noch fest entschlossen finde, dorthin zu gehn. Lassen Sie sich das nicht ausreden: weder durch Worte, noch durch das größte Applaudissement! Ich weiß, daß dies, je näher dem Lande der Singekunst, desto stärker, und inniger, und lärmender, und in Wien schon sehr bedeutend ausgedrückt wird. Sie sind schon eine erste Sängerin, das haben Sie in den größten Opern, und Hauptstädten, bewiesen, und genossen. Aber in Italien, unter lauter singverständigen Menschen, erschließt sich, in Ihnen selbst, noch ein anderes Singegebiet. Sie fin- den irgend einen großen, alten, fast unbekannten Meister, der Ihnen eine kurze Lehre, eine schnelle tiefe Einsicht über Aus- druck, Aussprache, Rezitativ und Deklamation giebt, auf die man in Deutschland schwerlich, in Frankreich nie käme; der Ihnen etwas untersagt, welches Sie in der Ausübung zwan- zig, dreißig Stufen erhebt; auf einen enormen Berg hebt, von welchem Sie dann als Sängerkönigin regieren. Große italiä- nische Sängerinnen erzählten mir naiv von ihrem genossenen Unterricht, in welchem ich dergleichen erkannte! In unserm Lande aber gänzlich vermisse! -- Jedoch Sie wissen das alles: und Sie sind die, welche, eines großen Talents und eben sol- chen Rufs unerachtet, naiv geblieben ist, um alle Tage Neues zu erlernen, so lange es solche gäbe! Mit dem größten An- theil habe ich gelesen, daß es Ihnen in Wien gut geht; und danke Ihnen wahrhaft, daß Sie so gut waren an mich zu denken, und es mir zu schreiben! Alle unsre Freunde nehmen den lebhaftesten Antheil daran. Wir Alle, unser ganzer Kreis, gehn nicht mehr in's Theater. Nur die Dlles. Elslers sahen wir mit Freuden. Nun mußt' ich die Tochter meiner Freun-
noch feſt entſchloſſen finde, dorthin zu gehn. Laſſen Sie ſich das nicht ausreden: weder durch Worte, noch durch das größte Applaudiſſement! Ich weiß, daß dies, je näher dem Lande der Singekunſt, deſto ſtärker, und inniger, und lärmender, und in Wien ſchon ſehr bedeutend ausgedrückt wird. Sie ſind ſchon eine erſte Sängerin, das haben Sie in den größten Opern, und Hauptſtädten, bewieſen, und genoſſen. Aber in Italien, unter lauter ſingverſtändigen Menſchen, erſchließt ſich, in Ihnen ſelbſt, noch ein anderes Singegebiet. Sie fin- den irgend einen großen, alten, faſt unbekannten Meiſter, der Ihnen eine kurze Lehre, eine ſchnelle tiefe Einſicht über Aus- druck, Ausſprache, Rezitativ und Deklamation giebt, auf die man in Deutſchland ſchwerlich, in Frankreich nie käme; der Ihnen etwas unterſagt, welches Sie in der Ausübung zwan- zig, dreißig Stufen erhebt; auf einen enormen Berg hebt, von welchem Sie dann als Sängerkönigin regieren. Große italiä- niſche Sängerinnen erzählten mir naiv von ihrem genoſſenen Unterricht, in welchem ich dergleichen erkannte! In unſerm Lande aber gänzlich vermiſſe! — Jedoch Sie wiſſen das alles: und Sie ſind die, welche, eines großen Talents und eben ſol- chen Rufs unerachtet, naiv geblieben iſt, um alle Tage Neues zu erlernen, ſo lange es ſolche gäbe! Mit dem größten An- theil habe ich geleſen, daß es Ihnen in Wien gut geht; und danke Ihnen wahrhaft, daß Sie ſo gut waren an mich zu denken, und es mir zu ſchreiben! Alle unſre Freunde nehmen den lebhafteſten Antheil daran. Wir Alle, unſer ganzer Kreis, gehn nicht mehr in’s Theater. Nur die Dlles. Elslers ſahen wir mit Freuden. Nun mußt’ ich die Tochter meiner Freun-
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noch feſt entſchloſſen finde, dorthin zu gehn. Laſſen Sie ſich
das nicht ausreden: weder durch Worte, noch durch das größte
Applaudiſſement! Ich weiß, daß dies, je näher dem Lande
der Singekunſt, deſto ſtärker, und inniger, und lärmender,
und in Wien ſchon ſehr bedeutend ausgedrückt wird. Sie ſind
ſchon eine erſte Sängerin, das haben Sie in den größten
Opern, und Hauptſtädten, bewieſen, und genoſſen. Aber in
Italien, unter lauter ſingverſtändigen Menſchen, erſchließt
ſich, in Ihnen ſelbſt, noch ein anderes Singegebiet. Sie fin-
den irgend einen großen, alten, faſt unbekannten Meiſter, der
Ihnen eine kurze Lehre, eine ſchnelle tiefe Einſicht über Aus-
druck, Ausſprache, Rezitativ und Deklamation giebt, auf die
man in Deutſchland ſchwerlich, in Frankreich nie käme; der
Ihnen etwas unterſagt, welches Sie in der Ausübung zwan-
zig, dreißig Stufen erhebt; auf einen enormen Berg hebt, von
welchem Sie dann als Sängerkönigin regieren. Große italiä-
niſche Sängerinnen erzählten mir naiv von ihrem genoſſenen
Unterricht, in welchem ich dergleichen erkannte! In unſerm
Lande aber gänzlich vermiſſe! — Jedoch Sie wiſſen das alles:
und Sie ſind die, welche, eines großen Talents und eben ſol-
chen Rufs unerachtet, naiv geblieben iſt, um alle Tage Neues
zu erlernen, ſo lange es ſolche gäbe! Mit dem größten An-
theil habe ich geleſen, daß es Ihnen in Wien gut geht; und
danke Ihnen wahrhaft, daß Sie ſo gut waren an mich zu
denken, und es mir zu ſchreiben! Alle unſre Freunde nehmen
den lebhafteſten Antheil daran. Wir Alle, unſer ganzer Kreis,
gehn nicht mehr in’s Theater. Nur die Dlles. Elslers ſahen
wir mit Freuden. Nun mußt’ ich die Tochter meiner Freun-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/483>, abgerufen am 28.11.2024.
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