für Gemeines zu ſorgen
haben, und mit ihm handhaben müſſen; und daß, eben weil
Sie dies — auch aus großer Neuheit — nicht können, die
Sorge darum größer anwachſe, als ihre Natur es mit ſich
bringe. Ich ging ſo weit, zu glauben, daß Ihnen Berlin
durch den Aufenthalt des unglücklichen Mädchens, deſſen Sie ſich
für Ihren Freund jetzt annehmen müſſen, etwas verhaßt würde,
und nicht mehr als ein Luſtort und eine Freiſtatt erſcheinen
würde, wo man müſſige Zeit zur Erholung zuzubringen liebt.
Für’s Erſte nur, verſteht ſich. Ihr Brief iſt einer der ſchönſten,
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/64>, abgerufen am 21.11.2024.
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