Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

parce que c'est un coup de verite; in Handlung mit Wor-
ten bewerkstelligt und ausgeführt. Der zweite trait ist der:
wie die Gemahlin in das Gräuelunglück mit der Begnadigung
herein tritt, und ihr Glück nicht in die Vernichteten Eingang
finden kann; und sie erstaunt, gehorsam, sittig, artig, weib-
lich -- hier weiblich -- fragt: "Hab' ich Unrecht gehabt,
ohne Ihre Erlaubniß nach dem Schlosse zu fahren!" etc.
Wenn die Nichtigkeit bis in's tiefste Elend, in die Auflösung
hineinreicht, der Zwang, das Äußere, die hohle Form, die
schlechte, immer gewährte Anforderung, das Bequemen des
Bessern; und wenn gezeigt wird, -- und nicht gesagt --, daß
dies alles den Gräuel selbst bereitete! das ist wundertra-
gisch! Nicht Betrachtungen vom "Schönen auf der Erde."
Gott verzeih mir meine Sünde! Es lebe Schiller! den mein
Herz ehrt. Ich meine seine Nachbeller; und stupiden Logisten
und Parterristen. Die Schröck sagte dies göttlich. Wie
wirklich. Dieser Zug ist als würde eine Decke aufgehoben,
wo die ganze Vergangenheit dieser Leute gezeigt würde; und
der ganze nichtige Ursprung der großen Tragik! Das ist Tra-
gik. Unsre Nichtigkeit; wenn wir nicht aus dem Grund
leben. Die Devrient-Komitsch spielte nicht, war das Mäd-
chen: es ist nicht möglich, den Brief über den Prediger besser
zu lesen: die Freude, daß er lebt, konnte in dem erschrockenen
Körper nicht hervorbrechen; die Seele nur nahm sie auf, mei-
sterhaft! Die ganze Scene vollkommen, von beiden. Nach-
her hätte ich Kleinigkeiten von ihr noch anders gemacht.
Mlle. Bauer die Comtesse sehr gut. Völliger Adel: komplet
edel und jung. Und -- Wunder! Lemm, der mich auf dem

Zettel

parce que c’est un coup de vérité; in Handlung mit Wor-
ten bewerkſtelligt und ausgeführt. Der zweite trait iſt der:
wie die Gemahlin in das Gräuelunglück mit der Begnadigung
herein tritt, und ihr Glück nicht in die Vernichteten Eingang
finden kann; und ſie erſtaunt, gehorſam, ſittig, artig, weib-
lich — hier weiblich — fragt: „Hab’ ich Unrecht gehabt,
ohne Ihre Erlaubniß nach dem Schloſſe zu fahren!“ ꝛc.
Wenn die Nichtigkeit bis in’s tiefſte Elend, in die Auflöſung
hineinreicht, der Zwang, das Äußere, die hohle Form, die
ſchlechte, immer gewährte Anforderung, das Bequemen des
Beſſern; und wenn gezeigt wird, — und nicht geſagt —, daß
dies alles den Gräuel ſelbſt bereitete! das iſt wundertra-
giſch! Nicht Betrachtungen vom „Schönen auf der Erde.“
Gott verzeih mir meine Sünde! Es lebe Schiller! den mein
Herz ehrt. Ich meine ſeine Nachbeller; und ſtupiden Logiſten
und Parterriſten. Die Schröck ſagte dies göttlich. Wie
wirklich. Dieſer Zug iſt als würde eine Decke aufgehoben,
wo die ganze Vergangenheit dieſer Leute gezeigt würde; und
der ganze nichtige Urſprung der großen Tragik! Das iſt Tra-
gik. Unſre Nichtigkeit; wenn wir nicht aus dem Grund
leben. Die Devrient-Komitſch ſpielte nicht, war das Mäd-
chen: es iſt nicht möglich, den Brief über den Prediger beſſer
zu leſen: die Freude, daß er lebt, konnte in dem erſchrockenen
Körper nicht hervorbrechen; die Seele nur nahm ſie auf, mei-
ſterhaft! Die ganze Scene vollkommen, von beiden. Nach-
her hätte ich Kleinigkeiten von ihr noch anders gemacht.
Mlle. Bauer die Comteſſe ſehr gut. Völliger Adel: komplet
edel und jung. Und — Wunder! Lemm, der mich auf dem

