Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.Vierzehnte Vorlesung. Satz zulässt, dass unter krankhaften Verhältnissen ein Abster-ben einzelner Theile, eine Nekrose, ein Brand eintreten kann, während das Ganze noch fortexistirt, so geht daraus hervor, dass etwas von unserer Art zu denken in der allgemeinen Auffassung längst gegeben war. Nur ist man sich darüber nicht vollkommen klar geworden. Spricht man von einem Le- ben der einzelnen Theile, so muss man auch wissen, worin das Leben sich äussert, wodurch es wesentlich charakterisirt ist. Dieses Charakteristicum finden wir in der Thätigkeit, und zwar einer Thätigkeit, zu der jeder einzelne Theil etwas Besonderes beiträgt, je nach seiner Eigenthümlichkeit, inner- halb deren er aber auch immer etwas besitzen muss, wel- ches mit dem Leben der übrigen Theile übereinstimmt: denn sonst würden wir keine Berechtigung haben, das Leben als etwas von einem gemeinschaftlichen Ausgangspunkte Herzulei- tendes zu betrachten. Diese Aktion, diese Thätigkeit des Lebens geht, so viel Vierzehnte Vorlesung. Satz zulässt, dass unter krankhaften Verhältnissen ein Abster-ben einzelner Theile, eine Nekrose, ein Brand eintreten kann, während das Ganze noch fortexistirt, so geht daraus hervor, dass etwas von unserer Art zu denken in der allgemeinen Auffassung längst gegeben war. Nur ist man sich darüber nicht vollkommen klar geworden. Spricht man von einem Le- ben der einzelnen Theile, so muss man auch wissen, worin das Leben sich äussert, wodurch es wesentlich charakterisirt ist. Dieses Charakteristicum finden wir in der Thätigkeit, und zwar einer Thätigkeit, zu der jeder einzelne Theil etwas Besonderes beiträgt, je nach seiner Eigenthümlichkeit, inner- halb deren er aber auch immer etwas besitzen muss, wel- ches mit dem Leben der übrigen Theile übereinstimmt: denn sonst würden wir keine Berechtigung haben, das Leben als etwas von einem gemeinschaftlichen Ausgangspunkte Herzulei- tendes zu betrachten. Diese Aktion, diese Thätigkeit des Lebens geht, so viel <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0280" n="258"/><fw place="top" type="header">Vierzehnte Vorlesung.</fw><lb/> Satz zulässt, dass unter krankhaften Verhältnissen ein Abster-<lb/> ben einzelner Theile, eine Nekrose, ein Brand eintreten kann,<lb/> während das Ganze noch fortexistirt, so geht daraus hervor,<lb/> dass etwas von unserer Art zu denken in der allgemeinen<lb/> Auffassung längst gegeben war. Nur ist man sich darüber<lb/> nicht vollkommen klar geworden. Spricht man von einem Le-<lb/> ben der einzelnen Theile, so muss man auch wissen, worin<lb/> das Leben sich äussert, wodurch es wesentlich charakterisirt<lb/> ist. Dieses Charakteristicum finden wir in der <hi rendition="#g">Thätigkeit</hi>,<lb/> und zwar einer Thätigkeit, zu der jeder einzelne Theil etwas<lb/> Besonderes beiträgt, je nach seiner Eigenthümlichkeit, inner-<lb/> halb deren er aber auch immer etwas besitzen muss, wel-<lb/> ches mit dem Leben der übrigen Theile übereinstimmt: denn<lb/> sonst würden wir keine Berechtigung haben, das Leben als<lb/> etwas von einem gemeinschaftlichen Ausgangspunkte Herzulei-<lb/> tendes zu betrachten.