Gewebe der dritten Reihe hervorgehen, aus Muskeln, Nerven, Gefässen u. s. f., das ist wenigstens insofern zweifelhaft, als man natürlich die Bindegewebselemente, welche in die Zu- sammensetzung der grossen Gefässe, der grossen Muskel- und Nervenmassen eingehen, von den eigentlich muskulösen, ner- vösen und vasculösen (capillären) Elementen ausscheiden muss. Unter diesem Vorbehalt können wir vorläufig nur behaupten, dass zwei Wege der Eiterbildung möglich sind.
So lange die Bildung des Eiters eine mehr epitheliale ist, so erfolgt sie natürlich auch ohne erheblichen Substanz- verlust, ohne Geschwürsbildung. Die Sache gestaltet sich also gerade umgekehrt, wie früher gedacht wurde, wo man dem Eiter eine schmelzende Eigenschaft zuschrieb. Der Eiter ist nicht das Schmelzende, sondern das Ge- schmolzene, d. h. das transformirte Gewebe. Ein Theil wird weich, er schmilzt ein, indem er eitert, aber es ist nicht der Eiter, welcher diese Erweichung bedingt, sondern umge- kehrt, der Eiter ist es, welcher durch die Veränderung des Gewebes als Resultat hervorgebracht wird.
Entwickelung des Eiters auf Oberflächen sehen wir alle Tage sowohl an der äusseren Haut, als an Schleimhäuten und serösen Häuten. Am sichersten kann man die Entwicke- lung da beobachten, wo von Natur geschichtetes Epithel vor- handen ist. Wenn Sie die Entwickelung des Eiters auf der äusseren Haut ohne Geschwürsbildung verfolgen, so sehen Sie regelmässig, dass die Eiterung ausgeht von dem Rete Malpighii. Sie besteht in einer Wucherung und Entwickelung neuer Elemente in demselben. In dem Maasse, als diese Elemente wuchern, bildet sich eine Ablösung der härteren Epidermislage, welche in Form einer Blase, einer Pustel er- hoben wird. Der Ort, wo die Eiterung hauptsächlich erfolgt, entspricht den oberflächlichen Schichten des Rete, welche schon im Uebergange zur Epithelbildung begriffen sind; zieht man die Haut der Blase ab, so bleiben diese auch gewöhn- lich an der Oberhaut sitzen. Gegen die tieferen Lagen hin kann man verfolgen, wie die zelligen Elemente, welche ursprünglich einfache Kerne haben, sich allmälig theilen, die Kerne reichlicher werden, an die Stelle einzelner Zellen mehr-
Neunzehnte Vorlesung.
Gewebe der dritten Reihe hervorgehen, aus Muskeln, Nerven, Gefässen u. s. f., das ist wenigstens insofern zweifelhaft, als man natürlich die Bindegewebselemente, welche in die Zu- sammensetzung der grossen Gefässe, der grossen Muskel- und Nervenmassen eingehen, von den eigentlich muskulösen, ner- vösen und vasculösen (capillären) Elementen ausscheiden muss. Unter diesem Vorbehalt können wir vorläufig nur behaupten, dass zwei Wege der Eiterbildung möglich sind.
So lange die Bildung des Eiters eine mehr epitheliale ist, so erfolgt sie natürlich auch ohne erheblichen Substanz- verlust, ohne Geschwürsbildung. Die Sache gestaltet sich also gerade umgekehrt, wie früher gedacht wurde, wo man dem Eiter eine schmelzende Eigenschaft zuschrieb. Der Eiter ist nicht das Schmelzende, sondern das Ge- schmolzene, d. h. das transformirte Gewebe. Ein Theil wird weich, er schmilzt ein, indem er eitert, aber es ist nicht der Eiter, welcher diese Erweichung bedingt, sondern umge- kehrt, der Eiter ist es, welcher durch die Veränderung des Gewebes als Resultat hervorgebracht wird.
