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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801.

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auf. Wie zum ersten Male hörte Florentin
diese himmlische Musik wieder, die er in seiner
Jugend so oft gehört zu haben sich erinnerte.
Niemals hatte er aber sich so davon durchdrun-
gen gefühlt als jetzt. Er wußte nicht, ward
sie hier vollkommner noch ausgeführt, oder war
sein Gemüth empfänglicher dafür geworden?

Der schwebende Nachhall des Chorals er-
starb in einen leisen Hauch; da erscholl die Po-
saune durch Herz und Gebein rufend, und nun
begonnen die Chöre bald abwechfelnd sich ein-
ander antwortend, bald vereinigt vom Aufruf
einer einzelnen Stimme geweckt, zur mächti-
gen, alles mit sich fortreissenden Fuge anzu-
wachsen, bis Himmel und Erde in den ewigen,
immer lauter werdenden Wirbel mit einzustim-
men schienen, und alles wankte und bebte und
zufammen zu stürzen drohte. Die Brust des
Knaben auf dem Sarkophag schien sich vom
gewaltigen Gesange zu heben; staunend erwar-
tete Florentin, er würde sich aufrichten und
seine Stimme mit einmischen in die Stimme
der ganzen Welt für die Ruhe der Seelen, und
mit der heiligen Cäcilia, die ihre Lippen zu öff-

auf. Wie zum erſten Male hoͤrte Florentin
dieſe himmliſche Muſik wieder, die er in ſeiner
Jugend ſo oft gehoͤrt zu haben ſich erinnerte.
Niemals hatte er aber ſich ſo davon durchdrun-
gen gefuͤhlt als jetzt. Er wußte nicht, ward
ſie hier vollkommner noch ausgefuͤhrt, oder war
ſein Gemuͤth empfaͤnglicher dafuͤr geworden?

Der ſchwebende Nachhall des Chorals er-
ſtarb in einen leiſen Hauch; da erſcholl die Po-
ſaune durch Herz und Gebein rufend, und nun
begonnen die Choͤre bald abwechfelnd ſich ein-
ander antwortend, bald vereinigt vom Aufruf
einer einzelnen Stimme geweckt, zur maͤchti-
gen, alles mit ſich fortreiſſenden Fuge anzu-
wachſen, bis Himmel und Erde in den ewigen,
immer lauter werdenden Wirbel mit einzuſtim-
men ſchienen, und alles wankte und bebte und
zufammen zu ſtuͤrzen drohte. Die Bruſt des
Knaben auf dem Sarkophag ſchien ſich vom
gewaltigen Geſange zu heben; ſtaunend erwar-
tete Florentin, er wuͤrde ſich aufrichten und
ſeine Stimme mit einmiſchen in die Stimme
der ganzen Welt fuͤr die Ruhe der Seelen, und
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[373/0381] auf. Wie zum erſten Male hoͤrte Florentin dieſe himmliſche Muſik wieder, die er in ſeiner Jugend ſo oft gehoͤrt zu haben ſich erinnerte. Niemals hatte er aber ſich ſo davon durchdrun- gen gefuͤhlt als jetzt. Er wußte nicht, ward ſie hier vollkommner noch ausgefuͤhrt, oder war ſein Gemuͤth empfaͤnglicher dafuͤr geworden? Der ſchwebende Nachhall des Chorals er- ſtarb in einen leiſen Hauch; da erſcholl die Po- ſaune durch Herz und Gebein rufend, und nun begonnen die Choͤre bald abwechfelnd ſich ein- ander antwortend, bald vereinigt vom Aufruf einer einzelnen Stimme geweckt, zur maͤchti- gen, alles mit ſich fortreiſſenden Fuge anzu- wachſen, bis Himmel und Erde in den ewigen, immer lauter werdenden Wirbel mit einzuſtim- men ſchienen, und alles wankte und bebte und zufammen zu ſtuͤrzen drohte. Die Bruſt des Knaben auf dem Sarkophag ſchien ſich vom gewaltigen Geſange zu heben; ſtaunend erwar- tete Florentin, er wuͤrde ſich aufrichten und ſeine Stimme mit einmiſchen in die Stimme der ganzen Welt fuͤr die Ruhe der Seelen, und mit der heiligen Caͤcilia, die ihre Lippen zu oͤff-

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Zitationshilfe: Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/381>, abgerufen am 18.05.2024.