Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Betragen ich nicht so nennen würde, wenn er es sonst nicht
versäumte. Alles dies bildet keinen stillen ehrwürdigen Karak-
ter, ist kein ehrwürdiges Betragen. Wenn es mir nur so scheint,
so soll es mir lieb sein: weil ich ihn innerlich liebe: aber ich
glaube, die Andern irren sich über ihn. Frau von H. lieb'
ich, wenn ich sie sehe. Sie ist, wie sie aussieht: und mir ist
unverständlich, was mich an ihr verdrießt. Ich blieb allein
mit ihr, und diese Zeit war angenehm. Ich beneide fast allen
Menschen, auch ganz untergeordneten sonst, ihr haltungsvol-
les, leidenschaftloses Betragen. Fr. von H. besitzt das vorzüg-
lich. Es kleidet so gut! Ich komme darin immer mehr aus
dem Gleichgewicht, wenn ich auch noch so ruhig werde; und
mißfalle mir äußerst; obgleich ich genau weiß, woher es kommt.
Ich bemühe mich die Wege zu zeigen, wie ich zu meinen Re-
sultaten gekommen bin: und darauf hört man noch weniger,
als auf diese, oder Behauptungen. In einer bessern Lage,
mit einer bessern oder härtern Persönlichkeit fällt einem das
nicht ein. So hat es viele Gründe, die ich kenne. Vielleicht
werde ich Einmal plötzlich über diese abscheuliche Art zu sein
Herr. Den Abend las ich in Mad. Necker-Saussure. Wir
blieben zu Hause. --




-- Ich affektire nichts. Verberge mein Bestes; und
meine Krankheit. Dore sieht es nur; unsichtbare Geister;
Gott, mein ewiger Zeuge. Kolossal zwinge ich mich, und
kann ich mich zwingen. Das Körperchen aber geht doch nun
in sein Älterchen dahin, und immer dahin. Ich ließe es ge-

Betragen ich nicht ſo nennen würde, wenn er es ſonſt nicht
verſäumte. Alles dies bildet keinen ſtillen ehrwürdigen Karak-
ter, iſt kein ehrwürdiges Betragen. Wenn es mir nur ſo ſcheint,
ſo ſoll es mir lieb ſein: weil ich ihn innerlich liebe: aber ich
glaube, die Andern irren ſich über ihn. Frau von H. lieb’
ich, wenn ich ſie ſehe. Sie iſt, wie ſie ausſieht: und mir iſt
unverſtändlich, was mich an ihr verdrießt. Ich blieb allein
mit ihr, und dieſe Zeit war angenehm. Ich beneide faſt allen
Menſchen, auch ganz untergeordneten ſonſt, ihr haltungsvol-
les, leidenſchaftloſes Betragen. Fr. von H. beſitzt das vorzüg-
lich. Es kleidet ſo gut! Ich komme darin immer mehr aus
dem Gleichgewicht, wenn ich auch noch ſo ruhig werde; und
mißfalle mir äußerſt; obgleich ich genau weiß, woher es kommt.
Ich bemühe mich die Wege zu zeigen, wie ich zu meinen Re-
ſultaten gekommen bin: und darauf hört man noch weniger,
als auf dieſe, oder Behauptungen. In einer beſſern Lage,
mit einer beſſern oder härtern Perſönlichkeit fällt einem das
nicht ein. So hat es viele Gründe, die ich kenne. Vielleicht
werde ich Einmal plötzlich über dieſe abſcheuliche Art zu ſein
Herr. Den Abend las ich in Mad. Necker-Sauſſure. Wir
blieben zu Hauſe. —




