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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Vierzehnte Vorlesung.
trotz der Durchschneidung auftreten können. Vom
Vagus ist es bekanntlich schon vor längerer Zeit durch Traube
gezeigt worden, dass die Lähmung der Stimmritze, welche das
Eintreten von Mundflüssigkeiten in die Luftwege erleichtert,
ein Hauptmittel für die Entstehung der Entzündung ist; die
genauere Deutung der pathologisch-anatomischen Befunde hat
überdies herausgestellt, dass sehr Vieles von dem, was man
als Pneumonie geschildert hatte, eben nichts weiter als Ate-
lectase mit Hyperämie der Theile war; die wirkliche Pneumo-
nie ist sicher zu vermeiden, wenn die Möglichkeit des Hinein-
gelangens fremder Körper in die Bronchien abgeschnitten
wird. Dasselbe ist für die Trigeminus-Entzündungen er-
reicht worden, und zwar durch ein sehr einfaches Experiment.
Nachdem man sich früher auf die mannigfachste Weise be-
müht hatte, die verschiedenen störenden Einwirkungen auf das
seiner Empfindung beraubte Auge zu beseitigen, so ist es end-
lich in Utrecht gelungen, ein sehr einfaches Mittel zu finden,
um dem Auge wieder einen empfindlichen Apparat zu substi-
tuiren; Snellen nähte bei Thieren, welchen er den Trigemi-
nus durchschnitten hatte, das empfindende Ohr vor das Auge.
Von der Zeit an bekamen die Thiere keine Entzündungen
mehr, indem einerseits ein directer Schutz gegeben, anderer-
seits die Thiere durch die Anwesenheit einer empfindenden
Decke vor traumatischen Einwirkungen auf das Auge bewahrt
wurden. So wie man die Empfindung, nicht am Auge selbst,
sondern nur vor dem Auge herstellte, so war damit auch die
an sich rein traumatische Entzündung beseitigt.

Wir können gegenwärtig also sagen: es ist gar keine
Form von Störungen dieser Art bekannt, welche aus der auf-
gehobenen Action eines Nerven hergeleitet werden könnte.
Ein Theil kann gelähmt sein, ohne dass er sich entzündet; er
kann anästhetisch sein, ohne dieser Gefahr ausgesetzt zu sein.
Es bedarf immer noch eines besonderen Reizes, sei es mecha-
nischer oder chemischer Art, sei es von Aussen oder vom
Blute her, um die eigenthümliche Anregung zu Stande zu brin-
gen. Auf diese Weise haben wir also, wie Sie sehen, eine
Reihe von Verbindungen zwischen eminent pathologischen

Vierzehnte Vorlesung.
trotz der Durchschneidung auftreten können. Vom
Vagus ist es bekanntlich schon vor längerer Zeit durch Traube
gezeigt worden, dass die Lähmung der Stimmritze, welche das
Eintreten von Mundflüssigkeiten in die Luftwege erleichtert,
ein Hauptmittel für die Entstehung der Entzündung ist; die
genauere Deutung der pathologisch-anatomischen Befunde hat
überdies herausgestellt, dass sehr Vieles von dem, was man
als Pneumonie geschildert hatte, eben nichts weiter als Ate-
lectase mit Hyperämie der Theile war; die wirkliche Pneumo-
nie ist sicher zu vermeiden, wenn die Möglichkeit des Hinein-
gelangens fremder Körper in die Bronchien abgeschnitten
wird. Dasselbe ist für die Trigeminus-Entzündungen er-
reicht worden, und zwar durch ein sehr einfaches Experiment.
Nachdem man sich früher auf die mannigfachste Weise be-
müht hatte, die verschiedenen störenden Einwirkungen auf das
seiner Empfindung beraubte Auge zu beseitigen, so ist es end-
lich in Utrecht gelungen, ein sehr einfaches Mittel zu finden,
um dem Auge wieder einen empfindlichen Apparat zu substi-
tuiren; Snellen nähte bei Thieren, welchen er den Trigemi-
nus durchschnitten hatte, das empfindende Ohr vor das Auge.
Von der Zeit an bekamen die Thiere keine Entzündungen
mehr, indem einerseits ein directer Schutz gegeben, anderer-
seits die Thiere durch die Anwesenheit einer empfindenden
Decke vor traumatischen Einwirkungen auf das Auge bewahrt
wurden. So wie man die Empfindung, nicht am Auge selbst,
sondern nur vor dem Auge herstellte, so war damit auch die
an sich rein traumatische Entzündung beseitigt.

