Der meisten Leute ihr Reden ist nichtsnutziges Geschwätz: es ist ihnen auch selbst nichts daran gelegen; sie hoffen nur, es soll nur, es soll den Andern etwas daran gelegen sein; und dies ist der wahre Probierstein wesentlicher und unwe- sentlicher Behauptung und Erzählung. Nebenher, ein reicher verbreiteter Quell der Langeweile, die da Menschen auszustehen haben, nämlich die, welche jeden Augenblick als einen ur- sprünglichen leben.
Montag, den 12. Mai 1823.
Ich finde den ganzen Unterschied in der Menschen Geister nur bei'm Fragen: antworten können sie alle nur auf die- selbe Weise.
Wer sich mit dummen Antworten begnügt, und keine Fragen anzuknüpfen weiß, ist dumm. Wer wissentlich, ver- wickelte, verfängliche Antworten giebt, listig. Listigkeit ist aber verkleideter Bettel; auch gesteht man sie nicht, und schämt sich: und immer bleibt dies ein Verdruß.
Verdammt sein, sich zu verdammen.
Die Welt ist so ordinair, als man will: man kann sie ansehn, wie man will. Sich wundern, gar nicht wundern: wie man's stellt.
Donnerstag, den 15. Mai 1823. Es war noch kalt, aber alles ganz grün.
III. 7
Sonntag, den 4. Mai 1823.
Der meiſten Leute ihr Reden iſt nichtsnutziges Geſchwätz: es iſt ihnen auch ſelbſt nichts daran gelegen; ſie hoffen nur, es ſoll nur, es ſoll den Andern etwas daran gelegen ſein; und dies iſt der wahre Probierſtein weſentlicher und unwe- ſentlicher Behauptung und Erzählung. Nebenher, ein reicher verbreiteter Quell der Langeweile, die da Menſchen auszuſtehen haben, nämlich die, welche jeden Augenblick als einen ur- ſprünglichen leben.
Montag, den 12. Mai 1823.
Ich finde den ganzen Unterſchied in der Menſchen Geiſter nur bei’m Fragen: antworten können ſie alle nur auf die- ſelbe Weiſe.
Wer ſich mit dummen Antworten begnügt, und keine Fragen anzuknüpfen weiß, iſt dumm. Wer wiſſentlich, ver- wickelte, verfängliche Antworten giebt, liſtig. Liſtigkeit iſt aber verkleideter Bettel; auch geſteht man ſie nicht, und ſchämt ſich: und immer bleibt dies ein Verdruß.
Verdammt ſein, ſich zu verdammen.
Die Welt iſt ſo ordinair, als man will: man kann ſie anſehn, wie man will. Sich wundern, gar nicht wundern: wie man’s ſtellt.
Donnerstag, den 15. Mai 1823. Es war noch kalt, aber alles ganz grün.
III. 7
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Sonntag, den 4. Mai 1823.
Der meiſten Leute ihr Reden iſt nichtsnutziges Geſchwätz:
es iſt ihnen auch ſelbſt nichts daran gelegen; ſie hoffen nur,
es ſoll nur, es ſoll den Andern etwas daran gelegen ſein;
und dies iſt der wahre Probierſtein weſentlicher und unwe-
ſentlicher Behauptung und Erzählung. Nebenher, ein reicher
verbreiteter Quell der Langeweile, die da Menſchen auszuſtehen
haben, nämlich die, welche jeden Augenblick als einen ur-
ſprünglichen leben.
Montag, den 12. Mai 1823.
Ich finde den ganzen Unterſchied in der Menſchen Geiſter
nur bei’m Fragen: antworten können ſie alle nur auf die-
ſelbe Weiſe.
Wer ſich mit dummen Antworten begnügt, und keine
Fragen anzuknüpfen weiß, iſt dumm. Wer wiſſentlich, ver-
wickelte, verfängliche Antworten giebt, liſtig. Liſtigkeit iſt
aber verkleideter Bettel; auch geſteht man ſie nicht, und ſchämt
ſich: und immer bleibt dies ein Verdruß.
Verdammt ſein, ſich zu verdammen.
Die Welt iſt ſo ordinair, als man will: man kann ſie
anſehn, wie man will. Sich wundern, gar nicht wundern:
wie man’s ſtellt.
Donnerstag, den 15. Mai 1823. Es war noch
kalt, aber alles ganz grün.
III. 7
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/105>, abgerufen am 22.11.2024.
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