— Ich affektire nichts. Verberge mein Beſtes; und
meine Krankheit. Dore ſieht es nur; unſichtbare Geiſter;
Gott, mein ewiger Zeuge. Koloſſal zwinge ich mich, und
kann ich mich zwingen. Das Körperchen aber geht doch nun
in ſein Älterchen dahin, und immer dahin. Ich ließe es ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0013" n="5"/>
Betragen ich nicht &#x017F;o nennen würde, wenn er es &#x017F;on&#x017F;t nicht<lb/>
ver&#x017F;äumte. Alles dies bildet keinen &#x017F;tillen ehrwürdigen Karak-<lb/>
ter, i&#x017F;t kein ehrwürdiges Betragen. Wenn es mir nur &#x017F;o &#x017F;cheint,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;oll es mir lieb &#x017F;ein: weil ich ihn innerlich liebe: aber ich<lb/>
glaube, die Andern irren &#x017F;ich über ihn. Frau von H. lieb&#x2019;<lb/>
ich, <hi rendition="#g">wenn</hi> ich &#x017F;ie &#x017F;ehe. Sie i&#x017F;t, wie &#x017F;ie aus&#x017F;ieht: und mir i&#x017F;t<lb/>
unver&#x017F;tändlich, was mich an ihr verdrießt. Ich blieb allein<lb/>
mit ihr, und die&#x017F;e Zeit war angenehm. Ich beneide fa&#x017F;t allen<lb/>
Men&#x017F;chen, auch ganz untergeordneten &#x017F;on&#x017F;t, ihr haltungsvol-<lb/>
les, leiden&#x017F;chaftlo&#x017F;es Betragen. Fr. von H. be&#x017F;itzt das vorzüg-<lb/>
lich. Es kleidet &#x017F;o gut! Ich komme darin immer mehr aus<lb/>
dem Gleichgewicht, wenn ich auch noch &#x017F;o ruhig werde; und<lb/>
mißfalle mir äußer&#x017F;t; obgleich ich genau weiß, woher es kommt.<lb/>
Ich bemühe mich die Wege zu zeigen, wie ich zu meinen Re-<lb/>
&#x017F;ultaten gekommen bin: und darauf hört man <hi rendition="#g">noch</hi> weniger,<lb/>
als auf die&#x017F;e, oder Behauptungen. In einer be&#x017F;&#x017F;ern Lage,<lb/>
mit einer be&#x017F;&#x017F;ern oder härtern Per&#x017F;önlichkeit fällt einem das<lb/>
nicht ein. So hat es viele Gründe, die ich kenne. Vielleicht<lb/>
werde ich Einmal plötzlich über die&#x017F;e ab&#x017F;cheuliche Art zu &#x017F;ein<lb/>
Herr. Den Abend las ich in Mad. Necker-Sau&#x017F;&#x017F;ure. Wir<lb/>
blieben zu Hau&#x017F;e. &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Sonnabend, den 8. Januar 1820.</hi> </dateline><lb/>
            <p>&#x2014; Ich affektire <hi rendition="#g">nichts</hi>. Verberge mein Be&#x017F;tes; und<lb/>
meine Krankheit. Dore &#x017F;ieht es nur; un&#x017F;ichtbare Gei&#x017F;ter;<lb/>
Gott, mein ewiger Zeuge. Kolo&#x017F;&#x017F;al zwinge ich mich, und<lb/>
kann ich mich zwingen. Das Körperchen aber geht doch nun<lb/>
in &#x017F;ein Älterchen dahin, und immer dahin. Ich ließe es ge-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0013] Betragen ich nicht ſo nennen würde, wenn er es ſonſt nicht verſäumte. Alles dies bildet keinen ſtillen ehrwürdigen Karak- ter, iſt kein ehrwürdiges Betragen. Wenn es mir nur ſo ſcheint, ſo ſoll es mir lieb ſein: weil ich ihn innerlich liebe: aber ich glaube, die Andern irren ſich über ihn. Frau von H. lieb’ ich, wenn ich ſie ſehe. Sie iſt, wie ſie ausſieht: und mir iſt unverſtändlich, was mich an ihr verdrießt. Ich blieb allein mit ihr, und dieſe Zeit war angenehm. Ich beneide faſt allen Menſchen, auch ganz untergeordneten ſonſt, ihr haltungsvol- les, leidenſchaftloſes Betragen. Fr. von H. beſitzt das vorzüg- lich. Es kleidet ſo gut! Ich komme darin immer mehr aus dem Gleichgewicht, wenn ich auch noch ſo ruhig werde; und mißfalle mir äußerſt; obgleich ich genau weiß, woher es kommt. Ich bemühe mich die Wege zu zeigen, wie ich zu meinen Re- ſultaten gekommen bin: und darauf hört man noch weniger, als auf dieſe, oder Behauptungen. In einer beſſern Lage, mit einer beſſern oder härtern Perſönlichkeit fällt einem das nicht ein. So hat es viele Gründe, die ich kenne. Vielleicht werde ich Einmal plötzlich über dieſe abſcheuliche Art zu ſein Herr. Den Abend las ich in Mad. Necker-Sauſſure. Wir blieben zu Hauſe. — Sonnabend, den 8. Januar 1820. — Ich affektire nichts. Verberge mein Beſtes; und meine Krankheit. Dore ſieht es nur; unſichtbare Geiſter; Gott, mein ewiger Zeuge. Koloſſal zwinge ich mich, und kann ich mich zwingen. Das Körperchen aber geht doch nun in ſein Älterchen dahin, und immer dahin. Ich ließe es ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/13
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/13>, abgerufen am 23.11.2024.