hielt sich klug und bescheiden, so daß sie von uns allen hochgehalten, und wegen ihrer großen Schönheit sehr bewundert ward. Einige Tage fanden wir sie niedergeschlagener als gewöhn- lich, ich bat sie, uns etwas vorzusingen, um sich selbst damit zu erheitern. Sie sang uns nun ein Lied, dessen Jnhalt ungefähr war: wenn sie einen Mann hätte, der sie liebte, und für sie sorgen wollte, so möchte sie einzig für ihn und seine Wünsche leben, das würde dann ihr größtes Glück seyn. Sie fang das Lied mit einer solchen süßen Unschuld, so schüchterner Jnnigkeit, und sah dabey so entzückend schön aus, daß ich, da sie während des Gesanges ihre Blicke am meisten auf mich geheftet hatte, ihren Wunsch erfüllen mußte. Sie blieb gleich bey mir. -- Jch hatte meine große Freude an dem Kinde, wie gut sie sich nahm, und mit welchem Anstande sie dem Hauswesen vorstehen konnte. Jch muß aber gestehen, sie hätte es weit schlechter machen können, sie würde mir doch nicht weniger gefallen haben, denn ihr kleidete alles, was sie unternahm; man kann
hielt ſich klug und beſcheiden, ſo daß ſie von uns allen hochgehalten, und wegen ihrer großen Schoͤnheit ſehr bewundert ward. Einige Tage fanden wir ſie niedergeſchlagener als gewoͤhn- lich, ich bat ſie, uns etwas vorzuſingen, um ſich ſelbſt damit zu erheitern. Sie ſang uns nun ein Lied, deſſen Jnhalt ungefaͤhr war: wenn ſie einen Mann haͤtte, der ſie liebte, und fuͤr ſie ſorgen wollte, ſo moͤchte ſie einzig fuͤr ihn und ſeine Wuͤnſche leben, das wuͤrde dann ihr groͤßtes Gluͤck ſeyn. Sie fang das Lied mit einer ſolchen ſuͤßen Unſchuld, ſo ſchuͤchterner Jnnigkeit, und ſah dabey ſo entzuͤckend ſchoͤn aus, daß ich, da ſie waͤhrend des Geſanges ihre Blicke am meiſten auf mich geheftet hatte, ihren Wunſch erfuͤllen mußte. Sie blieb gleich bey mir. — Jch hatte meine große Freude an dem Kinde, wie gut ſie ſich nahm, und mit welchem Anſtande ſie dem Hausweſen vorſtehen konnte. Jch muß aber geſtehen, ſie haͤtte es weit ſchlechter machen koͤnnen, ſie wuͤrde mir doch nicht weniger gefallen haben, denn ihr kleidete alles, was ſie unternahm; man kann
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hielt ſich klug und beſcheiden, ſo daß ſie von
uns allen hochgehalten, und wegen ihrer großen
Schoͤnheit ſehr bewundert ward. Einige Tage
fanden wir ſie niedergeſchlagener als gewoͤhn-
lich, ich bat ſie, uns etwas vorzuſingen, um
ſich ſelbſt damit zu erheitern. Sie ſang uns
nun ein Lied, deſſen Jnhalt ungefaͤhr war:
wenn ſie einen Mann haͤtte, der ſie liebte, und
fuͤr ſie ſorgen wollte, ſo moͤchte ſie einzig fuͤr
ihn und ſeine Wuͤnſche leben, das wuͤrde dann
ihr groͤßtes Gluͤck ſeyn. Sie fang das Lied
mit einer ſolchen ſuͤßen Unſchuld, ſo ſchuͤchterner
Jnnigkeit, und ſah dabey ſo entzuͤckend ſchoͤn
aus, daß ich, da ſie waͤhrend des Geſanges
ihre Blicke am meiſten auf mich geheftet hatte,
ihren Wunſch erfuͤllen mußte. Sie blieb gleich
bey mir. — Jch hatte meine große Freude an
dem Kinde, wie gut ſie ſich nahm, und mit
welchem Anſtande ſie dem Hausweſen vorſtehen
konnte. Jch muß aber geſtehen, ſie haͤtte es
weit ſchlechter machen koͤnnen, ſie wuͤrde mir
doch nicht weniger gefallen haben, denn ihr
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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/180>, abgerufen am 06.10.2024.
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