Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801.

Bild:
<< vorherige Seite

Hand genügen lassen, die ich selbst so gern
mit Küssen überdeckt hätte, auf deren Segen
ich hoffte!

Jch habe jetzt Sorgen, meine Tante!
wie soll ich sie aber aussprechen? Wenn ehe-
dem eine kindische Sorge mein Gemüth traf,
dann wußten Sie es zu errathen, ich war
durch Jhre Hülfe davon befreyt, ehe ich sie
zu nennen wußte. Aber jetzt wird es bedeu-
tender, ich fürchte mich vor den ernsthaften
Anstalten. Man kömmt und geht; Einrich-
tungen werden gemacht, andere zerstöhrt; Va-
ter und Mutter haben lange geheime Unter-
redungen, dann wird oft Eduard dazu gerufen.
-- O hätte ich es gedacht, daß es so viel Mü-
he, und mir so viel Angst machen würde! --
Und alles ist weit schlimmer geworden, seit
Jhren Briefen, Tante! Nachdem sie gelesen
waren, fielen lange Unterredungen vor; der
Vater war sehr bewegt, meine Mutter weinte.
Jch saß unbemerkt an meinem Fenster, da
konnte ich sie sehen, sie gingen auf der Ter-
rasse auf und ab. Jch durfte um nichts fra-

Hand genuͤgen laſſen, die ich ſelbſt ſo gern
mit Kuͤſſen uͤberdeckt haͤtte, auf deren Segen
ich hoffte!

Jch habe jetzt Sorgen, meine Tante!
wie ſoll ich ſie aber ausſprechen? Wenn ehe-
dem eine kindiſche Sorge mein Gemuͤth traf,
dann wußten Sie es zu errathen, ich war
durch Jhre Huͤlfe davon befreyt, ehe ich ſie
zu nennen wußte. Aber jetzt wird es bedeu-
tender, ich fuͤrchte mich vor den ernſthaften
Anſtalten. Man koͤmmt und geht; Einrich-
tungen werden gemacht, andere zerſtoͤhrt; Va-
ter und Mutter haben lange geheime Unter-
redungen, dann wird oft Eduard dazu gerufen.
— O haͤtte ich es gedacht, daß es ſo viel Muͤ-
he, und mir ſo viel Angſt machen wuͤrde! —
Und alles iſt weit ſchlimmer geworden, ſeit
Jhren Briefen, Tante! Nachdem ſie geleſen
waren, fielen lange Unterredungen vor; der
Vater war ſehr bewegt, meine Mutter weinte.
Jch ſaß unbemerkt an meinem Fenſter, da
konnte ich ſie ſehen, ſie gingen auf der Ter-
raſſe auf und ab. Jch durfte um nichts fra-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0287" n="279"/>
Hand genu&#x0364;gen la&#x017F;&#x017F;en, die ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;o gern<lb/>
mit Ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en u&#x0364;berdeckt ha&#x0364;tte, auf deren Segen<lb/>
ich hoffte!</p><lb/>
            <p>Jch habe jetzt Sorgen, meine Tante!<lb/>
wie &#x017F;oll ich &#x017F;ie aber aus&#x017F;prechen? Wenn ehe-<lb/>
dem eine kindi&#x017F;che Sorge mein Gemu&#x0364;th traf,<lb/>
dann wußten Sie es zu errathen, ich war<lb/>
durch Jhre Hu&#x0364;lfe davon befreyt, ehe ich &#x017F;ie<lb/>
zu nennen wußte. Aber jetzt wird es bedeu-<lb/>
tender, ich fu&#x0364;rchte mich vor den ern&#x017F;thaften<lb/>
An&#x017F;talten. Man ko&#x0364;mmt und geht; Einrich-<lb/>
tungen werden gemacht, andere zer&#x017F;to&#x0364;hrt; Va-<lb/>
ter und Mutter haben lange geheime Unter-<lb/>
redungen, dann wird oft Eduard dazu gerufen.<lb/>
&#x2014; O ha&#x0364;tte ich es gedacht, daß es &#x017F;o viel Mu&#x0364;-<lb/>
he, und mir &#x017F;o viel Ang&#x017F;t machen wu&#x0364;rde! &#x2014;<lb/>
Und alles i&#x017F;t weit &#x017F;chlimmer geworden, &#x017F;eit<lb/>
Jhren Briefen, Tante! Nachdem &#x017F;ie gele&#x017F;en<lb/>
waren, fielen lange Unterredungen vor; der<lb/>
Vater war &#x017F;ehr bewegt, meine Mutter weinte.<lb/>
Jch &#x017F;aß unbemerkt an meinem Fen&#x017F;ter, da<lb/>
konnte ich &#x017F;ie &#x017F;ehen, &#x017F;ie gingen auf der Ter-<lb/>
ra&#x017F;&#x017F;e auf und ab. Jch durfte um nichts fra-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[279/0287] Hand genuͤgen laſſen, die ich ſelbſt ſo gern mit Kuͤſſen uͤberdeckt haͤtte, auf deren Segen ich hoffte! Jch habe jetzt Sorgen, meine Tante! wie ſoll ich ſie aber ausſprechen? Wenn ehe- dem eine kindiſche Sorge mein Gemuͤth traf, dann wußten Sie es zu errathen, ich war durch Jhre Huͤlfe davon befreyt, ehe ich ſie zu nennen wußte. Aber jetzt wird es bedeu- tender, ich fuͤrchte mich vor den ernſthaften Anſtalten. Man koͤmmt und geht; Einrich- tungen werden gemacht, andere zerſtoͤhrt; Va- ter und Mutter haben lange geheime Unter- redungen, dann wird oft Eduard dazu gerufen. — O haͤtte ich es gedacht, daß es ſo viel Muͤ- he, und mir ſo viel Angſt machen wuͤrde! — Und alles iſt weit ſchlimmer geworden, ſeit Jhren Briefen, Tante! Nachdem ſie geleſen waren, fielen lange Unterredungen vor; der Vater war ſehr bewegt, meine Mutter weinte. Jch ſaß unbemerkt an meinem Fenſter, da konnte ich ſie ſehen, ſie gingen auf der Ter- raſſe auf und ab. Jch durfte um nichts fra-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/287
Zitationshilfe: Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/287>, abgerufen am 17.06.2024.