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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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An Frau von Zielinski, in Frankfurt an der Oder.


Halbes Sonnenwetter; sie ist hinter einem grauwol-
kigen Himmel; bald da, bald nicht; nach einer idea-
lischen Mondnacht, die ordentlich nahrhaftes Wetter
in sich hatte: aber dies bringt bei uns jedesmal Re-
gen in den ersten zwölf Stunden.

Wie muß diese Nacht erst bei Ihnen gewesen sein! --
wenn die Oder etwa nicht zu stark dunstet, und man nicht
schlechte Luftklumpen zu befürchten hätte, welche die Atmo-
sphäre nicht verdauen kann, und wir Erdwürmer es für sie
müssen, aber nicht können; (meine Theorie dieser Krank-
heit) --. Wie gönne ich Ihnen Ihr Zuhause! Ihre Muße,
Stille, Aufgeräumtheit der Zimmer, Möglichkeit zum Fleiß,
den Horizont, die Lichter, den Umriß der Bäume, den Him-
mel, das Wolkenspiel, die freie Luft, den Geruch, die Farben,
das Schwanken der Bäume und Gewächse, des Windes Töne,
das Wasser, den Garten, alles, alles! Es ist eine Erholung,
wenn ich mir Sie in diesem Rettungs-Asyl denke! Genie-
ßen
Sie es in Ermanglung von etwas andrem! und --
glauben Sie, liebe Minna, es giebt nichts anderes; es giebt
es wohl, aber man bekommt es nicht: oder vielmehr man
kann es nicht haben; heißt, nicht behalten, nicht anwenden.
Ein Gefühl, ein Wohlgefallen, ein Augenglück muß keine
Situation, kein Verhältniß, kein Bedingniß werden: nicht in
Ökonomie -- in jedem Sinn Ökonomie -- gemischt werden:
der wir es im Tageslauf nicht vorenthalten, ihm nicht ab-
wehren können. "Die Menschen kennen einander nicht," sagt

An Frau von Zielinski, in Frankfurt an der Oder.


Halbes Sonnenwetter; ſie iſt hinter einem grauwol-
kigen Himmel; bald da, bald nicht; nach einer idea-
liſchen Mondnacht, die ordentlich nahrhaftes Wetter
in ſich hatte: aber dies bringt bei uns jedesmal Re-
gen in den erſten zwölf Stunden.

Wie muß dieſe Nacht erſt bei Ihnen geweſen ſein! —
wenn die Oder etwa nicht zu ſtark dunſtet, und man nicht
ſchlechte Luftklumpen zu befürchten hätte, welche die Atmo-
ſphäre nicht verdauen kann, und wir Erdwürmer es für ſie
müſſen, aber nicht können; (meine Theorie dieſer Krank-
heit) —. Wie gönne ich Ihnen Ihr Zuhauſe! Ihre Muße,
Stille, Aufgeräumtheit der Zimmer, Möglichkeit zum Fleiß,
den Horizont, die Lichter, den Umriß der Bäume, den Him-
mel, das Wolkenſpiel, die freie Luft, den Geruch, die Farben,
das Schwanken der Bäume und Gewächſe, des Windes Töne,
das Waſſer, den Garten, alles, alles! Es iſt eine Erholung,
wenn ich mir Sie in dieſem Rettungs-Aſyl denke! Genie-
ßen
Sie es in Ermanglung von etwas andrem! und —
glauben Sie, liebe Minna, es giebt nichts anderes; es giebt
es wohl, aber man bekommt es nicht: oder vielmehr man
kann es nicht haben; heißt, nicht behalten, nicht anwenden.
Ein Gefühl, ein Wohlgefallen, ein Augenglück muß keine
Situation, kein Verhältniß, kein Bedingniß werden: nicht in
Ökonomie — in jedem Sinn Ökonomie — gemiſcht werden:
der wir es im Tageslauf nicht vorenthalten, ihm nicht ab-
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[526/0534] An Frau von Zielinski, in Frankfurt an der Oder. Sonntag Vormittag, halb 11 Uhr, den 25. September 1831. Halbes Sonnenwetter; ſie iſt hinter einem grauwol- kigen Himmel; bald da, bald nicht; nach einer idea- liſchen Mondnacht, die ordentlich nahrhaftes Wetter in ſich hatte: aber dies bringt bei uns jedesmal Re- gen in den erſten zwölf Stunden. Wie muß dieſe Nacht erſt bei Ihnen geweſen ſein! — wenn die Oder etwa nicht zu ſtark dunſtet, und man nicht ſchlechte Luftklumpen zu befürchten hätte, welche die Atmo- ſphäre nicht verdauen kann, und wir Erdwürmer es für ſie müſſen, aber nicht können; (meine Theorie dieſer Krank- heit) —. Wie gönne ich Ihnen Ihr Zuhauſe! Ihre Muße, Stille, Aufgeräumtheit der Zimmer, Möglichkeit zum Fleiß, den Horizont, die Lichter, den Umriß der Bäume, den Him- mel, das Wolkenſpiel, die freie Luft, den Geruch, die Farben, das Schwanken der Bäume und Gewächſe, des Windes Töne, das Waſſer, den Garten, alles, alles! Es iſt eine Erholung, wenn ich mir Sie in dieſem Rettungs-Aſyl denke! Genie- ßen Sie es in Ermanglung von etwas andrem! und — glauben Sie, liebe Minna, es giebt nichts anderes; es giebt es wohl, aber man bekommt es nicht: oder vielmehr man kann es nicht haben; heißt, nicht behalten, nicht anwenden. Ein Gefühl, ein Wohlgefallen, ein Augenglück muß keine Situation, kein Verhältniß, kein Bedingniß werden: nicht in Ökonomie — in jedem Sinn Ökonomie — gemiſcht werden: der wir es im Tageslauf nicht vorenthalten, ihm nicht ab- wehren können. „Die Menſchen kennen einander nicht,“ ſagt

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 526. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/534>, abgerufen am 22.11.2024.