von machten, genug haben! Ich beuge mich unter Gottes Beschlüsse: und bin seelenruhig jetzt. -- Unsere eigentliche Seele sind die Wünsche, das Sehnen. Gebannt ist sie nur, in Widerspruch. -- Haben Sie Goethens Wanderjahre gelesen? dies apropos von allem! von Seele, Leben, Dasein; sich fassen, es betrachten u. s. w. Mit der Geselligkeit geht es dabei seinen Gang. Ich habe mir in meiner Angegriffenheit nur die Menschen abzuhalten. Sie haben es gut bei mir. Sie finden sich, erstlich. Werden geschmeichelt, bewirthet, ge- pflegt, nicht persönlich widersprochen, umgangen, können nach dem Theater kommen, finden Gespräch, auch wenn sie uns allein treffen, die neusten Bücher, immer willige Erfrischung. Und da ist's -- wie bei Ihnen: nachdem, was mir Herr von Lehr erzählt. -- Dieser gefällt mir sehr gut: er ist Ihnen sehr gewogen; ehrt und kennt Sie. Mich freute das sehr: herzensgeliebte, alte, immer theure Auguste! Es bleibt ganz bei Prag! Wie dort, so immer. Varnhagen will absolut von Töplitz einen Augenblick nach Prag. Da werde ich denn auf unsern Gräbern wandern, wo unser dortiges schönes, wenn auch schreckenvolles Leben hingelegt ist. Wir können daran denken: es hat ein ferneres erzeugt, aber wir können es nicht wiederleben; konnten es nicht halten! -- Adieu Freundin! Schöne, Liebe! Meine Augen werden Sie noch sehen! Dann wollen wir wieder lachen. Sie inspiriren mich wie Keiner! Immer dieselbe und
Ihre R.
Den 7. September 1821. war bei Fürst Clary in Töplitz die Rede von Büchern und Lesen; da fragte Baron E. die
von machten, genug haben! Ich beuge mich unter Gottes Beſchlüſſe: und bin ſeelenruhig jetzt. — Unſere eigentliche Seele ſind die Wünſche, das Sehnen. Gebannt iſt ſie nur, in Widerſpruch. — Haben Sie Goethens Wanderjahre geleſen? dies apropos von allem! von Seele, Leben, Daſein; ſich faſſen, es betrachten u. ſ. w. Mit der Geſelligkeit geht es dabei ſeinen Gang. Ich habe mir in meiner Angegriffenheit nur die Menſchen abzuhalten. Sie haben es gut bei mir. Sie finden ſich, erſtlich. Werden geſchmeichelt, bewirthet, ge- pflegt, nicht perſönlich widerſprochen, umgangen, können nach dem Theater kommen, finden Geſpräch, auch wenn ſie uns allein treffen, die neuſten Bücher, immer willige Erfriſchung. Und da iſt’s — wie bei Ihnen: nachdem, was mir Herr von Lehr erzählt. — Dieſer gefällt mir ſehr gut: er iſt Ihnen ſehr gewogen; ehrt und kennt Sie. Mich freute das ſehr: herzensgeliebte, alte, immer theure Auguſte! Es bleibt ganz bei Prag! Wie dort, ſo immer. Varnhagen will abſolut von Töplitz einen Augenblick nach Prag. Da werde ich denn auf unſern Gräbern wandern, wo unſer dortiges ſchönes, wenn auch ſchreckenvolles Leben hingelegt iſt. Wir können daran denken: es hat ein ferneres erzeugt, aber wir können es nicht wiederleben; konnten es nicht halten! — Adieu Freundin! Schöne, Liebe! Meine Augen werden Sie noch ſehen! Dann wollen wir wieder lachen. Sie inſpiriren mich wie Keiner! Immer dieſelbe und
Ihre R.
