Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801.

Bild:
<< vorherige Seite

Wir machten unsern gewöhnlichen Spa-
tziergang im Garten; der Prior kam dazu und
nahm unsre Aufseher auf die Seite, um et-
was mit ihnen zu überlegen; ich blieb mit
meiner Schwester in einem bedeckten Gang
allein. Auf einmal hörten wir auf dem Hof
neben an einige Stimmen und Pferdegetrap-
pel; neugierig, wie jeder Eingekerkerte, guck-
ten wir durch eine ziemlich große Oeffnung der
Pianke, die unsern Garten von jenein Hofe
trennte. Jch erblickte einen Jüngling, der
sich in muntrer militärischer Tracht eben auf
ein schönes Pferd schwang, und vom Hofe
herunter ritt. Er war nicht mehr zu sehen,
und Alles still um uns. Jch betrachtete bald
mich, bald meine Schwester. Das Bild des
leichten schlanken Jünglings, wie er sich auf
das rasche Pferd schwang, einen reichgekleide-
ten Knaben hinter sich, schwebte mir noch im-
mer vor Augen; mein Zustand kam mir ganz
unleidlich vor; ich weinte heftig, ich war auf-
ser mir, und in einem Zustande von Verzweif-
lung. Meine arme Schwester versuchte mich

Wir machten unſern gewoͤhnlichen Spa-
tziergang im Garten; der Prior kam dazu und
nahm unſre Aufſeher auf die Seite, um et-
was mit ihnen zu uͤberlegen; ich blieb mit
meiner Schweſter in einem bedeckten Gang
allein. Auf einmal hoͤrten wir auf dem Hof
neben an einige Stimmen und Pferdegetrap-
pel; neugierig, wie jeder Eingekerkerte, guck-
ten wir durch eine ziemlich große Oeffnung der
Pianke, die unſern Garten von jenein Hofe
trennte. Jch erblickte einen Juͤngling, der
ſich in muntrer militaͤriſcher Tracht eben auf
ein ſchoͤnes Pferd ſchwang, und vom Hofe
herunter ritt. Er war nicht mehr zu ſehen,
und Alles ſtill um uns. Jch betrachtete bald
mich, bald meine Schweſter. Das Bild des
leichten ſchlanken Juͤnglings, wie er ſich auf
das raſche Pferd ſchwang, einen reichgekleide-
ten Knaben hinter ſich, ſchwebte mir noch im-
mer vor Augen; mein Zuſtand kam mir ganz
unleidlich vor; ich weinte heftig, ich war auf-
ſer mir, und in einem Zuſtande von Verzweif-
lung. Meine arme Schweſter verſuchte mich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0120" n="112"/>
          <p>Wir machten un&#x017F;ern gewo&#x0364;hnlichen Spa-<lb/>
tziergang im Garten; der Prior kam dazu und<lb/>
nahm un&#x017F;re Auf&#x017F;eher auf die Seite, um et-<lb/>
was mit ihnen zu u&#x0364;berlegen; ich blieb mit<lb/>
meiner Schwe&#x017F;ter in einem bedeckten Gang<lb/>
allein. Auf einmal ho&#x0364;rten wir auf dem Hof<lb/>
neben an einige Stimmen und Pferdegetrap-<lb/>
pel; neugierig, wie jeder Eingekerkerte, guck-<lb/>
ten wir durch eine ziemlich große Oeffnung der<lb/>
Pianke, die un&#x017F;ern Garten von jenein Hofe<lb/>
trennte. Jch erblickte einen Ju&#x0364;ngling, der<lb/>
&#x017F;ich in muntrer milita&#x0364;ri&#x017F;cher Tracht eben auf<lb/>
ein &#x017F;cho&#x0364;nes Pferd &#x017F;chwang, und vom Hofe<lb/>
herunter ritt. Er war nicht mehr zu &#x017F;ehen,<lb/>
und Alles &#x017F;till um uns. Jch betrachtete bald<lb/>
mich, bald meine Schwe&#x017F;ter. Das Bild des<lb/>
leichten &#x017F;chlanken Ju&#x0364;nglings, wie er &#x017F;ich auf<lb/>
das ra&#x017F;che Pferd &#x017F;chwang, einen reichgekleide-<lb/>
ten Knaben hinter &#x017F;ich, &#x017F;chwebte mir noch im-<lb/>
mer vor Augen; mein Zu&#x017F;tand kam mir ganz<lb/>
unleidlich vor; ich weinte heftig, ich war auf-<lb/>
&#x017F;er mir, und in einem Zu&#x017F;tande von Verzweif-<lb/>
lung. Meine arme Schwe&#x017F;ter ver&#x017F;uchte mich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0120] Wir machten unſern gewoͤhnlichen Spa- tziergang im Garten; der Prior kam dazu und nahm unſre Aufſeher auf die Seite, um et- was mit ihnen zu uͤberlegen; ich blieb mit meiner Schweſter in einem bedeckten Gang allein. Auf einmal hoͤrten wir auf dem Hof neben an einige Stimmen und Pferdegetrap- pel; neugierig, wie jeder Eingekerkerte, guck- ten wir durch eine ziemlich große Oeffnung der Pianke, die unſern Garten von jenein Hofe trennte. Jch erblickte einen Juͤngling, der ſich in muntrer militaͤriſcher Tracht eben auf ein ſchoͤnes Pferd ſchwang, und vom Hofe herunter ritt. Er war nicht mehr zu ſehen, und Alles ſtill um uns. Jch betrachtete bald mich, bald meine Schweſter. Das Bild des leichten ſchlanken Juͤnglings, wie er ſich auf das raſche Pferd ſchwang, einen reichgekleide- ten Knaben hinter ſich, ſchwebte mir noch im- mer vor Augen; mein Zuſtand kam mir ganz unleidlich vor; ich weinte heftig, ich war auf- ſer mir, und in einem Zuſtande von Verzweif- lung. Meine arme Schweſter verſuchte mich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/120
Zitationshilfe: Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/120>, abgerufen am 04.12.2024.