Wolkiges Wetter; bald Sonne, bald nicht: nach vor- gestrigem heftigen Gewitter, mit größtem Regen, nach elektrischer Glühhitze. Stark-thauige Herbst- abende: streng-kühle Nächte. Alle Menschen müssen sich sehr in Acht nehmen.
Wie könnte ich anders für Ihren treuen Brief, wahrhaft verehrte Freundin, danken, als mit allem was ich von Ih- nen weiß, halte, und in mein Herz geschlossen habe! Ich hatte Ihnen schon gedankt: für alles was von Ihnen kom- men kann, ja, kommen muß. Es ist keine Kleinigkeit! Nur die besten Menschen sind exakt. Nur die Besten wissen, daß das höchste gereinigte Erdendasein bedingt ist; nicht bestehn kann, ohne höchste Ordnung des Einrichtens der gewöhnlichsten Dinge, und Umgebungen; und daß nur dadurch die uns ewig unbe- greifliche wie unwiederbringliche Zeit ökonomisirt wird: nur die besten Menschen unterwerfen sich diesen Bedingungen: die einzige Art, diese -- Erdfeinde -- zu umgehn; noch mehr! wir können schon die, welche sich dem unterwerfen, und sonst nichts aufzuweisen haben, zu den Guten rechnen. Schauen Sie nur, wie selten Vernünftig-Praktisches anzutreffen ist! Hiermit hört alles Schwerfällige dieses Briefes auf: ver- spreche ich wenigstens. Nur ganz in Ihrer Nähe wohnen zu können, kränklich wie ich bin, kann mir Dresden versüßen und anlockend machen. Ich müßte in Ihrem Salon, in Ihrem Garten, oder auf Ihrem grünen Hof still und stumm wie ein Hausgenoß sitzen können, und meine Seele -- der Rest geht
An Fräulein von R., in Dresden.
Sonntag, den 12. Auguſt 1827.
Wolkiges Wetter; bald Sonne, bald nicht: nach vor- geſtrigem heftigen Gewitter, mit größtem Regen, nach elektriſcher Glühhitze. Stark-thauige Herbſt- abende: ſtreng-kühle Nächte. Alle Menſchen müſſen ſich ſehr in Acht nehmen.
Wie könnte ich anders für Ihren treuen Brief, wahrhaft verehrte Freundin, danken, als mit allem was ich von Ih- nen weiß, halte, und in mein Herz geſchloſſen habe! Ich hatte Ihnen ſchon gedankt: für alles was von Ihnen kom- men kann, ja, kommen muß. Es iſt keine Kleinigkeit! Nur die beſten Menſchen ſind exakt. Nur die Beſten wiſſen, daß das höchſte gereinigte Erdendaſein bedingt iſt; nicht beſtehn kann, ohne höchſte Ordnung des Einrichtens der gewöhnlichſten Dinge, und Umgebungen; und daß nur dadurch die uns ewig unbe- greifliche wie unwiederbringliche Zeit ökonomiſirt wird: nur die beſten Menſchen unterwerfen ſich dieſen Bedingungen: die einzige Art, dieſe — Erdfeinde — zu umgehn; noch mehr! wir können ſchon die, welche ſich dem unterwerfen, und ſonſt nichts aufzuweiſen haben, zu den Guten rechnen. Schauen Sie nur, wie ſelten Vernünftig-Praktiſches anzutreffen iſt! Hiermit hört alles Schwerfällige dieſes Briefes auf: ver- ſpreche ich wenigſtens. Nur ganz in Ihrer Nähe wohnen zu können, kränklich wie ich bin, kann mir Dresden verſüßen und anlockend machen. Ich müßte in Ihrem Salon, in Ihrem Garten, oder auf Ihrem grünen Hof ſtill und ſtumm wie ein Hausgenoß ſitzen können, und meine Seele — der Reſt geht
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0285"n="277"/><divn="2"><head>An Fräulein von R., in Dresden.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Sonntag, den 12. Auguſt 1827.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#et">Wolkiges Wetter; bald Sonne, bald nicht: nach vor-<lb/>
geſtrigem heftigen Gewitter, mit größtem Regen,<lb/>
