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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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lut-wirkender, als alles hier Anzutreffende ist, so regiert sie
uns: und wir fehlen jedesmal, wenn wir dies verkennen, oder
nicht beachten. Daher ist es, daß wir den Ursprung der Sprache
nicht ergründen können. Wir erheben alles hier Wahrgenom-
mene zu ihr; aber nicht sie entsteht daher. Daher ist sie ar-
tikulirt: heißt, mit Willkür (Wahl, zu einem Zweck) versetzt.
Ein Spiel ist sie; eine Kunst, an und für sich: etwas, was
ein anderes vorstellen soll; zu welcher sich wiederholenden That
wir ein Zwingendes in uns haben, einen Wiederhersteller ei-
nes Zustandes, der in den Bedingungen, unter welchen wir
da sind, nur als eine Idee sich darthun kann, die wir immer
von neuem wieder ausdrücken wollen. (Diesen auszudrücken-
den Zustand haben wir durch keinen Sündenfall verscherzt.
Da liegt ein anderes Mysterium, als was wir erfinden kön-
nen. Dem sich unerklärt unterworfen, ist Demuth, und Glau-
ben an den höchsten Geist.) Thiere drücken nur ihre Zustände
aus: artikuliren auch nicht. Menschen drücken das Verhält-
niß der Verhältnisse aus. Erste neue große Stufe. Ganz
neues Gebiet. So macht auch der Mensch Musik, er läßt
sie nicht bloß hören. Er stellt in ihr durch Töne und Folge
derselben hiesige und andere Zustände dar: und zeigt auch das
Tonverhältniß an sich: und gebraucht die Töne durch allerlei
Nachahmung zur Musik: aber bei allem, was er geistig leistet,
kommt das große Unhiesige immer wieder vor. Der Mensch
hat das bischen "Wahl" (Goethe): was ist sie aber? Der
kleine Raum, in welchem er Mitgebrachtes und hier Vorge-
fundenes vergleichen kann. Sein ganzes menschliches Gebiet
ist nur dies: und ein klein bischen Witz macht es zur unend-

lut-wirkender, als alles hier Anzutreffende iſt, ſo regiert ſie
uns: und wir fehlen jedesmal, wenn wir dies verkennen, oder
nicht beachten. Daher iſt es, daß wir den Urſprung der Sprache
nicht ergründen können. Wir erheben alles hier Wahrgenom-
mene zu ihr; aber nicht ſie entſteht daher. Daher iſt ſie ar-
tikulirt: heißt, mit Willkür (Wahl, zu einem Zweck) verſetzt.
Ein Spiel iſt ſie; eine Kunſt, an und für ſich: etwas, was
ein anderes vorſtellen ſoll; zu welcher ſich wiederholenden That
wir ein Zwingendes in uns haben, einen Wiederherſteller ei-
nes Zuſtandes, der in den Bedingungen, unter welchen wir
da ſind, nur als eine Idee ſich darthun kann, die wir immer
von neuem wieder ausdrücken wollen. (Dieſen auszudrücken-
den Zuſtand haben wir durch keinen Sündenfall verſcherzt.
Da liegt ein anderes Myſterium, als was wir erfinden kön-
nen. Dem ſich unerklärt unterworfen, iſt Demuth, und Glau-
ben an den höchſten Geiſt.) Thiere drücken nur ihre Zuſtände
aus: artikuliren auch nicht. Menſchen drücken das Verhält-
niß der Verhältniſſe aus. Erſte neue große Stufe. Ganz
neues Gebiet. So macht auch der Menſch Muſik, er läßt
ſie nicht bloß hören. Er ſtellt in ihr durch Töne und Folge
derſelben hieſige und andere Zuſtände dar: und zeigt auch das
Tonverhältniß an ſich: und gebraucht die Töne durch allerlei
Nachahmung zur Muſik: aber bei allem, was er geiſtig leiſtet,
kommt das große Unhieſige immer wieder vor. Der Menſch
hat das bischen „Wahl“ (Goethe): was iſt ſie aber? Der
kleine Raum, in welchem er Mitgebrachtes und hier Vorge-
fundenes vergleichen kann. Sein ganzes menſchliches Gebiet
iſt nur dies: und ein klein bischen Witz macht es zur unend-

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[189/0197] lut-wirkender, als alles hier Anzutreffende iſt, ſo regiert ſie uns: und wir fehlen jedesmal, wenn wir dies verkennen, oder nicht beachten. Daher iſt es, daß wir den Urſprung der Sprache nicht ergründen können. Wir erheben alles hier Wahrgenom- mene zu ihr; aber nicht ſie entſteht daher. Daher iſt ſie ar- tikulirt: heißt, mit Willkür (Wahl, zu einem Zweck) verſetzt. Ein Spiel iſt ſie; eine Kunſt, an und für ſich: etwas, was ein anderes vorſtellen ſoll; zu welcher ſich wiederholenden That wir ein Zwingendes in uns haben, einen Wiederherſteller ei- nes Zuſtandes, der in den Bedingungen, unter welchen wir da ſind, nur als eine Idee ſich darthun kann, die wir immer von neuem wieder ausdrücken wollen. (Dieſen auszudrücken- den Zuſtand haben wir durch keinen Sündenfall verſcherzt. Da liegt ein anderes Myſterium, als was wir erfinden kön- nen. Dem ſich unerklärt unterworfen, iſt Demuth, und Glau- ben an den höchſten Geiſt.) Thiere drücken nur ihre Zuſtände aus: artikuliren auch nicht. Menſchen drücken das Verhält- niß der Verhältniſſe aus. Erſte neue große Stufe. Ganz neues Gebiet. So macht auch der Menſch Muſik, er läßt ſie nicht bloß hören. Er ſtellt in ihr durch Töne und Folge derſelben hieſige und andere Zuſtände dar: und zeigt auch das Tonverhältniß an ſich: und gebraucht die Töne durch allerlei Nachahmung zur Muſik: aber bei allem, was er geiſtig leiſtet, kommt das große Unhieſige immer wieder vor. Der Menſch hat das bischen „Wahl“ (Goethe): was iſt ſie aber? Der kleine Raum, in welchem er Mitgebrachtes und hier Vorge- fundenes vergleichen kann. Sein ganzes menſchliches Gebiet iſt nur dies: und ein klein bischen Witz macht es zur unend-

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/197>, abgerufen am 22.11.2024.