Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Sie mir über mich, und keinen Andern glauben. Je länger
Sie leben, je mehr werden Sie mir glauben. Sagen Sie,
liebe Tochter, was sind das für Leute, die Sie irre über mein
Übelnehmen oder Nichtübelnehmen wegen Abschied und Abreise
machen konnten? Daß mich mein ganzer Kreis nicht kennt,
ist eine alte, herbe, verhärtete Privation. Alle Tage sehe
ich es mehr. O! und dürft' ich's sagen, so würde ich Ihnen
sagen: es weiß keiner aus ihm, daß es eine solche Person
giebt, wie ich eine bin. Nicht von Geist, oder Güte; oder
Talenten, und Verstand: aber von solchem Zusammenhange
in Gemüth und Überzeugung. Das entgeht ihnen Allen so,
daß ich sie ennuyire; ennuyire; (denn sie vernehmen mich
nicht; und hören in meinen Äußerungen lose Worte, in denen
nicht Einmal so viel sitzt, als in ihren; denn ihres sitzt wirk-
lich
nicht darin; also für sie nichts;) sonst ließen sie mich
-- bei meiner Nachsicht, die ich übe, und nie übelnehme! --
nicht rein sitzen. Sie denken, meine Eitelkeit ist so kom-
pakt geworden, daß sich ein Horn vor meiner Stirn gebildet
haben muß -- wie ich immer sage --; ich gebe mich preis;
untersuchen Sie, richten Sie; fragen Sie mich jede Frage;
ich will antworten, berichten, erzählen, gestehn: und wir wol-
len sehn, was herauskommt: wäre hier ein jüngster Tag
nicht zu wichtig, besonders für einen Andern, als mich. Aber
auch mein Herz ist ganz unverletzt; nur indignirt bin
ich noch, in gänzlicher Verachtung, Anerkennung dessen, was
ich kenne. Könnten Sie mir glauben: oder, wäre eine
durchsichtige Scheibe auf meiner Brust!

Nehmen Sie sich auch recht in Acht? Abendthau ist

die

Sie mir über mich, und keinen Andern glauben. Je länger
Sie leben, je mehr werden Sie mir glauben. Sagen Sie,
liebe Tochter, was ſind das für Leute, die Sie irre über mein
Übelnehmen oder Nichtübelnehmen wegen Abſchied und Abreiſe
machen konnten? Daß mich mein ganzer Kreis nicht kennt,
iſt eine alte, herbe, verhärtete Privation. Alle Tage ſehe
ich es mehr. O! und dürft’ ich’s ſagen, ſo würde ich Ihnen
ſagen: es weiß keiner aus ihm, daß es eine ſolche Perſon
giebt, wie ich eine bin. Nicht von Geiſt, oder Güte; oder
Talenten, und Verſtand: aber von ſolchem Zuſammenhange
in Gemüth und Überzeugung. Das entgeht ihnen Allen ſo,
daß ich ſie ennuyire; ennuyire; (denn ſie vernehmen mich
nicht; und hören in meinen Äußerungen loſe Worte, in denen
nicht Einmal ſo viel ſitzt, als in ihren; denn ihres ſitzt wirk-
lich
nicht darin; alſo für ſie nichts;) ſonſt ließen ſie mich
— bei meiner Nachſicht, die ich übe, und nie übelnehme! —
nicht rein ſitzen. Sie denken, meine Eitelkeit iſt ſo kom-
pakt geworden, daß ſich ein Horn vor meiner Stirn gebildet
haben muß — wie ich immer ſage —; ich gebe mich preis;
unterſuchen Sie, richten Sie; fragen Sie mich jede Frage;
ich will antworten, berichten, erzählen, geſtehn: und wir wol-
len ſehn, was herauskommt: wäre hier ein jüngſter Tag
nicht zu wichtig, beſonders für einen Andern, als mich. Aber
auch mein Herz iſt ganz unverletzt; nur indignirt bin
ich noch, in gänzlicher Verachtung, Anerkennung deſſen, was
ich kenne. Könnten Sie mir glauben: oder, wäre eine
durchſichtige Scheibe auf meiner Bruſt!

