mich dem Prior zu verrathen? -- Lästerliche Worte! nennst Du die Beichte Verrath? Deine fromme Schwester schwach? Es galt ihre Ruhe auf dieser, ihre Seligkeit auf jener Welt. Sie ist mein Kind! -- Und ich nicht, Mutter? bin ich nicht Jhr Sohn? --
Jch erzähle euch hier so zusammenhängend als möglich, was mit der äußersten Verwir- rung gesprochen ward, indem eins dem andern immer in die Rede fiel, ich war besonders we- gen dieser unerwarteten Wendung in großer Verwirrung. Zuletzt ward ich heftig, meine Worte fallen mir jetzt nicht wieder ein, aber sie mochten wohl eben nicht sanft seyn; ich strömte über von Vorwürfen, daß sie ihren Sohn, ihren einzigen Sohn, im blinden Aber- glauben den Pfaffen aufgeopfert hatte, und schonte sie vielleicht zu wenig. Sie ward aufge- bracht und rief endlich in großer Hitze: Trotze nicht länger, Florentin, und höre etwas, wo- zu ich nicht wieder einen schicklichen Augenblick finden werde, denn wir werden uns nie wieder
Florentin I. 10
mich dem Prior zu verrathen? — Laͤſterliche Worte! nennſt Du die Beichte Verrath? Deine fromme Schweſter ſchwach? Es galt ihre Ruhe auf dieſer, ihre Seligkeit auf jener Welt. Sie iſt mein Kind! — Und ich nicht, Mutter? bin ich nicht Jhr Sohn? —
Jch erzaͤhle euch hier ſo zuſammenhaͤngend als moͤglich, was mit der aͤußerſten Verwir- rung geſprochen ward, indem eins dem andern immer in die Rede fiel, ich war beſonders we- gen dieſer unerwarteten Wendung in großer Verwirrung. Zuletzt ward ich heftig, meine Worte fallen mir jetzt nicht wieder ein, aber ſie mochten wohl eben nicht ſanft ſeyn; ich ſtroͤmte uͤber von Vorwuͤrfen, daß ſie ihren Sohn, ihren einzigen Sohn, im blinden Aber- glauben den Pfaffen aufgeopfert hatte, und ſchonte ſie vielleicht zu wenig. Sie ward aufge- bracht und rief endlich in großer Hitze: Trotze nicht laͤnger, Florentin, und hoͤre etwas, wo- zu ich nicht wieder einen ſchicklichen Augenblick finden werde, denn wir werden uns nie wieder
Florentin I. 10
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mich dem Prior zu verrathen? — Laͤſterliche
Worte! nennſt Du die Beichte Verrath?
Deine fromme Schweſter ſchwach? Es galt
ihre Ruhe auf dieſer, ihre Seligkeit auf jener
Welt. Sie iſt mein Kind! — Und ich nicht,
Mutter? bin ich nicht Jhr Sohn? —
Jch erzaͤhle euch hier ſo zuſammenhaͤngend
als moͤglich, was mit der aͤußerſten Verwir-
rung geſprochen ward, indem eins dem andern
immer in die Rede fiel, ich war beſonders we-
gen dieſer unerwarteten Wendung in großer
Verwirrung. Zuletzt ward ich heftig, meine
Worte fallen mir jetzt nicht wieder ein, aber
ſie mochten wohl eben nicht ſanft ſeyn; ich
ſtroͤmte uͤber von Vorwuͤrfen, daß ſie ihren
Sohn, ihren einzigen Sohn, im blinden Aber-
glauben den Pfaffen aufgeopfert hatte, und
ſchonte ſie vielleicht zu wenig. Sie ward aufge-
bracht und rief endlich in großer Hitze: Trotze
nicht laͤnger, Florentin, und hoͤre etwas, wo-
zu ich nicht wieder einen ſchicklichen Augenblick
finden werde, denn wir werden uns nie wieder
Florentin I. 10
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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/153>, abgerufen am 06.10.2024.
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