für sich scheint es zwar, als solle die Kunst das Absolute schlechthin offenbaren; es fehlt aber natürlich die Einsicht nicht, wie dieß die Kunst dadurch thut, daß sie "die Formen der Dinge an sich und wie sie in den Urbildern sind," also daß sie nicht eine ohne sie fertige einzelne Ge- stalt, welche schlechthin das All in sich begriffe, sondern zunächst irgend eine einzelne Idee in beschlossener Gestalt und dadurch das All darstellt (vergl. insbesondere d. Rede über das Verhältniß der bildenden Kunst zur Natur); nur ist diese Einsicht wie bei Hegel in der allgemeinen Ab- leitung nicht durchgeführt. Wohl aber wird die Kunst mit der Religion auf ganz unstatthafte Weise vermengt; Schelling spricht sogar eine Unmöglichkeit aus, der Kunst eine andere poetische Welt als innerhalb der Religion und durch Religion zu geben (a. a. O. 322) und dieß würde in seiner Consequenz auch den Satz wieder aufheben, daß die Kunst das Absolute durch die Zwischenglieder der einzelnen Ideen dar- stellt; denn die Religion hat den Charakter der Ausschließlichkeit, daß sie sich nicht über das Ganze des Lebens ausdehnt, sondern nur die sittlichen Höhen desselben in ihre Symbolik aufnimmt und das Uebrige abweist. Ganz unklar bleibt in diesem Punkte Solger, der zuerst Schellings Ideen zu einer Philosophie der Kunst durchgeführt hat. Er nennt die absolute Idee Gott und legt auf den Begriff eines schaffen- den Gottes ein Gewicht, als wäre nur aus ihm das Schöne abzulei- ten. Dazwischen wird gegen die Ansicht, als wäre Gott ein einzel- nes und für sich bestehendes Wesen, protestirt (Erwin 1, 136. 138. 247). Es bleibt aber ein völliges Dunkel über diesem Punkte. Die Idee eines schaffenden Gottes erscheint dennoch wieder als die einzige Aushilfe aus den Irrwegen der Dialektik, die das Schöne nicht zu begreifen ver- mag. In den nachgel. Schr. Th. 2, 428 wird ein Ausdruck des Boccaccio gebilligt, die Kunst sey blos eine andere Art der Theologie. Solger unterscheidet eine göttliche und irdische Schönheit. Jene enthält die absoluten Gestalten der alten Mythologie und der christlichen Mystik. Die ersteren nun sind natürlich nur Bilder der Phantasie, allein die zweite wird unter dem Begriff der Allegorie so gefaßt, daß die wahre Allegorie auch seyn soll, was sie bedeutet. Daraus folgt, daß die wirkliche Geschichte in heilige, absolute Geschichte aufgehoben werden soll, und der Werth der bestimmten Idee ist ebenhiemit in dieser Beziehung geläugnet. Ein Gegensatz, der nur in die Geschichte des Ideals gehört, ist in dieser Entgegensetzung des göttlichen und irdischen Schönen als bleibender festgehalten, es wird nicht als Fortschritt der Kunst be-
für ſich ſcheint es zwar, als ſolle die Kunſt das Abſolute ſchlechthin offenbaren; es fehlt aber natürlich die Einſicht nicht, wie dieß die Kunſt dadurch thut, daß ſie „die Formen der Dinge an ſich und wie ſie in den Urbildern ſind,“ alſo daß ſie nicht eine ohne ſie fertige einzelne Ge- ſtalt, welche ſchlechthin das All in ſich begriffe, ſondern zunächſt irgend eine einzelne Idee in beſchloſſener Geſtalt und dadurch das All darſtellt (vergl. insbeſondere d. Rede über das Verhältniß der bildenden Kunſt zur Natur); nur iſt dieſe Einſicht wie bei Hegel in der allgemeinen Ab- leitung nicht durchgeführt. Wohl aber wird die Kunſt mit der Religion auf ganz unſtatthafte Weiſe vermengt; Schelling ſpricht ſogar eine Unmöglichkeit aus, der Kunſt eine andere poetiſche Welt als innerhalb der Religion und durch Religion zu geben (a. a. O. 322) und dieß würde in ſeiner Conſequenz auch den Satz wieder aufheben, daß die Kunſt das Abſolute durch die Zwiſchenglieder der einzelnen Ideen dar- ſtellt; denn die Religion hat den Charakter der Ausſchließlichkeit, daß ſie ſich nicht über das Ganze des Lebens ausdehnt, ſondern nur die ſittlichen Höhen deſſelben in ihre Symbolik aufnimmt und das Uebrige abweist. Ganz unklar bleibt in dieſem Punkte Solger, der zuerſt Schellings Ideen zu einer Philoſophie der Kunſt durchgeführt hat. Er nennt die abſolute Idee Gott und legt auf den Begriff eines ſchaffen- den Gottes ein Gewicht, als wäre nur aus ihm das Schöne abzulei- ten. Dazwiſchen wird gegen die Anſicht, als wäre Gott ein einzel- nes und für ſich beſtehendes Weſen, proteſtirt (Erwin 1, 136. 