gen! ich will nicht aussehen wie diese Mönche, und nicht werden wie sie; dazu hat man mich schon seit der zarten Kindheit gewöhnen wollen. Jch klagte sogar mit der größten Bitterkeit, daß mir schon angekündigt wäre, mir in den nächsten Tagen die Haare abzuscheeren, die ich, eitler thörichter Weise, zu sehr liebte. Bis jetzt hatte sie mei- ne Mutter trotz der Vorstellungen des schreckli- chen Priors immer noch erhalten, weil sie selbst sie liebte; nun sollten sie aber herunter, weil sie befürchtete, ihr Herz zu sehr an diesen welt- lichen Schmuck zu hängen. --
Sie lächeln, Juliane, über die Wärme, mit der ich dieser kindischen Eitelkeit erwähne! Sie können aber wohl schwerlich denken, wie entsetzlich mir die Jdee war, eben so auszuse- hen wie die Mönche mit ihren geschornen Köpfen: meine Haare hielt ich noch für das einzige, was mich von dieser verhaßten Klasse unterschied, das Seil, das mich noch in ge- wissem Sinn an die Welt knüpfte, die ich durch- aus nicht verlassen wollte, die ich erst wollte kennen lernen; diese Haare sollte ich nun las-
gen! ich will nicht ausſehen wie dieſe Moͤnche, und nicht werden wie ſie; dazu hat man mich ſchon ſeit der zarten Kindheit gewoͤhnen wollen. Jch klagte ſogar mit der groͤßten Bitterkeit, daß mir ſchon angekuͤndigt waͤre, mir in den naͤchſten Tagen die Haare abzuſcheeren, die ich, eitler thoͤrichter Weiſe, zu ſehr liebte. Bis jetzt hatte ſie mei- ne Mutter trotz der Vorſtellungen des ſchreckli- chen Priors immer noch erhalten, weil ſie ſelbſt ſie liebte; nun ſollten ſie aber herunter, weil ſie befuͤrchtete, ihr Herz zu ſehr an dieſen welt- lichen Schmuck zu haͤngen. —
Sie laͤcheln, Juliane, uͤber die Waͤrme, mit der ich dieſer kindiſchen Eitelkeit erwaͤhne! Sie koͤnnen aber wohl ſchwerlich denken, wie entſetzlich mir die Jdee war, eben ſo auszuſe- hen wie die Moͤnche mit ihren geſchornen Koͤpfen: meine Haare hielt ich noch fuͤr das einzige, was mich von dieſer verhaßten Klaſſe unterſchied, das Seil, das mich noch in ge- wiſſem Sinn an die Welt knuͤpfte, die ich durch- aus nicht verlaſſen wollte, die ich erſt wollte kennen lernen; dieſe Haare ſollte ich nun laſ-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0128"n="120"/>
gen! ich will nicht ausſehen wie dieſe Moͤnche, und<lb/>
nicht werden wie ſie; dazu hat man mich ſchon ſeit<lb/>
der zarten Kindheit gewoͤhnen wollen. Jch klagte<lb/>ſogar mit der groͤßten Bitterkeit, daß mir ſchon<lb/>
angekuͤndigt waͤre, mir in den naͤchſten Tagen<lb/>
die Haare abzuſcheeren, die ich, eitler thoͤrichter<lb/>
Weiſe, zu ſehr liebte. Bis jetzt hatte ſie mei-<lb/>
ne Mutter trotz der Vorſtellungen des ſchreckli-<lb/>
chen Priors immer noch erhalten, weil ſie ſelbſt<lb/>ſie liebte; nun ſollten ſie aber herunter, weil<lb/>ſie befuͤrchtete, ihr Herz zu ſehr an dieſen welt-<lb/>
lichen Schmuck zu haͤngen. —</p><lb/><p>Sie laͤcheln, Juliane, uͤber die Waͤrme,<lb/>
mit der ich dieſer kindiſchen Eitelkeit erwaͤhne!<lb/>
Sie koͤnnen aber wohl ſchwerlich denken, wie<lb/>
entſetzlich mir die Jdee war, eben ſo auszuſe-<lb/>
hen wie die Moͤnche mit ihren geſchornen<lb/>
Koͤpfen: meine Haare hielt ich noch fuͤr das<lb/>
einzige, was mich von dieſer verhaßten Klaſſe<lb/>
unterſchied, das Seil, das mich noch in ge-<lb/>
wiſſem Sinn an die Welt knuͤpfte, die ich durch-<lb/>
aus nicht verlaſſen wollte, die ich erſt wollte<lb/>
kennen lernen; dieſe Haare ſollte ich nun laſ-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[120/0128]
gen! ich will nicht ausſehen wie dieſe Moͤnche, und
nicht werden wie ſie; dazu hat man mich ſchon ſeit
der zarten Kindheit gewoͤhnen wollen. Jch klagte
ſogar mit der groͤßten Bitterkeit, daß mir ſchon
angekuͤndigt waͤre, mir in den naͤchſten Tagen
die Haare abzuſcheeren, die ich, eitler thoͤrichter
Weiſe, zu ſehr liebte. Bis jetzt hatte ſie mei-
ne Mutter trotz der Vorſtellungen des ſchreckli-
chen Priors immer noch erhalten, weil ſie ſelbſt
ſie liebte; nun ſollten ſie aber herunter, weil
ſie befuͤrchtete, ihr Herz zu ſehr an dieſen welt-
lichen Schmuck zu haͤngen. —
Sie laͤcheln, Juliane, uͤber die Waͤrme,
mit der ich dieſer kindiſchen Eitelkeit erwaͤhne!
Sie koͤnnen aber wohl ſchwerlich denken, wie
entſetzlich mir die Jdee war, eben ſo auszuſe-
hen wie die Moͤnche mit ihren geſchornen
Koͤpfen: meine Haare hielt ich noch fuͤr das
einzige, was mich von dieſer verhaßten Klaſſe
unterſchied, das Seil, das mich noch in ge-
wiſſem Sinn an die Welt knuͤpfte, die ich durch-
aus nicht verlaſſen wollte, die ich erſt wollte
kennen lernen; dieſe Haare ſollte ich nun laſ-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/128>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.