Individuum fällt nicht neben und außer den Begriff seiner Gattung, sondern dieser ist in ihm gegenwärtig eben als sich durchführender Zweck. Das Individuum ist Verwirklichung der Gattung im Naturstoffe, dieser erscheint nun nicht mehr als ein Fremdes gegen die geistige Allgemein- heit der Gattung oder Idee, denn die Natur ist gebundener Geist und der Geist zu sich gekommene, eine zweite Natur schaffende Natur. Die Gattung selbst aber ist eine Idee, die ihren bestimmten Ort hat in dem Kreise der Ideen, so daß mit ihr die absolute Idee selbst zum Ausdrucke kommt. Von da aus nun fehlt blos noch der Schritt zum Schönen, daß in diesem das Individuum nicht nur als Ausdruck, sondern als mangellos reiner Ausdruck der Idee gefaßt werde; und so hat Schelling wirklich das Schöne bestimmt. Der Terminus Vollkommen- heit tritt wieder auf, allein jetzt ohne die Zweideutigkeit, die er in der Wolffischen Schule hatte. Die Schönheit heißt im Bruno der äußere Ausdruck der organischen Vollkommenheit. Vollkommenheit ist aber hier nicht eine relative, eine Angemessenheit zu einem Zwecke außerhalb, sondern Vollkommenheit an sich, größte Unabhängigkeit von Bedingungen. In der Rede über das Verh. d. bild. Künste z. Natur ist der durchaus herrschende Gedanke die Lebendigkeit der Natur. Keine Kunst und keine Kunst- philosophie ist möglich, wo die Natur als ein Todtes vorschwebt. Das thätig wirksame Band des Begriffs und der Form wird gesucht, die Kraft, durch welche die Seele sammt dem Leib zumal und wie mit Einem Hauche geschaffen wird. Dieses Band liegt nicht erst in der Kunst, sondern schon in der Natur; zu dem thätigen Prinzip in der Natur muß die Kunst zurückgehen, wenn sie lernen will, wie die Formen vom Begriff aus erzeugt werden, auf die positive Kraft, welche als schaffender Begriff den Theilen der Materie eine solche Lage und Stellung gegeneinander gibt, durch welche er selbst als ihre wesent- liche Einheit sichtbar werden kann. Dies thätige Prinzip kann nur Geist seyn, denn alle Einheit ist geistiger Abkunft; die Natur ist werkthätige Wissenschaft, eine Wissenschaft, worin der Begriff nicht von der That, noch der Entwurf von der Ausführung verschieden ist. Jedem Ding steht ein ewiger Begriff vor, der in dem unendlichen Verstande entworfen ist, die Natur als schaffende Wissenschaft verkörpert ihn. Zu diesem Kerne der Natur, zu diesem im Innern der Dinge wirksamen, durch Form und Gestalt redenden Naturgeist muß der Künstler durchdringen, und indem er ausscheidet, was ihn nicht darstellt, stellt er nur das Nichtseyende als nichtseyend dar und bringt das in der Natur in der
Individuum fällt nicht neben und außer den Begriff ſeiner Gattung, ſondern dieſer iſt in ihm gegenwärtig eben als ſich durchführender Zweck. Das Individuum iſt Verwirklichung der Gattung im Naturſtoffe, dieſer erſcheint nun nicht mehr als ein Fremdes gegen die geiſtige Allgemein- heit der Gattung oder Idee, denn die Natur iſt gebundener Geiſt und der Geiſt zu ſich gekommene, eine zweite Natur ſchaffende Natur. Die Gattung ſelbſt aber iſt eine Idee, die ihren beſtimmten Ort hat in dem Kreiſe der Ideen, ſo daß mit ihr die abſolute Idee ſelbſt zum Ausdrucke kommt. Von da aus nun fehlt blos noch der Schritt zum Schönen, daß in dieſem das Individuum nicht nur als Ausdruck, ſondern als mangellos reiner Ausdruck der Idee gefaßt werde; und ſo hat Schelling wirklich das Schöne beſtimmt. Der Terminus Vollkommen- heit tritt wieder auf, allein jetzt ohne die Zweideutigkeit, die er in der Wolffiſchen Schule hatte. Die Schönheit heißt im Bruno der äußere Ausdruck der organiſchen Vollkommenheit. Vollkommenheit iſt aber hier nicht eine relative, eine Angemeſſenheit zu einem Zwecke außerhalb, ſondern Vollkommenheit an ſich, größte Unabhängigkeit von Bedingungen. In der Rede über das Verh. d. bild. Künſte z. Natur iſt der durchaus herrſchende Gedanke die Lebendigkeit der Natur. Keine Kunſt und keine Kunſt- philoſophie iſt möglich, wo die Natur als ein Todtes vorſchwebt. Das thätig wirkſame