</p><lb/> <p>Diese Aktion, diese Thätigkeit des Lebens geht, so viel<lb/> wir wenigstens beurtheilen können, nirgends, an keinem ein-<lb/> zigen Theile durch eine ihm etwa von Anfang an zukommende<lb/> und ganz in ihm abgeschlossene Ursache vor sich, sondern<lb/> überall sehen wir, dass eine gewisse <hi rendition="#g">Erregung</hi> nothwendig<lb/> ist. Jede Lebensthätigkeit setzt eine Erregung, wenn Sie wol-<lb/> len, eine <hi rendition="#g">Reizung</hi> voraus. Daher erscheint uns die <hi rendition="#g">Erreg-<lb/> barkeit</hi> der einzelnen Theile als das Kriterium, wonach wir<lb/> beurtheilen, ob der Theil lebe oder nicht lebe. Ob z. B. ein<lb/> Nerv lebe oder todt sei, können wir unmittelbar durch seine<lb/> anatomische Betrachtung nicht erkennen, wir mögen den Ner-<lb/> ven nun mikroskopisch oder makroskopisch untersuchen. In<lb/> der äusseren Erscheinung, in den gröberen Einrichtungen, die<lb/> wir mit unseren Hülfsmitteln entziffern können, darin ist selten<lb/> die Möglichkeit gegeben, eine solche Unterscheidung zu machen.<lb/> Ob ein Muskel lebt oder abgestorben ist, können wir sehr we-<lb/> nig beurtheilen, da wir z. B. die Muskelstructur noch erhalten<lb/> finden an Theilen, welche schon seit Jahren abgestorben sind.<lb/> Ich habe in einem Kinde, welches bei einer Extrauterinschwan-<lb/> gerschaft 30 Jahre im Leibe seiner Mutter gelegen hatte, die<lb/> Structur der Muskeln so intakt gefunden, wie wenn das Kind<lb/> eben erst ausgetragen worden wäre. <hi rendition="#g">Czermak</hi> hat die Theile<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [258/0280]
Vierzehnte Vorlesung.
Satz zulässt, dass unter krankhaften Verhältnissen ein Abster-
ben einzelner Theile, eine Nekrose, ein Brand eintreten kann,
während das Ganze noch fortexistirt, so geht daraus hervor,
dass etwas von unserer Art zu denken in der allgemeinen
Auffassung längst gegeben war. Nur ist man sich darüber
nicht vollkommen klar geworden. Spricht man von einem Le-
ben der einzelnen Theile, so muss man auch wissen, worin
das Leben sich äussert, wodurch es wesentlich charakterisirt
ist. Dieses Charakteristicum finden wir in der Thätigkeit,
und zwar einer Thätigkeit, zu der jeder einzelne Theil etwas
Besonderes beiträgt, je nach seiner Eigenthümlichkeit, inner-
halb deren er aber auch immer etwas besitzen muss, wel-
ches mit dem Leben der übrigen Theile übereinstimmt: denn
sonst würden wir keine Berechtigung haben, das Leben als
etwas von einem gemeinschaftlichen Ausgangspunkte Herzulei-
tendes zu betrachten.
Diese Aktion, diese Thätigkeit des Lebens geht, so viel
wir wenigstens beurtheilen können, nirgends, an keinem ein-
zigen Theile durch eine ihm etwa von Anfang an zukommende
und ganz in ihm abgeschlossene Ursache vor sich, sondern
überall sehen wir, dass eine gewisse Erregung nothwendig
ist. Jede Lebensthätigkeit setzt eine Erregung, wenn Sie wol-
len, eine Reizung voraus. Daher erscheint uns die Erreg-
barkeit der einzelnen Theile als das Kriterium, wonach wir
beurtheilen, ob der Theil lebe oder nicht lebe. Ob z. B. ein
Nerv lebe oder todt sei, können wir unmittelbar durch seine
anatomische Betrachtung nicht erkennen, wir mögen den Ner-
ven nun mikroskopisch oder makroskopisch untersuchen. In
der äusseren Erscheinung, in den gröberen Einrichtungen, die
wir mit unseren Hülfsmitteln entziffern können, darin ist selten
die Möglichkeit gegeben, eine solche Unterscheidung zu machen.
Ob ein Muskel lebt oder abgestorben ist, können wir sehr we-
nig beurtheilen, da wir z. B. die Muskelstructur noch erhalten
finden an Theilen, welche schon seit Jahren abgestorben sind.
Ich habe in einem Kinde, welches bei einer Extrauterinschwan-
gerschaft 30 Jahre im Leibe seiner Mutter gelegen hatte, die
Structur der Muskeln so intakt gefunden, wie wenn das Kind
eben erst ausgetragen worden wäre. Czermak hat die Theile
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