Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

sammlung anredete: "Meine Herren, ich überlasse Ihnen diese
wichtigen Gegenstände ferner in's Reine zu bringen; ich mei-
nestheils muß ihre Aufmerksamkeit nach einer ganz andern
Richtung erbitten; ich werde Ihnen nicht von der Verant-
wortlichkeit der Minister, nicht von der Preßfreiheit, nicht von
monarchischen oder republikanischen Prinzipien sprechen, aber
ich muß Ihnen von Schiffen sprechen!" So redete Hr. von
Henning ohne weiteres von den Sachen, und ich verstand
es gleich; sein Bericht war klar, bündig, nichts überflüssig,
und ganz hinreichend. So zeigt sich der ächte Beruf immer,
ganz unbefangen und ungesucht; und ich begreife nicht, wie
man den oft so lange vor Augen haben, und nicht erkennen
kann. Bei so großem Bedürfniß und eingestandenem Man-
gel, grade in diesem Fach!



An Rose, im Haag.


Bewölktes Wetter; bald Sonne, bald keine.
Nordwestwind; contra cholera!

Lasse dich grüßen, liebe Rosenschwester! Meine Angst
wegen der Seuche geht noch an. Unser ganzes Dasein ist ein
ununterbrochenes Wunder; wir sind immer, und Alle, a la dis-
cretion du bon Dieu.
Todesnöthe habe ich schon oft ausge-
standen: erst diesen Frühling an der Influenza. Bis tief in
den Sommer hatte ich keine Kräfte zu reisen: später näherte sich
das asiatische Übel: all mein Reisegeld muß ich zu Vorberei-
tung für mich, und meine bekannten Armen anwenden: die

ſammlung anredete: „Meine Herren, ich überlaſſe Ihnen dieſe
wichtigen Gegenſtände ferner in’s Reine zu bringen; ich mei-
nestheils muß ihre Aufmerkſamkeit nach einer ganz andern
Richtung erbitten; ich werde Ihnen nicht von der Verant-
wortlichkeit der Miniſter, nicht von der Preßfreiheit, nicht von
monarchiſchen oder republikaniſchen Prinzipien ſprechen, aber
ich muß Ihnen von Schiffen ſprechen!“ So redete Hr. von
Henning ohne weiteres von den Sachen, und ich verſtand
es gleich; ſein Bericht war klar, bündig, nichts überflüſſig,
und ganz hinreichend. So zeigt ſich der ächte Beruf immer,
ganz unbefangen und ungeſucht; und ich begreife nicht, wie
man den oft ſo lange vor Augen haben, und nicht erkennen
kann. Bei ſo großem Bedürfniß und eingeſtandenem Man-
gel, grade in dieſem Fach!



An Roſe, im Haag.


Bewölktes Wetter; bald Sonne, bald keine.
Nordweſtwind; contra choléra!

