Unordnung, sondern -- eben nach "den vierzig Jahren Ar- beit" -- was die in der Zeit sich folgenden Menschen nun jetzt zu wollen haben. Denken Sie nicht an das, was Menschen ewig wollen sollten: sondern fassen Sie in's Auge, was Weltwirrwar, alte Sünden, längst Verfehltes nun erlaubt, und wohin eben dies drängt. Im ganzen gewiß auch nach dem, was der Mensch soll: aber maskirt. Scheuen Sie diese Maske wie jede andere nicht! Behalten Sie das Heft in Händen! Sein Sie großartig. "Vous en parlez bien a votre aise!" werden Sie denken. Fanny lebt noch, fragen Sie die; sie war zugegen, als ich aus blauem Him- mel Warschau's Revolution erfuhr, -- Graf Mocenigo kam, und nach halbstündiger Tagesunterhaltung sagte er uns das, -- ich glaubte zu sterben. Ein Brustkrampf befiel mich, auf- springen mußte ich, noch bin ich nächtlich krank davon. -- -- In der Welt fürchte ich nichts so, als Pöbel, Hornvieh, Unvernunft, bis zur Besinnungslosigkeit, und Krämpfen, -- ich will nichts mehr als Ruhe. Ich habe längst meinen "Bankrutt" gemacht; ich könnte nur noch gemartert und blut- arm werden; und hoffe doch. Und nun Sie! -- Ein Len- ker, wenn Sie wollen. Wem gehören denn die Länder, wer sind denn die Regierungen, als solche? O könnte ich mit dem Munde zu Ihnen reden! -- Nur eine Frau! Keine Main- tenon, und keine des Ursins, und doch nähmen Sie einen Rath von mir in Gebrauch. Wie viel sah ich früh ein! wie viel sagt' ich vorher von den Dingen, mit denen Sie han- thieren. Aber verwesen mußte meine gute Einsicht. Erinnern Sie sich noch, wie Sie mir in Prag erzählten, Sie hätten
Unordnung, ſondern — eben nach „den vierzig Jahren Ar- beit“ — was die in der Zeit ſich folgenden Menſchen nun jetzt zu wollen haben. Denken Sie nicht an das, was Menſchen ewig wollen ſollten: ſondern faſſen Sie in’s Auge, was Weltwirrwar, alte Sünden, längſt Verfehltes nun erlaubt, und wohin eben dies drängt. Im ganzen gewiß auch nach dem, was der Menſch ſoll: aber maskirt. Scheuen Sie dieſe Maske wie jede andere nicht! Behalten Sie das Heft in Händen! Sein Sie großartig. „Vous en parlez bien à votre aise!” werden Sie denken. Fanny lebt noch, fragen Sie die; ſie war zugegen, als ich aus blauem Him- mel Warſchau’s Revolution erfuhr, — Graf Mocenigo kam, und nach halbſtündiger Tagesunterhaltung ſagte er uns das, — ich glaubte zu ſterben. Ein Bruſtkrampf befiel mich, auf- ſpringen mußte ich, noch bin ich nächtlich krank davon. — — In der Welt fürchte ich nichts ſo, als Pöbel, Hornvieh, Unvernunft, bis zur Beſinnungsloſigkeit, und Krämpfen, — ich will nichts mehr als Ruhe. Ich habe längſt meinen „Bankrutt“ gemacht; ich könnte nur noch gemartert und blut- arm werden; und hoffe doch. Und nun Sie! — Ein Len- ker, wenn Sie wollen. Wem gehören denn die Länder, wer ſind denn die Regierungen, als ſolche? O könnte ich mit dem Munde zu Ihnen reden! — Nur eine Frau! Keine Main- tenon, und keine des Urſins, und doch nähmen Sie einen Rath von mir in Gebrauch. Wie viel ſah ich früh ein! wie viel ſagt’ ich vorher von den Dingen, mit denen Sie han- thieren. Aber verweſen mußte meine gute Einſicht. Erinnern Sie ſich noch, wie Sie mir in Prag erzählten, Sie hätten
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Unordnung, ſondern — eben nach „den vierzig Jahren Ar-
beit“ — was die in der Zeit ſich folgenden Menſchen
nun jetzt zu wollen haben. Denken Sie nicht an das, was
Menſchen ewig wollen ſollten: ſondern faſſen Sie in’s Auge,
was Weltwirrwar, alte Sünden, längſt Verfehltes nun
erlaubt, und wohin eben dies drängt. Im ganzen gewiß
auch nach dem, was der Menſch ſoll: aber maskirt. Scheuen
Sie dieſe Maske wie jede andere nicht! Behalten Sie das
Heft in Händen! Sein Sie großartig. „Vous en parlez
bien à votre aise!” werden Sie denken. Fanny lebt noch,
fragen Sie die; ſie war zugegen, als ich aus blauem Him-
mel Warſchau’s Revolution erfuhr, — Graf Mocenigo kam,
und nach halbſtündiger Tagesunterhaltung ſagte er uns das, —
ich glaubte zu ſterben. Ein Bruſtkrampf befiel mich, auf-
ſpringen mußte ich, noch bin ich nächtlich krank davon. — —
In der Welt fürchte ich nichts ſo, als Pöbel, Hornvieh,
Unvernunft, bis zur Beſinnungsloſigkeit, und Krämpfen, —
ich will nichts mehr als Ruhe. Ich habe längſt meinen
„Bankrutt“ gemacht; ich könnte nur noch gemartert und blut-
arm werden; und hoffe doch. Und nun Sie! — Ein Len-
ker, wenn Sie wollen. Wem gehören denn die Länder, wer
ſind denn die Regierungen, als ſolche? O könnte ich mit dem
Munde zu Ihnen reden! — Nur eine Frau! Keine Main-
tenon, und keine des Urſins, und doch nähmen Sie einen
Rath von mir in Gebrauch. Wie viel ſah ich früh ein! wie
viel ſagt’ ich vorher von den Dingen, mit denen Sie han-
thieren. Aber verweſen mußte meine gute Einſicht. Erinnern
Sie ſich noch, wie Sie mir in Prag erzählten, Sie hätten
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/492>, abgerufen am 23.11.2024.
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