Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Terminologie der Neubildungen.
Neubildungen nahezu gleichartig sind, dass im Besonderen
die Theilung der Kerne, ihre Vermehrung, die endliche Thei-
lung der Zellen in fast allen Neubildungen, in den gut- wie
bösartigen, in den hyperplastischen wie heteroplastischen sich
auf dieselbe Weise darstellt. Unzweifelhaft ist aber diese
Gleichartigkeit eine vorübergehende; es dauert nicht lange,
bis an jedem einzelnen Gebilde irgend eine characteristische
Erscheinung hervortritt, wodurch wir in die Lage gesetzt wer-
den, seine Natur deutlich zu erkennen.

In diesem Punkte, wo es sich um die Kriterien der Neu-
bildungen handelt, ist freilich auch gegenwärtig eine Einigkeit
der Ansichten keineswegs gewonnen, und auch hier ist es
daher meine Aufgabe, zu zeigen, wie ich zu meinen zum
Theil so abweichenden Ansichten gelangt bin, und aus welchen
Gründen ich mich von dem betretenen Wege entfernen zu
müssen geglaubt habe.

Die Namen, mit denen man die einzelnen Neubildungen
zu belegen pflegt, haben sich, wie Sie wissen, oft ziemlich
zufällig, zum Theil in sehr willkürlicher Weise gestaltet.
Der Versuch, eine regelmässige Terminologie herzustellen, ist
früher eigentlich nur in Beziehung auf die Consistenz der Ge-
schwülste gemacht worden, indem man Eintheilungsgründe
davon hernahm, dass man die Substanz der Neubildung bald
als hart, bald als weich, als flüssig, breiig, gallertartig u. s. f.
beschrieb, und danach die Meliceris, die Atherome, die Steatome,
die Scirrhen u. s. w. von einander trennte. Es versteht sich von
selbst, dass die Begriffe, welche man jetzt an manche dieser Dinge
knüpft, abgethan werden müssen, wenn man die ursprüngliche
Bedeutung jener Bezeichnungen verstehen will. Wenn man
heut zu Tage einen atheromatösen Prozess constituirt, so ist
das etwas, was den Alten ganz fern gelegen hat. Wenn die
heutigen Geschwulstanatomen sich bemühen, ein Steatom zu
entdecken, welches eine feste Fettgeschwulst sein soll, so
müssen Sie sich erinnern, dass die Stearinfabrikation zur Zeit,
als das Steatom aufkam, noch nicht bekannt war, und die
Alten nicht den Gedanken gehabt haben, dass das Steatom
eine Stearin- oder überhaupt eine Fettgeschwulst sei, was den
heutigen Geschwulstlehrern nicht aus dem Kopfe will.


Terminologie der Neubildungen.
Neubildungen nahezu gleichartig sind, dass im Besonderen
die Theilung der Kerne, ihre Vermehrung, die endliche Thei-
lung der Zellen in fast allen Neubildungen, in den gut- wie
bösartigen, in den hyperplastischen wie heteroplastischen sich
auf dieselbe Weise darstellt. Unzweifelhaft ist aber diese
Gleichartigkeit eine vorübergehende; es dauert nicht lange,
bis an jedem einzelnen Gebilde irgend eine characteristische
Erscheinung hervortritt, wodurch wir in die Lage gesetzt wer-
den, seine Natur deutlich zu erkennen.

In diesem Punkte, wo es sich um die Kriterien der Neu-
bildungen handelt, ist freilich auch gegenwärtig eine Einigkeit
der Ansichten keineswegs gewonnen, und auch hier ist es
daher meine Aufgabe, zu zeigen, wie ich zu meinen zum
Theil so abweichenden Ansichten gelangt bin, und aus welchen
Gründen ich mich von dem betretenen Wege entfernen zu
müssen geglaubt habe.