Band des Begriffs und der Form wird geſucht, die Kraft, durch welche die Seele ſammt dem Leib zumal und wie mit Einem Hauche geſchaffen wird. Dieſes Band liegt nicht erſt in der Kunſt, ſondern ſchon in der Natur; zu dem thätigen Prinzip in der Natur muß die Kunſt zurückgehen, wenn ſie lernen will, wie die Formen vom Begriff aus erzeugt werden, auf die poſitive Kraft, welche als ſchaffender Begriff den Theilen der Materie eine ſolche Lage und Stellung gegeneinander gibt, durch welche er ſelbſt als ihre weſent- liche Einheit ſichtbar werden kann. Dies thätige Prinzip kann nur Geiſt ſeyn, denn alle Einheit iſt geiſtiger Abkunft; die Natur iſt werkthätige Wiſſenſchaft, eine Wiſſenſchaft, worin der Begriff nicht von der That, noch der Entwurf von der Ausführung verſchieden iſt. Jedem Ding ſteht ein ewiger Begriff vor, der in dem unendlichen Verſtande entworfen iſt, die Natur als ſchaffende Wiſſenſchaft verkörpert ihn. Zu dieſem Kerne der Natur, zu dieſem im Innern der Dinge wirkſamen, durch Form und Geſtalt redenden Naturgeiſt muß der Künſtler durchdringen, und indem er ausſcheidet, was ihn nicht darſtellt, ſtellt er nur das Nichtſeyende als nichtſeyend dar und bringt das in der Natur in der
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Individuum fällt nicht neben und außer den Begriff ſeiner Gattung,
ſondern dieſer iſt in ihm gegenwärtig eben als ſich durchführender Zweck.
Das Individuum iſt Verwirklichung der Gattung im Naturſtoffe, dieſer
erſcheint nun nicht mehr als ein Fremdes gegen die geiſtige Allgemein-
heit der Gattung oder Idee, denn die Natur iſt gebundener Geiſt und
der Geiſt zu ſich gekommene, eine zweite Natur ſchaffende Natur. Die
Gattung ſelbſt aber iſt eine Idee, die ihren beſtimmten Ort hat in
dem Kreiſe der Ideen, ſo daß mit ihr die abſolute Idee ſelbſt zum
Ausdrucke kommt. Von da aus nun fehlt blos noch der Schritt zum
Schönen, daß in dieſem das Individuum nicht nur als Ausdruck, ſondern
als mangellos reiner Ausdruck der Idee gefaßt werde; und ſo hat
Schelling wirklich das Schöne beſtimmt. Der Terminus Vollkommen-
heit tritt wieder auf, allein jetzt ohne die Zweideutigkeit, die er in der
Wolffiſchen Schule hatte. Die Schönheit heißt im Bruno der äußere
Ausdruck der organiſchen Vollkommenheit. Vollkommenheit iſt aber hier
nicht eine relative, eine Angemeſſenheit zu einem Zwecke außerhalb, ſondern
Vollkommenheit an ſich, größte Unabhängigkeit von Bedingungen. In
der Rede über das Verh. d. bild. Künſte z. Natur iſt der durchaus
herrſchende Gedanke die Lebendigkeit der Natur. Keine Kunſt und keine Kunſt-
philoſophie iſt möglich, wo die Natur als ein Todtes vorſchwebt. Das
thätig wirkſame Band des Begriffs und der Form wird geſucht, die
Kraft, durch welche die Seele ſammt dem Leib zumal und wie
mit Einem Hauche geſchaffen wird. Dieſes Band liegt nicht erſt
in der Kunſt, ſondern ſchon in der Natur; zu dem thätigen Prinzip in
der Natur muß die Kunſt zurückgehen, wenn ſie lernen will, wie die
Formen vom Begriff aus erzeugt werden, auf die poſitive Kraft,
welche als ſchaffender Begriff den Theilen der Materie eine ſolche Lage
und Stellung gegeneinander gibt, durch welche er ſelbſt als ihre weſent-
liche Einheit ſichtbar werden kann. Dies thätige Prinzip kann nur Geiſt
ſeyn, denn alle Einheit iſt geiſtiger Abkunft; die Natur iſt werkthätige
Wiſſenſchaft, eine Wiſſenſchaft, worin der Begriff nicht von der That,
noch der Entwurf von der Ausführung verſchieden iſt. Jedem Ding
ſteht ein ewiger Begriff vor, der in dem unendlichen Verſtande entworfen
iſt, die Natur als ſchaffende Wiſſenſchaft verkörpert ihn. Zu dieſem
Kerne der Natur, zu dieſem im Innern der Dinge wirkſamen, durch
Form und Geſtalt redenden Naturgeiſt muß der Künſtler durchdringen,
und indem er ausſcheidet, was ihn nicht darſtellt, ſtellt er nur das
Nichtſeyende als nichtſeyend dar und bringt das in der Natur in der
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/144>, abgerufen am 23.11.2024.
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