modischen, weil es dergleichen gar nicht mehr giebt für irgend vornehme Köpfe, und große einfache Seelen -- Stimmungen, die an und für sich schon ganz unächt, aus keiner starken Quelle, seichte, dünne, vom ersten Luftzug vernichtete Pfühl- chen und Rinnen sind! Indem sie die französische Sprache anfällt, war sie nicht einmal besonnen und geschickt genug, ihre von französischen Worten rein zu halten: sogar den plattesten Beurtheilern giebt sie sich bloß. Es ist mir höchste Anstren- gung, das Ganze zu beurtheilen, da es wohl Theile, aber eben zu keinem Ganzen sich fügende sind; daß wir Deutsche heißen und sind, ist eine Zufälligkeit; und die Aufblaserei, dies so groß hervortreten lassen zu wollen, wird mit einem Zerplatzen dieser Thorheit endigen. Jedes zu Verstand ge- kommene Volk soll brav sein; und die Freiheit haben, es zu sein. Im ersten Gebote müssen das natürlich Männer und Weiber, beide Geschlechter in ihrer Art, sein; der zweite Fall zerfällt in zwei andere; entweder man hat die Freiheit schon, oder soll sie erringen; das letzte thun nur Männer, und den Weibern bleibt, zu ersetzen, ergänzen, heilen, wo jene zerstö- ren und verwunden müssen. Dies muß jedes europäische, christliche, Gott in sich selbst erkennende Volk; und jedes sol- ches muß dies allen andern Völkern gönnen und wünschen: und nicht sich prahlerisch allein dazu ernennen, ausschreien und brüsten. In solcher demüthigen, gerechten Stimmung allein, die eine heilige ist -- wo jede Schüchternheit und Scham wegfallen muß, und kann -- darf sich eine Frau, weil es jede dürfte, erkühnen, laut -- das heißt, gedruckt oder im Tempel -- zu ihren Schwestern zu sprechen! Wie ein
modiſchen, weil es dergleichen gar nicht mehr giebt für irgend vornehme Köpfe, und große einfache Seelen — Stimmungen, die an und für ſich ſchon ganz unächt, aus keiner ſtarken Quelle, ſeichte, dünne, vom erſten Luftzug vernichtete Pfühl- chen und Rinnen ſind! Indem ſie die franzöſiſche Sprache anfällt, war ſie nicht einmal beſonnen und geſchickt genug, ihre von franzöſiſchen Worten rein zu halten: ſogar den platteſten Beurtheilern giebt ſie ſich bloß. Es iſt mir höchſte Anſtren- gung, das Ganze zu beurtheilen, da es wohl Theile, aber eben zu keinem Ganzen ſich fügende ſind; daß wir Deutſche heißen und ſind, iſt eine Zufälligkeit; und die Aufblaſerei, dies ſo groß hervortreten laſſen zu wollen, wird mit einem Zerplatzen dieſer Thorheit endigen. Jedes zu Verſtand ge- kommene Volk ſoll brav ſein; und die Freiheit haben, es zu ſein. Im erſten Gebote müſſen das natürlich Männer und Weiber, beide Geſchlechter in ihrer Art, ſein; der zweite Fall zerfällt in zwei andere; entweder man hat die Freiheit ſchon, oder ſoll ſie erringen; das letzte thun nur Männer, und den Weibern bleibt, zu erſetzen, ergänzen, heilen, wo jene zerſtö- ren und verwunden müſſen. Dies muß jedes europäiſche, chriſtliche, Gott in ſich ſelbſt erkennende Volk; und jedes ſol- ches muß dies allen andern Völkern gönnen und wünſchen: und nicht ſich prahleriſch allein dazu ernennen, ausſchreien und brüſten. In ſolcher demüthigen, gerechten Stimmung allein, die eine heilige iſt — wo jede Schüchternheit und Scham wegfallen muß, und kann — darf ſich eine Frau, weil es jede dürfte, erkühnen, laut — das heißt, gedruckt oder im Tempel — zu ihren Schweſtern zu ſprechen! Wie ein
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modiſchen, weil es dergleichen gar nicht mehr giebt für irgend
vornehme Köpfe, und große einfache Seelen — Stimmungen,
die an und für ſich ſchon ganz unächt, aus keiner ſtarken
Quelle, ſeichte, dünne, vom erſten Luftzug vernichtete Pfühl-
chen und Rinnen ſind! Indem ſie die franzöſiſche Sprache
anfällt, war ſie nicht einmal beſonnen und geſchickt genug, ihre
von franzöſiſchen Worten rein zu halten: ſogar den platteſten
Beurtheilern giebt ſie ſich bloß. Es iſt mir höchſte Anſtren-
gung, das Ganze zu beurtheilen, da es wohl Theile, aber
eben zu keinem Ganzen ſich fügende ſind; daß wir Deutſche
heißen und ſind, iſt eine Zufälligkeit; und die Aufblaſerei,
dies ſo groß hervortreten laſſen zu wollen, wird mit einem
Zerplatzen dieſer Thorheit endigen. Jedes zu Verſtand ge-
kommene Volk ſoll brav ſein; und die Freiheit haben, es zu
ſein. Im erſten Gebote müſſen das natürlich Männer und
Weiber, beide Geſchlechter in ihrer Art, ſein; der zweite Fall
zerfällt in zwei andere; entweder man hat die Freiheit ſchon,
oder ſoll ſie erringen; das letzte thun nur Männer, und den
Weibern bleibt, zu erſetzen, ergänzen, heilen, wo jene zerſtö-
ren und verwunden müſſen. Dies muß jedes europäiſche,
chriſtliche, Gott in ſich ſelbſt erkennende Volk; und jedes ſol-
ches muß dies allen andern Völkern gönnen und wünſchen:
und nicht ſich prahleriſch allein dazu ernennen, ausſchreien
und brüſten. In ſolcher demüthigen, gerechten Stimmung
allein, die eine heilige iſt — wo jede Schüchternheit und
Scham wegfallen muß, und kann — darf ſich eine Frau,
weil es jede dürfte, erkühnen, laut — das heißt, gedruckt
oder im Tempel — zu ihren Schweſtern zu ſprechen! Wie ein
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/97>, abgerufen am 21.11.2024.
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