nach elektriſcher Glühhitze. Stark-thauige Herbſt-<lb/>
abende: ſtreng-kühle Nächte. <hirendition="#g">Alle</hi> Menſchen<lb/>
müſſen ſich <hirendition="#g">ſehr</hi> in Acht nehmen.</hi></p><lb/><p>Wie könnte ich anders für Ihren treuen Brief, wahrhaft<lb/>
verehrte Freundin, danken, als mit <hirendition="#g">allem</hi> was ich von Ih-<lb/>
nen weiß, halte, und in mein Herz geſchloſſen habe! Ich<lb/>
hatte Ihnen ſchon gedankt: für alles was von Ihnen kom-<lb/>
men kann, ja, kommen muß. Es <hirendition="#g">iſt</hi> keine Kleinigkeit! Nur<lb/>
die beſten Menſchen ſind exakt. Nur die Beſten wiſſen, daß das<lb/>
höchſte gereinigte Erdendaſein bedingt iſt; nicht beſtehn kann,<lb/>
ohne höchſte Ordnung des Einrichtens der gewöhnlichſten Dinge,<lb/>
und Umgebungen; und daß nur dadurch die uns ewig unbe-<lb/>
greifliche wie unwiederbringliche Zeit ökonomiſirt wird: nur<lb/>
die beſten Menſchen unterwerfen ſich dieſen Bedingungen: die<lb/><hirendition="#g">einz</hi>ige Art, <hirendition="#g">dieſe</hi>— Erdfeinde — zu umgehn; noch mehr!<lb/>
wir können ſchon die, welche ſich dem unterwerfen, und ſonſt<lb/>
nichts aufzuweiſen haben, zu den Guten rechnen. Schauen<lb/>
Sie nur, wie ſelten Vernünftig-Praktiſches anzutreffen iſt!<lb/>
Hiermit hört alles Schwerfällige dieſes Briefes auf: <hirendition="#g">ver-<lb/>ſpreche</hi> ich wenigſtens. Nur ganz in Ihrer Nähe wohnen<lb/>
zu können, kränklich wie ich bin, kann mir Dresden verſüßen<lb/>
und anlockend machen. Ich müßte in <hirendition="#g">Ihrem</hi> Salon, in Ihrem<lb/>
Garten, oder auf Ihrem grünen Hof ſtill und ſtumm wie ein<lb/>
Hausgenoß ſitzen können, und meine Seele — der Reſt geht<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[277/0285]
An Fräulein von R., in Dresden.
Sonntag, den 12. Auguſt 1827.
Wolkiges Wetter; bald Sonne, bald nicht: nach vor-
geſtrigem heftigen Gewitter, mit größtem Regen,
nach elektriſcher Glühhitze. Stark-thauige Herbſt-
abende: ſtreng-kühle Nächte. Alle Menſchen
müſſen ſich ſehr in Acht nehmen.
Wie könnte ich anders für Ihren treuen Brief, wahrhaft
verehrte Freundin, danken, als mit allem was ich von Ih-
nen weiß, halte, und in mein Herz geſchloſſen habe! Ich
hatte Ihnen ſchon gedankt: für alles was von Ihnen kom-
men kann, ja, kommen muß. Es iſt keine Kleinigkeit! Nur
die beſten Menſchen ſind exakt. Nur die Beſten wiſſen, daß das
höchſte gereinigte Erdendaſein bedingt iſt; nicht beſtehn kann,
ohne höchſte Ordnung des Einrichtens der gewöhnlichſten Dinge,
und Umgebungen; und daß nur dadurch die uns ewig unbe-
greifliche wie unwiederbringliche Zeit ökonomiſirt wird: nur
die beſten Menſchen unterwerfen ſich dieſen Bedingungen: die
einzige Art, dieſe — Erdfeinde — zu umgehn; noch mehr!
wir können ſchon die, welche ſich dem unterwerfen, und ſonſt
nichts aufzuweiſen haben, zu den Guten rechnen. Schauen
Sie nur, wie ſelten Vernünftig-Praktiſches anzutreffen iſt!
Hiermit hört alles Schwerfällige dieſes Briefes auf: ver-
ſpreche ich wenigſtens. Nur ganz in Ihrer Nähe wohnen
zu können, kränklich wie ich bin, kann mir Dresden verſüßen
und anlockend machen. Ich müßte in Ihrem Salon, in Ihrem
Garten, oder auf Ihrem grünen Hof ſtill und ſtumm wie ein
Hausgenoß ſitzen können, und meine Seele — der Reſt geht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/285>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.