Laſſe dich grüßen, liebe Roſenſchweſter! Meine Angſt
wegen der Seuche geht noch an. Unſer ganzes Daſein iſt ein
ununterbrochenes Wunder; wir ſind immer, und Alle, à la dis-
crétion du bon Dieu.
Todesnöthe habe ich ſchon oft ausge-
ſtanden: erſt dieſen Frühling an der Influenza. Bis tief in
den Sommer hatte ich keine Kräfte zu reiſen: ſpäter näherte ſich
das aſiatiſche Übel: all mein Reiſegeld muß ich zu Vorberei-
tung für mich, und meine bekannten Armen anwenden: die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0524" n="516"/>
&#x017F;ammlung anredete: &#x201E;Meine Herren, ich überla&#x017F;&#x017F;e Ihnen die&#x017F;e<lb/>
wichtigen Gegen&#x017F;tände ferner in&#x2019;s Reine zu bringen; ich mei-<lb/>
nestheils muß ihre Aufmerk&#x017F;amkeit nach einer ganz andern<lb/>
Richtung erbitten; ich werde Ihnen nicht von der Verant-<lb/>
wortlichkeit der Mini&#x017F;ter, nicht von der Preßfreiheit, nicht von<lb/>
monarchi&#x017F;chen oder republikani&#x017F;chen Prinzipien &#x017F;prechen, aber<lb/>
ich muß Ihnen von <hi rendition="#g">Schiffen</hi> &#x017F;prechen!&#x201C; So redete Hr. von<lb/>
Henning ohne weiteres von den <hi rendition="#g">Sachen</hi>, und ich ver&#x017F;tand<lb/>
es gleich; &#x017F;ein Bericht war klar, bündig, nichts überflü&#x017F;&#x017F;ig,<lb/>
und <hi rendition="#g">ganz</hi> hinreichend. So zeigt &#x017F;ich der ächte Beruf immer,<lb/>
ganz unbefangen und unge&#x017F;ucht; und ich begreife nicht, wie<lb/>
man den oft &#x017F;o lange vor Augen haben, und nicht erkennen<lb/>
kann. Bei &#x017F;o großem Bedürfniß und einge&#x017F;tandenem Man-<lb/>
gel, grade in die&#x017F;em Fach!</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Ro&#x017F;e, im Haag.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Dienstag, den 22. Augu&#x017F;t 1831.</hi> </dateline><lb/>
          <p> <hi rendition="#et">Bewölktes Wetter; bald Sonne, bald keine.<lb/>
Nordwe&#x017F;twind; <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">contra</hi> choléra!</hi></hi> </p><lb/>
          <p>La&#x017F;&#x017F;e dich grüßen, liebe Ro&#x017F;en&#x017F;chwe&#x017F;ter! Meine Ang&#x017F;t<lb/>
wegen der Seuche geht noch an. Un&#x017F;er ganzes Da&#x017F;ein i&#x017F;t ein<lb/>
ununterbrochenes Wunder; wir &#x017F;ind immer, und Alle, <hi rendition="#aq">à la dis-<lb/>
crétion du bon Dieu.</hi> Todesnöthe habe ich &#x017F;chon oft ausge-<lb/>
&#x017F;tanden: er&#x017F;t die&#x017F;en Frühling an der Influenza. Bis tief in<lb/>
den Sommer hatte ich keine Kräfte zu rei&#x017F;en: &#x017F;päter näherte &#x017F;ich<lb/>
das a&#x017F;iati&#x017F;che Übel: all mein Rei&#x017F;egeld muß ich zu Vorberei-<lb/>
tung für mich, und meine bekannten Armen anwenden: die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[516/0524] ſammlung anredete: „Meine Herren, ich überlaſſe Ihnen dieſe wichtigen Gegenſtände ferner in’s Reine zu bringen; ich mei- nestheils muß ihre Aufmerkſamkeit nach einer ganz andern Richtung erbitten; ich werde Ihnen nicht von der Verant- wortlichkeit der Miniſter, nicht von der Preßfreiheit, nicht von monarchiſchen oder republikaniſchen Prinzipien ſprechen, aber ich muß Ihnen von Schiffen ſprechen!“ So redete Hr. von Henning ohne weiteres von den Sachen, und ich verſtand es gleich; ſein Bericht war klar, bündig, nichts überflüſſig, und ganz hinreichend. So zeigt ſich der ächte Beruf immer, ganz unbefangen und ungeſucht; und ich begreife nicht, wie man den oft ſo lange vor Augen haben, und nicht erkennen kann. Bei ſo großem Bedürfniß und eingeſtandenem Man- gel, grade in dieſem Fach! An Roſe, im Haag. Dienstag, den 22. Auguſt 1831. Bewölktes Wetter; bald Sonne, bald keine. Nordweſtwind; contra choléra! Laſſe dich grüßen, liebe Roſenſchweſter! Meine Angſt wegen der Seuche geht noch an. Unſer ganzes Daſein iſt ein ununterbrochenes Wunder; wir ſind immer, und Alle, à la dis- crétion du bon Dieu. Todesnöthe habe ich ſchon oft ausge- ſtanden: erſt dieſen Frühling an der Influenza. Bis tief in den Sommer hatte ich keine Kräfte zu reiſen: ſpäter näherte ſich das aſiatiſche Übel: all mein Reiſegeld muß ich zu Vorberei- tung für mich, und meine bekannten Armen anwenden: die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/524
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/524>, abgerufen am 22.11.2024.