Zettel
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><hi rendition="#aq"><pb facs="#f0200" n="192"/>
parce que c&#x2019;est un coup de vérité;</hi> in <hi rendition="#g">Handlung mit</hi> Wor-<lb/>
ten bewerk&#x017F;telligt und ausgeführt. Der zweite <hi rendition="#aq">trait</hi> i&#x017F;t der:<lb/>
wie die Gemahlin in das Gräuelunglück mit der Begnadigung<lb/>
herein tritt, und ihr Glück nicht in die Vernichteten Eingang<lb/>
finden kann; und &#x017F;ie er&#x017F;taunt, gehor&#x017F;am, &#x017F;ittig, artig, weib-<lb/>
lich &#x2014; <hi rendition="#g">hier weiblich</hi> &#x2014; fragt: &#x201E;Hab&#x2019; ich Unrecht gehabt,<lb/>
ohne Ihre Erlaubniß nach dem Schlo&#x017F;&#x017F;e zu fahren!&#x201C; &#xA75B;c.<lb/>
Wenn die Nichtigkeit bis in&#x2019;s tief&#x017F;te Elend, in die Auflö&#x017F;ung<lb/>
hineinreicht, der Zwang, das Äußere, die hohle Form, die<lb/>
&#x017F;chlechte, immer gewährte Anforderung, das Bequemen des<lb/>
Be&#x017F;&#x017F;ern; und wenn gezeigt wird, &#x2014; und nicht ge&#x017F;agt &#x2014;, daß<lb/>
dies alles den Gräuel &#x017F;elb&#x017F;t <hi rendition="#g">bereitete!</hi> das i&#x017F;t wundertra-<lb/>
gi&#x017F;ch! Nicht Betrachtungen vom &#x201E;Schönen auf der Erde.&#x201C;<lb/>
Gott verzeih mir meine Sünde! Es lebe Schiller! den mein<lb/>
Herz ehrt. Ich meine &#x017F;eine Nachbeller; und &#x017F;tupiden Logi&#x017F;ten<lb/>
und Parterri&#x017F;ten. Die Schröck &#x017F;agte dies göttlich. <hi rendition="#g">Wie</hi><lb/>
wirklich. Die&#x017F;er Zug i&#x017F;t als würde eine Decke aufgehoben,<lb/>
wo die ganze Vergangenheit die&#x017F;er Leute gezeigt würde; und<lb/>
der ganze nichtige Ur&#x017F;prung der großen Tragik! Das <hi rendition="#g">i&#x017F;t</hi> Tra-<lb/>
gik. Un&#x017F;re Nichtigkeit; wenn wir nicht <hi rendition="#g">aus dem Grund</hi><lb/>
leben. Die Devrient-Komit&#x017F;ch &#x017F;pielte nicht, <hi rendition="#g">war</hi> das Mäd-<lb/>
chen: es i&#x017F;t nicht möglich, den Brief über den Prediger be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
zu le&#x017F;en: die Freude, daß er lebt, konnte in dem er&#x017F;chrockenen<lb/>
Körper <hi rendition="#g">nicht</hi> hervorbrechen; die Seele nur nahm &#x017F;ie auf, mei-<lb/>
&#x017F;terhaft! Die ganze Scene vollkommen, von beiden. Nach-<lb/>
her hätte ich Kleinigkeiten von ihr noch anders gemacht.<lb/>
Mlle. Bauer die Comte&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ehr gut. Völliger Adel: komplet<lb/>
edel und jung. <hi rendition="#g">Und</hi> &#x2014; Wunder! Lemm, der mich auf dem<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Zettel</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[192/0200] parce que c’est un coup de vérité; in Handlung mit Wor- ten bewerkſtelligt und ausgeführt. Der zweite trait iſt der: wie die Gemahlin in das Gräuelunglück mit der Begnadigung herein tritt, und ihr Glück nicht in die Vernichteten Eingang finden kann; und ſie erſtaunt, gehorſam, ſittig, artig, weib- lich — hier weiblich — fragt: „Hab’ ich Unrecht gehabt, ohne Ihre Erlaubniß nach dem Schloſſe zu fahren!“ ꝛc. Wenn die Nichtigkeit bis in’s tiefſte Elend, in die Auflöſung hineinreicht, der Zwang, das Äußere, die hohle Form, die ſchlechte, immer gewährte Anforderung, das Bequemen des Beſſern; und wenn gezeigt wird, — und nicht geſagt —, daß dies alles den Gräuel ſelbſt bereitete! das iſt wundertra- giſch! Nicht Betrachtungen vom „Schönen auf der Erde.“ Gott verzeih mir meine Sünde! Es lebe Schiller! den mein Herz ehrt. Ich meine ſeine Nachbeller; und ſtupiden Logiſten und Parterriſten. Die Schröck ſagte dies göttlich. Wie wirklich. Dieſer Zug iſt als würde eine Decke aufgehoben, wo die ganze Vergangenheit dieſer Leute gezeigt würde; und der ganze nichtige Urſprung der großen Tragik! Das iſt Tra- gik. Unſre Nichtigkeit; wenn wir nicht aus dem Grund leben. Die Devrient-Komitſch ſpielte nicht, war das Mäd- chen: es iſt nicht möglich, den Brief über den Prediger beſſer zu leſen: die Freude, daß er lebt, konnte in dem erſchrockenen Körper nicht hervorbrechen; die Seele nur nahm ſie auf, mei- ſterhaft! Die ganze Scene vollkommen, von beiden. Nach- her hätte ich Kleinigkeiten von ihr noch anders gemacht. Mlle. Bauer die Comteſſe ſehr gut. Völliger Adel: komplet edel und jung. Und — Wunder! Lemm, der mich auf dem Zettel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/200
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/200>, abgerufen am 22.11.2024.