Viele Menschen können einen recht ärgern, wenn sie ei- nem den Verstand bewilligen, den man uns etwa vorzugs- weise zugestehen muß. Sie machen, als wäre das so eine Art von Narrheit und Extravaganz, der man nun einmal freien Lauf lassen müsse; die man nicht stören kann! Aber wie schön paßten sie zur ganzen Welt; zu allem, was nun einmal wimmelt, und benamt ist; wie werden sie gelobt, und wie schön loben sie?! und haben die wahre Vernunft, wie sie in die Welt gehört! -- Mit welchem Geist sollten sie auch höheren fassen, als mit hohem? --
Den 19. August 1824.
Es wird nicht Gerechtigkeit geübt, wenn einer bestraft wird, der sein Unrecht nicht einsieht: das wußt' ich immer, wenn auch nur dunkel, wenn ich Strafe in solchem Fall nicht liebte, und mir es dann jedesmal schien, als seien der Ver- brecher und der zu Bestrafende verschiedene Personen. Heute dachte ich an einen besondern Fall, mußte ihn sogar befürch- ten; ich stellte mir eine bestimmte Person in Noth und Ge- fahr vor; wollte ihr gerne beistehn und helfen: und hatte die tiefste Konviktion, daß, wenn es geschehn sei und auch vorher, dieselbe Person mich in ähnlichem Fall, -- ich wußte sogar einen bestimmten -- würde untergehen lassen. Aus den allerschwächsten, kleinlichsten Gründen. Und diese tiefe klare Überzeugung stimmte mich wieder nicht um. Ich dachte mich in Streit darüber mit Varnhagen, weil wir schon oft über dieses Kapitel stritten. Aber mir ward endlich deutlich: daß
III. 11
Dienstag, den 17. Auguſt 1824.
Viele Menſchen können einen recht ärgern, wenn ſie ei- nem den Verſtand bewilligen, den man uns etwa vorzugs- weiſe zugeſtehen muß. Sie machen, als wäre das ſo eine Art von Narrheit und Extravaganz, der man nun einmal freien Lauf laſſen müſſe; die man nicht ſtören kann! Aber wie ſchön paßten ſie zur ganzen Welt; zu allem, was nun einmal wimmelt, und benamt iſt; wie werden ſie gelobt, und wie ſchön loben ſie?! und haben die wahre Vernunft, wie ſie in die Welt gehört! — Mit welchem Geiſt ſollten ſie auch höheren faſſen, als mit hohem? —
Den 19. Auguſt 1824.
Es wird nicht Gerechtigkeit geübt, wenn einer beſtraft wird, der ſein Unrecht nicht einſieht: das wußt’ ich immer, wenn auch nur dunkel, wenn ich Strafe in ſolchem Fall nicht liebte, und mir es dann jedesmal ſchien, als ſeien der Ver- brecher und der zu Beſtrafende verſchiedene Perſonen. Heute dachte ich an einen beſondern Fall, mußte ihn ſogar befürch- ten; ich ſtellte mir eine beſtimmte Perſon in Noth und Ge- fahr vor; wollte ihr gerne beiſtehn und helfen: und hatte die tiefſte Konviktion, daß, wenn es geſchehn ſei und auch vorher, dieſelbe Perſon mich in ähnlichem Fall, — ich wußte ſogar einen beſtimmten — würde untergehen laſſen. Aus den allerſchwächſten, kleinlichſten Gründen. Und dieſe tiefe klare Überzeugung ſtimmte mich wieder nicht um. Ich dachte mich in Streit darüber mit Varnhagen, weil wir ſchon oft über dieſes Kapitel ſtritten. Aber mir ward endlich deutlich: daß
III. 11
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Dienstag, den 17. Auguſt 1824.
Viele Menſchen können einen recht ärgern, wenn ſie ei-
nem den Verſtand bewilligen, den man uns etwa vorzugs-
weiſe zugeſtehen muß. Sie machen, als wäre das ſo eine Art
von Narrheit und Extravaganz, der man nun einmal freien
Lauf laſſen müſſe; die man nicht ſtören kann! Aber wie ſchön
paßten ſie zur ganzen Welt; zu allem, was nun einmal
wimmelt, und benamt iſt; wie werden ſie gelobt, und wie
ſchön loben ſie?! und haben die wahre Vernunft, wie ſie
in die Welt gehört! — Mit welchem Geiſt ſollten ſie auch
höheren faſſen, als mit hohem? —
Den 19. Auguſt 1824.
Es wird nicht Gerechtigkeit geübt, wenn einer beſtraft
wird, der ſein Unrecht nicht einſieht: das wußt’ ich immer,
wenn auch nur dunkel, wenn ich Strafe in ſolchem Fall nicht
liebte, und mir es dann jedesmal ſchien, als ſeien der Ver-
brecher und der zu Beſtrafende verſchiedene Perſonen. Heute
dachte ich an einen beſondern Fall, mußte ihn ſogar befürch-
ten; ich ſtellte mir eine beſtimmte Perſon in Noth und Ge-
fahr vor; wollte ihr gerne beiſtehn und helfen: und hatte
die tiefſte Konviktion, daß, wenn es geſchehn ſei und auch
vorher, dieſelbe Perſon mich in ähnlichem Fall, — ich wußte
ſogar einen beſtimmten — würde untergehen laſſen. Aus den
allerſchwächſten, kleinlichſten Gründen. Und dieſe tiefe klare
Überzeugung ſtimmte mich wieder nicht um. Ich dachte mich
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/169>, abgerufen am 25.11.2024.
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