Die Namen, mit denen man die einzelnen Neubildungen
zu belegen pflegt, haben sich, wie Sie wissen, oft ziemlich
zufällig, zum Theil in sehr willkürlicher Weise gestaltet.
Der Versuch, eine regelmässige Terminologie herzustellen, ist
früher eigentlich nur in Beziehung auf die Consistenz der Ge-
schwülste gemacht worden, indem man Eintheilungsgründe
davon hernahm, dass man die Substanz der Neubildung bald
als hart, bald als weich, als flüssig, breiig, gallertartig u. s. f.
beschrieb, und danach die Meliceris, die Atherome, die Steatome,
die Scirrhen u. s. w. von einander trennte. Es versteht sich von
selbst, dass die Begriffe, welche man jetzt an manche dieser Dinge
knüpft, abgethan werden müssen, wenn man die ursprüngliche
Bedeutung jener Bezeichnungen verstehen will. Wenn man
heut zu Tage einen atheromatösen Prozess constituirt, so ist
das etwas, was den Alten ganz fern gelegen hat. Wenn die
heutigen Geschwulstanatomen sich bemühen, ein Steatom zu
entdecken, welches eine feste Fettgeschwulst sein soll, so
müssen Sie sich erinnern, dass die Stearinfabrikation zur Zeit,
als das Steatom aufkam, noch nicht bekannt war, und die
Alten nicht den Gedanken gehabt haben, dass das Steatom
eine Stearin- oder überhaupt eine Fettgeschwulst sei, was den
heutigen Geschwulstlehrern nicht aus dem Kopfe will.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0433" n="411"/><fw place="top" type="header">Terminologie der Neubildungen.</fw><lb/>
Neubildungen nahezu gleichartig sind, dass im Besonderen<lb/>
die Theilung der Kerne, ihre Vermehrung, die endliche Thei-<lb/>
lung der Zellen in fast allen Neubildungen, in den gut- wie<lb/>
bösartigen, in den hyperplastischen wie heteroplastischen sich<lb/>
auf dieselbe Weise darstellt. Unzweifelhaft ist aber diese<lb/>
Gleichartigkeit eine vorübergehende; es dauert nicht lange,<lb/>
bis an jedem einzelnen Gebilde irgend eine characteristische<lb/>
Erscheinung hervortritt, wodurch wir in die Lage gesetzt wer-<lb/>
den, seine Natur deutlich zu erkennen.</p><lb/>
        <p>In diesem Punkte, wo es sich um die Kriterien der Neu-<lb/>
bildungen handelt, ist freilich auch gegenwärtig eine Einigkeit<lb/>
der Ansichten keineswegs gewonnen, und auch hier ist es<lb/>
daher meine Aufgabe, zu zeigen, wie ich zu meinen zum<lb/>
Theil so abweichenden Ansichten gelangt bin, und aus welchen<lb/>
Gründen ich mich von dem betretenen Wege entfernen zu<lb/>
müssen geglaubt habe.</p><lb/>
        <p>Die Namen, mit denen man die einzelnen Neubildungen<lb/>
zu belegen pflegt, haben sich, wie Sie wissen, oft ziemlich<lb/>
zufällig, zum Theil in sehr willkürlicher Weise gestaltet.<lb/>
Der Versuch, eine regelmässige Terminologie herzustellen, ist<lb/>
früher eigentlich nur in Beziehung auf die Consistenz der Ge-<lb/>
schwülste gemacht worden, indem man Eintheilungsgründe<lb/>
davon hernahm, dass man die Substanz der Neubildung bald<lb/>
als hart, bald als weich, als flüssig, breiig, gallertartig u. s. f.<lb/>
beschrieb, und danach die Meliceris, die Atherome, die Steatome,<lb/>
die Scirrhen u. s. w. von einander trennte. Es versteht sich von<lb/>
selbst, dass die Begriffe, welche man jetzt an manche dieser Dinge<lb/>
knüpft, abgethan werden müssen, wenn man die ursprüngliche<lb/>
Bedeutung jener Bezeichnungen verstehen will. Wenn man<lb/>
heut zu Tage einen atheromatösen Prozess constituirt, so ist<lb/>
das etwas, was den Alten ganz fern gelegen hat. Wenn die<lb/>
heutigen Geschwulstanatomen sich bemühen, ein Steatom zu<lb/>
entdecken, welches eine feste Fettgeschwulst sein soll, so<lb/>
müssen Sie sich erinnern, dass die Stearinfabrikation zur Zeit,<lb/>
als das Steatom aufkam, noch nicht bekannt war, und die<lb/>
Alten nicht den Gedanken gehabt haben, dass das Steatom<lb/>
eine Stearin- oder überhaupt eine Fettgeschwulst sei, was den<lb/>
heutigen Geschwulstlehrern nicht aus dem Kopfe will.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[411/0433] Terminologie der Neubildungen. Neubildungen nahezu gleichartig sind, dass im Besonderen die Theilung der Kerne, ihre Vermehrung, die endliche Thei- lung der Zellen in fast allen Neubildungen, in den gut- wie bösartigen, in den hyperplastischen wie heteroplastischen sich auf dieselbe Weise darstellt. Unzweifelhaft ist aber diese Gleichartigkeit eine vorübergehende; es dauert nicht lange, bis an jedem einzelnen Gebilde irgend eine characteristische Erscheinung hervortritt, wodurch wir in die Lage gesetzt wer- den, seine Natur deutlich zu erkennen. In diesem Punkte, wo es sich um die Kriterien der Neu- bildungen handelt, ist freilich auch gegenwärtig eine Einigkeit der Ansichten keineswegs gewonnen, und auch hier ist es daher meine Aufgabe, zu zeigen, wie ich zu meinen zum Theil so abweichenden Ansichten gelangt bin, und aus welchen Gründen ich mich von dem betretenen Wege entfernen zu müssen geglaubt habe. Die Namen, mit denen man die einzelnen Neubildungen zu belegen pflegt, haben sich, wie Sie wissen, oft ziemlich zufällig, zum Theil in sehr willkürlicher Weise gestaltet. Der Versuch, eine regelmässige Terminologie herzustellen, ist früher eigentlich nur in Beziehung auf die Consistenz der Ge- schwülste gemacht worden, indem man Eintheilungsgründe davon hernahm, dass man die Substanz der Neubildung bald als hart, bald als weich, als flüssig, breiig, gallertartig u. s. f. beschrieb, und danach die Meliceris, die Atherome, die Steatome, die Scirrhen u. s. w. von einander trennte. Es versteht sich von selbst, dass die Begriffe, welche man jetzt an manche dieser Dinge knüpft, abgethan werden müssen, wenn man die ursprüngliche Bedeutung jener Bezeichnungen verstehen will. Wenn man heut zu Tage einen atheromatösen Prozess constituirt, so ist das etwas, was den Alten ganz fern gelegen hat. Wenn die heutigen Geschwulstanatomen sich bemühen, ein Steatom zu entdecken, welches eine feste Fettgeschwulst sein soll, so müssen Sie sich erinnern, dass die Stearinfabrikation zur Zeit, als das Steatom aufkam, noch nicht bekannt war, und die Alten nicht den Gedanken gehabt haben, dass das Steatom eine Stearin- oder überhaupt eine Fettgeschwulst sei, was den heutigen Geschwulstlehrern nicht aus dem Kopfe will.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/433
Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/433>, abgerufen am 27.11.2024.