Entwickelung des Eiters auf Oberflächen sehen wir alle Tage sowohl an der äusseren Haut, als an Schleimhäuten und serösen Häuten. Am sichersten kann man die Entwicke- lung da beobachten, wo von Natur geschichtetes Epithel vor- handen ist. Wenn Sie die Entwickelung des Eiters auf der äusseren Haut ohne Geschwürsbildung verfolgen, so sehen Sie regelmässig, dass die Eiterung ausgeht von dem Rete Malpighii. Sie besteht in einer Wucherung und Entwickelung neuer Elemente in demselben. In dem Maasse, als diese Elemente wuchern, bildet sich eine Ablösung der härteren Epidermislage, welche in Form einer Blase, einer Pustel er- hoben wird. Der Ort, wo die Eiterung hauptsächlich erfolgt, entspricht den oberflächlichen Schichten des Rete, welche schon im Uebergange zur Epithelbildung begriffen sind; zieht man die Haut der Blase ab, so bleiben diese auch gewöhn- lich an der Oberhaut sitzen. Gegen die tieferen Lagen hin kann man verfolgen, wie die zelligen Elemente, welche ursprünglich einfache Kerne haben, sich allmälig theilen, die Kerne reichlicher werden, an die Stelle einzelner Zellen mehr-
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Neunzehnte Vorlesung.
Gewebe der dritten Reihe hervorgehen, aus Muskeln, Nerven,
Gefässen u. s. f., das ist wenigstens insofern zweifelhaft, als
man natürlich die Bindegewebselemente, welche in die Zu-
sammensetzung der grossen Gefässe, der grossen Muskel- und
Nervenmassen eingehen, von den eigentlich muskulösen, ner-
vösen und vasculösen (capillären) Elementen ausscheiden muss.
Unter diesem Vorbehalt können wir vorläufig nur behaupten,
dass zwei Wege der Eiterbildung möglich sind.
So lange die Bildung des Eiters eine mehr epitheliale
ist, so erfolgt sie natürlich auch ohne erheblichen Substanz-
verlust, ohne Geschwürsbildung. Die Sache gestaltet sich
also gerade umgekehrt, wie früher gedacht wurde, wo man
dem Eiter eine schmelzende Eigenschaft zuschrieb. Der
Eiter ist nicht das Schmelzende, sondern das Ge-
schmolzene, d. h. das transformirte Gewebe. Ein Theil
wird weich, er schmilzt ein, indem er eitert, aber es ist nicht
der Eiter, welcher diese Erweichung bedingt, sondern umge-
kehrt, der Eiter ist es, welcher durch die Veränderung des
Gewebes als Resultat hervorgebracht wird.
Entwickelung des Eiters auf Oberflächen sehen wir alle
Tage sowohl an der äusseren Haut, als an Schleimhäuten
und serösen Häuten. Am sichersten kann man die Entwicke-
lung da beobachten, wo von Natur geschichtetes Epithel vor-
handen ist. Wenn Sie die Entwickelung des Eiters auf der
äusseren Haut ohne Geschwürsbildung verfolgen, so sehen
Sie regelmässig, dass die Eiterung ausgeht von dem Rete
Malpighii. Sie besteht in einer Wucherung und Entwickelung
neuer Elemente in demselben. In dem Maasse, als diese
Elemente wuchern, bildet sich eine Ablösung der härteren
Epidermislage, welche in Form einer Blase, einer Pustel er-
hoben wird. Der Ort, wo die Eiterung hauptsächlich erfolgt,
entspricht den oberflächlichen Schichten des Rete, welche
schon im Uebergange zur Epithelbildung begriffen sind; zieht
man die Haut der Blase ab, so bleiben diese auch gewöhn-
lich an der Oberhaut sitzen. Gegen die tieferen Lagen hin
kann man verfolgen, wie die zelligen Elemente, welche
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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/418>, abgerufen am 26.11.2024.
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