Wir können gegenwärtig also sagen: es ist gar keine
Form von Störungen dieser Art bekannt, welche aus der auf-
gehobenen Action eines Nerven hergeleitet werden könnte.
Ein Theil kann gelähmt sein, ohne dass er sich entzündet; er
kann anästhetisch sein, ohne dieser Gefahr ausgesetzt zu sein.
Es bedarf immer noch eines besonderen Reizes, sei es mecha-
nischer oder chemischer Art, sei es von Aussen oder vom
Blute her, um die eigenthümliche Anregung zu Stande zu brin-
gen. Auf diese Weise haben wir also, wie Sie sehen, eine
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[282/0304] Vierzehnte Vorlesung. trotz der Durchschneidung auftreten können. Vom Vagus ist es bekanntlich schon vor längerer Zeit durch Traube gezeigt worden, dass die Lähmung der Stimmritze, welche das Eintreten von Mundflüssigkeiten in die Luftwege erleichtert, ein Hauptmittel für die Entstehung der Entzündung ist; die genauere Deutung der pathologisch-anatomischen Befunde hat überdies herausgestellt, dass sehr Vieles von dem, was man als Pneumonie geschildert hatte, eben nichts weiter als Ate- lectase mit Hyperämie der Theile war; die wirkliche Pneumo- nie ist sicher zu vermeiden, wenn die Möglichkeit des Hinein- gelangens fremder Körper in die Bronchien abgeschnitten wird. Dasselbe ist für die Trigeminus-Entzündungen er- reicht worden, und zwar durch ein sehr einfaches Experiment. Nachdem man sich früher auf die mannigfachste Weise be- müht hatte, die verschiedenen störenden Einwirkungen auf das seiner Empfindung beraubte Auge zu beseitigen, so ist es end- lich in Utrecht gelungen, ein sehr einfaches Mittel zu finden, um dem Auge wieder einen empfindlichen Apparat zu substi- tuiren; Snellen nähte bei Thieren, welchen er den Trigemi- nus durchschnitten hatte, das empfindende Ohr vor das Auge. Von der Zeit an bekamen die Thiere keine Entzündungen mehr, indem einerseits ein directer Schutz gegeben, anderer- seits die Thiere durch die Anwesenheit einer empfindenden Decke vor traumatischen Einwirkungen auf das Auge bewahrt wurden. So wie man die Empfindung, nicht am Auge selbst, sondern nur vor dem Auge herstellte, so war damit auch die an sich rein traumatische Entzündung beseitigt. Wir können gegenwärtig also sagen: es ist gar keine Form von Störungen dieser Art bekannt, welche aus der auf- gehobenen Action eines Nerven hergeleitet werden könnte. Ein Theil kann gelähmt sein, ohne dass er sich entzündet; er kann anästhetisch sein, ohne dieser Gefahr ausgesetzt zu sein. Es bedarf immer noch eines besonderen Reizes, sei es mecha- nischer oder chemischer Art, sei es von Aussen oder vom Blute her, um die eigenthümliche Anregung zu Stande zu brin- gen. Auf diese Weise haben wir also, wie Sie sehen, eine Reihe von Verbindungen zwischen eminent pathologischen

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/304>, abgerufen am 24.11.2024.