138. 247). Es bleibt aber ein völliges Dunkel über dieſem Punkte. Die Idee eines ſchaffenden Gottes erſcheint dennoch wieder als die einzige Aushilfe aus den Irrwegen der Dialektik, die das Schöne nicht zu begreifen ver- mag. In den nachgel. Schr. Th. 2, 428 wird ein Ausdruck des Boccaccio gebilligt, die Kunſt ſey blos eine andere Art der Theologie. Solger unterſcheidet eine göttliche und irdiſche Schönheit. Jene enthält die abſoluten Geſtalten der alten Mythologie und der chriſtlichen Myſtik. Die erſteren nun ſind natürlich nur Bilder der Phantaſie, allein die zweite wird unter dem Begriff der Allegorie ſo gefaßt, daß die wahre Allegorie auch ſeyn ſoll, was ſie bedeutet. Daraus folgt, daß die wirkliche Geſchichte in heilige, abſolute Geſchichte aufgehoben werden ſoll, und der Werth der beſtimmten Idee iſt ebenhiemit in dieſer Beziehung geläugnet. Ein Gegenſatz, der nur in die Geſchichte des Ideals gehört, iſt in dieſer Entgegenſetzung des göttlichen und irdiſchen Schönen als bleibender feſtgehalten, es wird nicht als Fortſchritt der Kunſt be-
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für ſich ſcheint es zwar, als ſolle die Kunſt das Abſolute ſchlechthin
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dadurch thut, daß ſie „die Formen der Dinge an ſich und wie ſie in
den Urbildern ſind,“ alſo daß ſie nicht eine ohne ſie fertige einzelne Ge-
ſtalt, welche ſchlechthin das All in ſich begriffe, ſondern zunächſt irgend
eine einzelne Idee in beſchloſſener Geſtalt und dadurch das All darſtellt
(vergl. insbeſondere d. Rede über das Verhältniß der bildenden Kunſt zur
Natur); nur iſt dieſe Einſicht wie bei Hegel in der allgemeinen Ab-
leitung nicht durchgeführt. Wohl aber wird die Kunſt mit der Religion
auf ganz unſtatthafte Weiſe vermengt; Schelling ſpricht ſogar eine
Unmöglichkeit aus, der Kunſt eine andere poetiſche Welt als innerhalb
der Religion und durch Religion zu geben (a. a. O. 322) und dieß
würde in ſeiner Conſequenz auch den Satz wieder aufheben, daß die
Kunſt das Abſolute durch die Zwiſchenglieder der einzelnen Ideen dar-
ſtellt; denn die Religion hat den Charakter der Ausſchließlichkeit, daß
ſie ſich nicht über das Ganze des Lebens ausdehnt, ſondern nur die
ſittlichen Höhen deſſelben in ihre Symbolik aufnimmt und das Uebrige
abweist. Ganz unklar bleibt in dieſem Punkte Solger, der zuerſt
Schellings Ideen zu einer Philoſophie der Kunſt durchgeführt hat.
Er nennt die abſolute Idee Gott und legt auf den Begriff eines ſchaffen-
den Gottes ein Gewicht, als wäre nur aus ihm das Schöne abzulei-
ten. Dazwiſchen wird gegen die Anſicht, als wäre Gott ein einzel-
nes und für ſich beſtehendes Weſen, proteſtirt (Erwin 1, 136. 138. 247).
Es bleibt aber ein völliges Dunkel über dieſem Punkte. Die Idee eines
ſchaffenden Gottes erſcheint dennoch wieder als die einzige Aushilfe aus
den Irrwegen der Dialektik, die das Schöne nicht zu begreifen ver-
mag. In den nachgel. Schr. Th. 2, 428 wird ein Ausdruck des Boccaccio
gebilligt, die Kunſt ſey blos eine andere Art der Theologie. Solger
unterſcheidet eine göttliche und irdiſche Schönheit. Jene enthält die
abſoluten Geſtalten der alten Mythologie und der chriſtlichen Myſtik.
Die erſteren nun ſind natürlich nur Bilder der Phantaſie, allein die
zweite wird unter dem Begriff der Allegorie ſo gefaßt, daß die wahre
Allegorie auch ſeyn ſoll, was ſie bedeutet. Daraus folgt, daß die
wirkliche Geſchichte in heilige, abſolute Geſchichte aufgehoben werden ſoll,
und der Werth der beſtimmten Idee iſt ebenhiemit in dieſer Beziehung
geläugnet. Ein Gegenſatz, der nur in die Geſchichte des Ideals gehört,
iſt in dieſer Entgegenſetzung des göttlichen und irdiſchen Schönen als
bleibender feſtgehalten, es wird nicht als Fortſchritt der Kunſt be-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/100>, abgerufen am 21.11.2024.
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