Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801.

Bild:
<< vorherige Seite

meine Schwester; ich spielte mit ihr, und
meine Furcht verschwand beynah ganz. Dieß
war das erste Mal, daß ich ein anderes
Kind sah, und meine Freude war sehr groß
über diese neue Bekanntschaft. Nun war ich
glücklich genug, nur konnte ich mich durch-
aus nicht an die finstern Zimmer gewöhnen,
ich sehnte mich nach der frischen Luft, nach
dem Himmel und den Bäumen; meine Mut-
ter begegnete mir mit der größten Zärtlichkeit,
ich liebte sie, aber ich ging doch noch lieber
mit meiner Wärterin ins Freye. Meine Mut-
ter blieb immer in diesen mir verhaßten Zim-
mern, sie weinte fast immer, wenn ich sie sah,
und ich hörte sie oft wiederholen: mein Va-
ter sey gestorben; aber ich konnte es nicht
fassen, ich wußte nicht, wer mein Vater
gewesen sey, ich hatte diese Benennung gar
nicht zu brauchen gelernt. Meine Mutter
sagte mir mit Thränen: der schöne Herr,
der mich in ihrer Gesellschaft auf der Jnsel
besucht hätte, wäre mein Vater gewesen.
Jch weinte nun auch, und war nicht wieder

meine Schweſter; ich ſpielte mit ihr, und
meine Furcht verſchwand beynah ganz. Dieß
war das erſte Mal, daß ich ein anderes
Kind ſah, und meine Freude war ſehr groß
uͤber dieſe neue Bekanntſchaft. Nun war ich
gluͤcklich genug, nur konnte ich mich durch-
aus nicht an die finſtern Zimmer gewoͤhnen,
ich ſehnte mich nach der friſchen Luft, nach
dem Himmel und den Baͤumen; meine Mut-
ter begegnete mir mit der groͤßten Zaͤrtlichkeit,
ich liebte ſie, aber ich ging doch noch lieber
mit meiner Waͤrterin ins Freye. Meine Mut-
ter blieb immer in dieſen mir verhaßten Zim-
mern, ſie weinte faſt immer, wenn ich ſie ſah,
und ich hoͤrte ſie oft wiederholen: mein Va-
ter ſey geſtorben; aber ich konnte es nicht
faſſen, ich wußte nicht, wer mein Vater
geweſen ſey, ich hatte dieſe Benennung gar
nicht zu brauchen gelernt. Meine Mutter
ſagte mir mit Thraͤnen: der ſchoͤne Herr,
der mich in ihrer Geſellſchaft auf der Jnſel
beſucht haͤtte, waͤre mein Vater geweſen.
Jch weinte nun auch, und war nicht wieder

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0100" n="92"/>
meine Schwe&#x017F;ter; ich &#x017F;pielte mit ihr, und<lb/>
meine Furcht ver&#x017F;chwand beynah ganz. Dieß<lb/>
war das er&#x017F;te Mal, daß ich ein anderes<lb/>
Kind &#x017F;ah, und meine Freude war &#x017F;ehr groß<lb/>
u&#x0364;ber die&#x017F;e neue Bekannt&#x017F;chaft. Nun war ich<lb/>
glu&#x0364;cklich genug, nur konnte ich mich durch-<lb/>
aus nicht an die fin&#x017F;tern Zimmer gewo&#x0364;hnen,<lb/>
ich &#x017F;ehnte mich nach der fri&#x017F;chen Luft, nach<lb/>
dem Himmel und den Ba&#x0364;umen; meine Mut-<lb/>
ter begegnete mir mit der gro&#x0364;ßten Za&#x0364;rtlichkeit,<lb/>
ich liebte &#x017F;ie, aber ich ging doch noch lieber<lb/>
mit meiner Wa&#x0364;rterin ins Freye. Meine Mut-<lb/>
ter blieb immer in die&#x017F;en mir verhaßten Zim-<lb/>
mern, &#x017F;ie weinte fa&#x017F;t immer, wenn ich &#x017F;ie &#x017F;ah,<lb/>
und ich ho&#x0364;rte &#x017F;ie oft wiederholen: mein Va-<lb/>
ter &#x017F;ey ge&#x017F;torben; aber ich konnte es nicht<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;en, ich wußte nicht, wer mein Vater<lb/>
gewe&#x017F;en &#x017F;ey, ich hatte die&#x017F;e Benennung gar<lb/>
nicht zu brauchen gelernt. Meine Mutter<lb/>
&#x017F;agte mir mit Thra&#x0364;nen: der &#x017F;cho&#x0364;ne Herr,<lb/>
der mich in ihrer Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft auf der Jn&#x017F;el<lb/>
be&#x017F;ucht ha&#x0364;tte, wa&#x0364;re mein Vater gewe&#x017F;en.<lb/>
Jch weinte nun auch, und war nicht wieder<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[92/0100] meine Schweſter; ich ſpielte mit ihr, und meine Furcht verſchwand beynah ganz. Dieß war das erſte Mal, daß ich ein anderes Kind ſah, und meine Freude war ſehr groß uͤber dieſe neue Bekanntſchaft. Nun war ich gluͤcklich genug, nur konnte ich mich durch- aus nicht an die finſtern Zimmer gewoͤhnen, ich ſehnte mich nach der friſchen Luft, nach dem Himmel und den Baͤumen; meine Mut- ter begegnete mir mit der groͤßten Zaͤrtlichkeit, ich liebte ſie, aber ich ging doch noch lieber mit meiner Waͤrterin ins Freye. Meine Mut- ter blieb immer in dieſen mir verhaßten Zim- mern, ſie weinte faſt immer, wenn ich ſie ſah, und ich hoͤrte ſie oft wiederholen: mein Va- ter ſey geſtorben; aber ich konnte es nicht faſſen, ich wußte nicht, wer mein Vater geweſen ſey, ich hatte dieſe Benennung gar nicht zu brauchen gelernt. Meine Mutter ſagte mir mit Thraͤnen: der ſchoͤne Herr, der mich in ihrer Geſellſchaft auf der Jnſel beſucht haͤtte, waͤre mein Vater geweſen. Jch weinte nun auch, und war nicht wieder

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/100
Zitationshilfe: Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/100>, abgerufen am 04.12.2024.