Nehmen Sie ſich auch recht in Acht? Abendthau iſt

die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0536" n="528"/>
Sie <hi rendition="#g">mir</hi> über mich, und keinen Andern glauben. Je länger<lb/>
Sie leben, je mehr werden Sie mir glauben. Sagen Sie,<lb/>
liebe Tochter, was &#x017F;ind das für Leute, die Sie irre über mein<lb/>
Übelnehmen oder Nichtübelnehmen wegen Ab&#x017F;chied und Abrei&#x017F;e<lb/>
machen konnten? Daß mich mein ganzer Kreis nicht kennt,<lb/>
i&#x017F;t eine alte, herbe, verhärtete Privation. <hi rendition="#g">Alle</hi> Tage &#x017F;ehe<lb/>
ich es mehr. O! und dürft&#x2019; ich&#x2019;s &#x017F;agen, &#x017F;o würde ich <hi rendition="#g">Ihnen</hi><lb/>
&#x017F;agen: es weiß keiner aus ihm, daß es eine &#x017F;olche Per&#x017F;on<lb/><hi rendition="#g">giebt</hi>, wie ich eine bin. Nicht von Gei&#x017F;t, oder Güte; oder<lb/>
Talenten, und Ver&#x017F;tand: aber von &#x017F;olchem Zu&#x017F;ammenhange<lb/>
in Gemüth und Überzeugung. Das entgeht ihnen Allen &#x017F;o,<lb/>
daß ich &#x017F;ie ennuyire; <hi rendition="#g">ennuyire</hi>; (denn &#x017F;ie vernehmen mich<lb/>
nicht; und hören in meinen Äußerungen lo&#x017F;e Worte, in denen<lb/>
nicht Einmal &#x017F;o viel &#x017F;itzt, als in ihren; denn ihres &#x017F;itzt <hi rendition="#g">wirk-<lb/>
lich</hi> nicht darin; al&#x017F;o für &#x017F;ie <hi rendition="#g">nichts</hi>;) &#x017F;on&#x017F;t ließen &#x017F;ie mich<lb/>
&#x2014; bei meiner Nach&#x017F;icht, die ich übe, und nie <hi rendition="#g">übeln</hi>ehme! &#x2014;<lb/>
nicht <hi rendition="#g">rein &#x017F;itzen</hi>. Sie denken, meine Eitelkeit i&#x017F;t &#x017F;o kom-<lb/>
pakt geworden, daß &#x017F;ich ein Horn vor meiner Stirn gebildet<lb/>
haben muß &#x2014; wie <hi rendition="#g">ich</hi> immer &#x017F;age &#x2014;; ich gebe mich <hi rendition="#g">preis</hi>;<lb/>
unter&#x017F;uchen Sie, richten Sie; fragen Sie mich jede Frage;<lb/>
ich will antworten, berichten, erzählen, ge&#x017F;tehn: und wir wol-<lb/>
len &#x017F;ehn, was herauskommt: wäre <hi rendition="#g">hier</hi> ein jüng&#x017F;ter Tag<lb/>
nicht zu wichtig, be&#x017F;onders für einen Andern, als mich. Aber<lb/>
auch <hi rendition="#g">mein Herz</hi> i&#x017F;t ganz <hi rendition="#g">unverletzt</hi>; nur indignirt bin<lb/>
ich noch, in gänzlicher Verachtung, Anerkennung de&#x017F;&#x017F;en, <hi rendition="#g">was</hi><lb/>
ich kenne. <hi rendition="#g">Könnten</hi> Sie mir glauben: oder, wäre eine<lb/>
durch&#x017F;ichtige Scheibe auf meiner Bru&#x017F;t!</p><lb/>
          <p>Nehmen Sie &#x017F;ich auch recht in Acht? Abendthau <hi rendition="#g">i&#x017F;t</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[528/0536] Sie mir über mich, und keinen Andern glauben. Je länger Sie leben, je mehr werden Sie mir glauben. Sagen Sie, liebe Tochter, was ſind das für Leute, die Sie irre über mein Übelnehmen oder Nichtübelnehmen wegen Abſchied und Abreiſe machen konnten? Daß mich mein ganzer Kreis nicht kennt, iſt eine alte, herbe, verhärtete Privation. Alle Tage ſehe ich es mehr. O! und dürft’ ich’s ſagen, ſo würde ich Ihnen ſagen: es weiß keiner aus ihm, daß es eine ſolche Perſon giebt, wie ich eine bin. Nicht von Geiſt, oder Güte; oder Talenten, und Verſtand: aber von ſolchem Zuſammenhange in Gemüth und Überzeugung. Das entgeht ihnen Allen ſo, daß ich ſie ennuyire; ennuyire; (denn ſie vernehmen mich nicht; und hören in meinen Äußerungen loſe Worte, in denen nicht Einmal ſo viel ſitzt, als in ihren; denn ihres ſitzt wirk- lich nicht darin; alſo für ſie nichts;) ſonſt ließen ſie mich — bei meiner Nachſicht, die ich übe, und nie übelnehme! — nicht rein ſitzen. Sie denken, meine Eitelkeit iſt ſo kom- pakt geworden, daß ſich ein Horn vor meiner Stirn gebildet haben muß — wie ich immer ſage —; ich gebe mich preis; unterſuchen Sie, richten Sie; fragen Sie mich jede Frage; ich will antworten, berichten, erzählen, geſtehn: und wir wol- len ſehn, was herauskommt: wäre hier ein jüngſter Tag nicht zu wichtig, beſonders für einen Andern, als mich. Aber auch mein Herz iſt ganz unverletzt; nur indignirt bin ich noch, in gänzlicher Verachtung, Anerkennung deſſen, was ich kenne. Könnten Sie mir glauben: oder, wäre eine durchſichtige Scheibe auf meiner Bruſt! Nehmen Sie ſich auch recht in Acht? Abendthau iſt die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/536
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/536>, abgerufen am 22.11.2024.