immer neue Vergleiche und Kombinationen machen zu lassen. Unser Gemüthszustand giebt auch unserm Verständniß neue Aufträge; und es ist nicht unrichtig Geist zu lieben, unab- hängig von der Unterhaltung -- im höchsten Sinne -- die er uns gewährt. "Leidenschaft macht witzig," ist eine alte Bemerkung; daß aber Leidenschaften durchaus mit Vernunft versetzt sind, und nur in Vernunftbegabten entstehen können, ist nicht so bekannt. Beweislich angeführt -- ist Frau von Stael darüber, in ihrem Buche sur les passions, gar nicht klar, und eben dies von Vielen bewundert. Verstand haben die allermeisten Menschen, sie gebrauchen ihn nur so verschie- den; Unschuld und guter Wille machen ausgezeichnete gute Menschen; alle Tage muß ich mich darin mehr bestärken: rechts und links drängt es sich auf. Auch muß man gleich verstummen, wo der fehlt: da die letzte raison, die Kanonen, nur zum größten Umgang vorhanden sind: der gesellige ist durchaus den Unwürdigen, und dem Unwürdigsten überlassen.
Mit Unrecht bin ich verstutzt, und wundert man sich im- mer von neuem darüber, daß in Gaben untergeordnete Men- schen Begabte hassen und denigriren: dies geschieht aus dem gerechtesten, aber unverständigen Neid. Weil sie gar nicht zu begreifen vermögen, warum denen Auszeichnung, Lob, Be- achtung, und manches Wünschenswerthe begegnet, und nicht ihnen: sie müssen es für offenbare Willkür, Eigensinn, blin- des Glück halten, welches die Begünstigten nur immer kühner, seltsamer, ausgelassener, selbstzufriedener macht; da sie un- fähig sind, sich einen geistvollen Zustand zu denken, noch
immer neue Vergleiche und Kombinationen machen zu laſſen. Unſer Gemüthszuſtand giebt auch unſerm Verſtändniß neue Aufträge; und es iſt nicht unrichtig Geiſt zu lieben, unab- hängig von der Unterhaltung — im höchſten Sinne — die er uns gewährt. „Leidenſchaft macht witzig,“ iſt eine alte Bemerkung; daß aber Leidenſchaften durchaus mit Vernunft verſetzt ſind, und nur in Vernunftbegabten entſtehen können, iſt nicht ſo bekannt. Beweislich angeführt — iſt Frau von Staël darüber, in ihrem Buche sur les passions, gar nicht klar, und eben dies von Vielen bewundert. Verſtand haben die allermeiſten Menſchen, ſie gebrauchen ihn nur ſo verſchie- den; Unſchuld und guter Wille machen ausgezeichnete gute Menſchen; alle Tage muß ich mich darin mehr beſtärken: rechts und links drängt es ſich auf. Auch muß man gleich verſtummen, wo der fehlt: da die letzte raison, die Kanonen, nur zum größten Umgang vorhanden ſind: der geſellige iſt durchaus den Unwürdigen, und dem Unwürdigſten überlaſſen.
Mit Unrecht bin ich verſtutzt, und wundert man ſich im- mer von neuem darüber, daß in Gaben untergeordnete Men- ſchen Begabte haſſen und denigriren: dies geſchieht aus dem gerechteſten, aber unverſtändigen Neid. Weil ſie gar nicht zu begreifen vermögen, warum denen Auszeichnung, Lob, Be- achtung, und manches Wünſchenswerthe begegnet, und nicht ihnen: ſie müſſen es für offenbare Willkür, Eigenſinn, blin- des Glück halten, welches die Begünſtigten nur immer kühner, ſeltſamer, ausgelaſſener, ſelbſtzufriedener macht; da ſie un- fähig ſind, ſich einen geiſtvollen Zuſtand zu denken, noch
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immer neue Vergleiche und Kombinationen machen zu laſſen.
Unſer Gemüthszuſtand giebt auch unſerm Verſtändniß neue
Aufträge; und es iſt nicht unrichtig Geiſt zu lieben, unab-
hängig von der Unterhaltung — im höchſten Sinne — die
er uns gewährt. „Leidenſchaft macht witzig,“ iſt eine alte
Bemerkung; daß aber Leidenſchaften durchaus mit Vernunft
verſetzt ſind, und nur in Vernunftbegabten entſtehen können,
iſt nicht ſo bekannt. Beweislich angeführt — iſt Frau von
Staël darüber, in ihrem Buche sur les passions, gar nicht
klar, und eben dies von Vielen bewundert. Verſtand haben
die allermeiſten Menſchen, ſie gebrauchen ihn nur ſo verſchie-
den; Unſchuld und guter Wille machen ausgezeichnete gute
Menſchen; alle Tage muß ich mich darin mehr beſtärken:
rechts und links drängt es ſich auf. Auch muß man gleich
verſtummen, wo der fehlt: da die letzte raison, die Kanonen,
nur zum größten Umgang vorhanden ſind: der geſellige iſt
durchaus den Unwürdigen, und dem Unwürdigſten überlaſſen.
Mit Unrecht bin ich verſtutzt, und wundert man ſich im-
mer von neuem darüber, daß in Gaben untergeordnete Men-
ſchen Begabte haſſen und denigriren: dies geſchieht aus dem
gerechteſten, aber unverſtändigen Neid. Weil ſie gar nicht
zu begreifen vermögen, warum denen Auszeichnung, Lob, Be-
achtung, und manches Wünſchenswerthe begegnet, und nicht
ihnen: ſie müſſen es für offenbare Willkür, Eigenſinn, blin-
des Glück halten, welches die Begünſtigten nur immer kühner,
ſeltſamer, ausgelaſſener, ſelbſtzufriedener macht; da ſie un-
fähig ſind, ſich einen geiſtvollen Zuſtand zu denken, noch
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/126>, abgerufen am 28.11.2024.
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