Den 7. September 1821. war bei Fürſt Clary in Töplitz die Rede von Büchern und Leſen; da fragte Baron E. die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0055"n="47"/>
von machten, genug haben! Ich beuge mich unter Gottes<lb/>
Beſchlüſſe: und bin ſeelenruhig jetzt. — Unſere eigentliche Seele<lb/>ſind die Wünſche, das Sehnen. <hirendition="#g">Gebannt</hi> iſt ſie nur, in<lb/>
Widerſpruch. — Haben Sie Goethens Wanderjahre geleſen?<lb/>
dies apropos von allem! von Seele, Leben, Daſein; ſich<lb/>
faſſen, es betrachten u. ſ. w. Mit der Geſelligkeit geht es<lb/>
dabei ſeinen Gang. Ich habe mir in meiner Angegriffenheit<lb/>
nur die Menſchen abzuhalten. Sie haben es gut bei mir.<lb/>
Sie finden ſich, erſtlich. Werden geſchmeichelt, bewirthet, ge-<lb/>
pflegt, nicht perſönlich widerſprochen, umgangen, können nach<lb/>
dem Theater kommen, finden Geſpräch, auch wenn ſie uns<lb/>
allein treffen, die neuſten Bücher, immer willige Erfriſchung.<lb/>
Und da iſt’s — wie bei Ihnen: nachdem, was mir Herr<lb/>
von Lehr erzählt. — Dieſer gefällt mir ſehr gut: er iſt Ihnen<lb/>ſehr gewogen; ehrt und kennt Sie. Mich freute das ſehr:<lb/>
herzensgeliebte, alte, immer theure Auguſte! Es bleibt ganz<lb/>
bei Prag! Wie dort, ſo immer. Varnhagen will abſolut von<lb/>
Töplitz einen Augenblick nach Prag. Da werde ich denn auf<lb/>
unſern Gräbern wandern, wo unſer dortiges ſchönes, wenn<lb/>
auch ſchreckenvolles Leben hingelegt iſt. Wir können daran<lb/>
denken: es hat ein ferneres erzeugt, aber wir können es nicht<lb/>
wiederleben; konnten es nicht halten! — Adieu Freundin!<lb/>
Schöne, Liebe! Meine Augen werden Sie noch ſehen! Dann<lb/>
wollen wir wieder lachen. Sie inſpiriren mich wie Keiner!<lb/>
Immer dieſelbe und</p><closer><salute><hirendition="#et">Ihre R.</hi></salute></closer><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><postscript><p>Den 7. September 1821. war bei Fürſt Clary in Töplitz<lb/>
die Rede von Büchern und Leſen; da fragte Baron E. die<lb/></p></postscript></div></div></div></body></text></TEI>
[47/0055]
von machten, genug haben! Ich beuge mich unter Gottes
Beſchlüſſe: und bin ſeelenruhig jetzt. — Unſere eigentliche Seele
ſind die Wünſche, das Sehnen. Gebannt iſt ſie nur, in
Widerſpruch. — Haben Sie Goethens Wanderjahre geleſen?
dies apropos von allem! von Seele, Leben, Daſein; ſich
faſſen, es betrachten u. ſ. w. Mit der Geſelligkeit geht es
dabei ſeinen Gang. Ich habe mir in meiner Angegriffenheit
nur die Menſchen abzuhalten. Sie haben es gut bei mir.
Sie finden ſich, erſtlich. Werden geſchmeichelt, bewirthet, ge-
pflegt, nicht perſönlich widerſprochen, umgangen, können nach
dem Theater kommen, finden Geſpräch, auch wenn ſie uns
allein treffen, die neuſten Bücher, immer willige Erfriſchung.
Und da iſt’s — wie bei Ihnen: nachdem, was mir Herr
von Lehr erzählt. — Dieſer gefällt mir ſehr gut: er iſt Ihnen
ſehr gewogen; ehrt und kennt Sie. Mich freute das ſehr:
herzensgeliebte, alte, immer theure Auguſte! Es bleibt ganz
bei Prag! Wie dort, ſo immer. Varnhagen will abſolut von
Töplitz einen Augenblick nach Prag. Da werde ich denn auf
unſern Gräbern wandern, wo unſer dortiges ſchönes, wenn
auch ſchreckenvolles Leben hingelegt iſt. Wir können daran
denken: es hat ein ferneres erzeugt, aber wir können es nicht
wiederleben; konnten es nicht halten! — Adieu Freundin!
Schöne, Liebe! Meine Augen werden Sie noch ſehen! Dann
wollen wir wieder lachen. Sie inſpiriren mich wie Keiner!
Immer dieſelbe und
Ihre R.
Den 7. September 1821. war bei Fürſt Clary in Töplitz
die Rede von Büchern und Leſen; da fragte Baron E. die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/55>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.