müdung und Erschöpfung ausdrückt, und der um so anhal- tender ist, je energischer der Reiz war, welcher einwirkte. An kleinen Gefässen mit wenig Muskelfasern sieht es daher öf- ters so aus, als ob die Reize keine eigentliche Verengerung hervorriefen, da man überaus schnell eine Erschlaffung eintreten sieht, welche längere Zeit andauert und ein vermehrtes Ein- strömen des Blutes möglich macht.
Diese selben Vorgänge der Relaxation können wir expe- rimentell am leichtesten herstellen dadurch, dass wir die Ge- fässnerven eines Theiles durchschneiden; während wir die Verengerung experimentell in sehr grosser Ausdehnung erzeu- gen können, indem wir die Gefässnerven einem sehr energi- schen Reiz unterwerfen. Dass man diese Art von Verenge- rung so spät kennen gelernt hat, erklärt sich daraus, dass die Nervenreize sehr gross sein müssen, und dass, wie Claude Bernard gezeigt hat, nur starke electrische Ströme dazu aus- reichen. Andererseits sind die Verhältnisse nach Durchschnei- dung der Nerven an den meisten Theilen so complicirt, dass die Erweiterung der Beobachtung sich entzogen hat, bis gleich- falls durch Bernard der glückliche Punkt entdeckt und in der Durchschneidung der sympathischen Nerven am Halse der Experimentation ein zuverlässiger Beobachtungsort er- schlossen wurde.
Wir gewinnen also die wichtige Thatsache, dass, sei die Erweiterung des Gefässes oder, mit anderen Worten, die Re- laxation der Gefässmuskeln unmittelbar durch eine Lähmung der Nerven oder eine Unterbrechung des Nerveneinflusses her- vorgebracht, oder sei sie die mittelbare Folge einer voraus- gegangenen Reizung, welche eine Ermüdung setzte, dass, sage ich, in jedem Falle es sich um eine Art von Paralyse der Gefässwand handelt, und dass active Hyperämie insofern eine falsche Bezeichnung ist, als der Zustand der Gefässe dabei ein vollständig passiver ist. Alles, was man auf diese behauptete Activität der Gefässe gebaut hat, ist, wenn nicht grade auf Sand gebaut, doch äusserst zweideutig; und alle weiteren Schlüsse, die man gezogen hat in Beziehung auf die Bedeu- tung, welche die Thätigkeit der Gefässe für die Ernährungs-
Sechste Vorlesung.
müdung und Erschöpfung ausdrückt, und der um so anhal- tender ist, je energischer der Reiz war, welcher einwirkte. An kleinen Gefässen mit wenig Muskelfasern sieht es daher öf- ters so aus, als ob die Reize keine eigentliche Verengerung hervorriefen, da man überaus schnell eine Erschlaffung eintreten sieht, welche längere Zeit andauert und ein vermehrtes Ein- strömen des Blutes möglich macht.
Diese selben Vorgänge der Relaxation können wir expe- rimentell am leichtesten herstellen dadurch, dass wir die Ge- fässnerven eines Theiles durchschneiden; während wir die Verengerung experimentell in sehr grosser Ausdehnung erzeu- gen können, indem wir die Gefässnerven einem sehr energi- schen Reiz unterwerfen. Dass man diese Art von Verenge- rung so spät kennen gelernt hat, erklärt sich daraus, dass die Nervenreize sehr gross sein müssen, und dass, wie Claude Bernard gezeigt hat, nur starke electrische Ströme dazu aus- reichen. Andererseits sind die Verhältnisse nach Durchschnei- dung der Nerven an den meisten Theilen so complicirt, dass die Erweiterung der Beobachtung sich entzogen hat, bis gleich- falls durch Bernard der glückliche Punkt entdeckt und in der Durchschneidung der sympathischen Nerven am Halse der Experimentation ein zuverlässiger Beobachtungsort er- schlossen wurde.
Wir gewinnen also die wichtige Thatsache, dass, sei die Erweiterung des Gefässes oder, mit anderen Worten, die Re- laxation der Gefässmuskeln unmittelbar durch eine Lähmung der Nerven oder eine Unterbrechung des Nerveneinflusses her- vorgebracht, oder sei sie die mittelbare Folge einer voraus- gegangenen Reizung, welche eine Ermüdung setzte, dass, sage ich, in jedem Falle es sich um eine Art von Paralyse der Gefässwand handelt, und dass active Hyperämie insofern eine falsche Bezeichnung ist, als der Zustand der Gefässe dabei ein vollständig passiver ist. Alles, was man auf diese behauptete Activität der Gefässe gebaut hat, ist, wenn nicht grade auf Sand gebaut, doch äusserst zweideutig; und alle weiteren Schlüsse, die man gezogen hat in Beziehung auf die Bedeu- tung, welche die Thätigkeit der Gefässe für die Ernährungs-
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[108/0130]
Sechste Vorlesung.
müdung und Erschöpfung ausdrückt, und der um so anhal-
tender ist, je energischer der Reiz war, welcher einwirkte. An
kleinen Gefässen mit wenig Muskelfasern sieht es daher öf-
ters so aus, als ob die Reize keine eigentliche Verengerung
hervorriefen, da man überaus schnell eine Erschlaffung eintreten
sieht, welche längere Zeit andauert und ein vermehrtes Ein-
strömen des Blutes möglich macht.
Diese selben Vorgänge der Relaxation können wir expe-
rimentell am leichtesten herstellen dadurch, dass wir die Ge-
fässnerven eines Theiles durchschneiden; während wir die
Verengerung experimentell in sehr grosser Ausdehnung erzeu-
gen können, indem wir die Gefässnerven einem sehr energi-
schen Reiz unterwerfen. Dass man diese Art von Verenge-
rung so spät kennen gelernt hat, erklärt sich daraus, dass
die Nervenreize sehr gross sein müssen, und dass, wie Claude
Bernard gezeigt hat, nur starke electrische Ströme dazu aus-
reichen. Andererseits sind die Verhältnisse nach Durchschnei-
dung der Nerven an den meisten Theilen so complicirt, dass
die Erweiterung der Beobachtung sich entzogen hat, bis gleich-
falls durch Bernard der glückliche Punkt entdeckt und in
der Durchschneidung der sympathischen Nerven am Halse
der Experimentation ein zuverlässiger Beobachtungsort er-
schlossen wurde.
Wir gewinnen also die wichtige Thatsache, dass, sei die
Erweiterung des Gefässes oder, mit anderen Worten, die Re-
laxation der Gefässmuskeln unmittelbar durch eine Lähmung
der Nerven oder eine Unterbrechung des Nerveneinflusses her-
vorgebracht, oder sei sie die mittelbare Folge einer voraus-
gegangenen Reizung, welche eine Ermüdung setzte, dass, sage
ich, in jedem Falle es sich um eine Art von Paralyse der
Gefässwand handelt, und dass active Hyperämie insofern eine
falsche Bezeichnung ist, als der Zustand der Gefässe dabei ein
vollständig passiver ist. Alles, was man auf diese behauptete
Activität der Gefässe gebaut hat, ist, wenn nicht grade auf
Sand gebaut, doch äusserst zweideutig; und alle weiteren
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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/130>, abgerufen am 23.11.2024.
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