sich Vollenden, was eine Wahrheit ist. Die Schönheit wartet nicht, bis die Sittlichkeit fertig ist, darum wird ihr freilich die Arbeit leicht, oder richtiger, sie hat in dem Sinne, in welchem der sittliche Wille sie hat, gar keine Arbeit, keinen Kampf; die Arbeit, welche sie braucht, um dies Arbeitslose darzustellen, hat zwar auch ihre Herbe, gehört aber nicht hieher. Dies Mühelose setzt also jenes Mühevolle voraus, steht über ihm. Nur wenn subjectiv der falsche Standpunkt eingenommen würde, das Schöne zu preisen, als erspare es den schweren realen Kampf des Guten, dies wäre verwerflich. Es ist dies der Standpunkt des Schöngeists, der insbesondere in der eigenen Persönlichkeit die ungebundene Natur des Schönen darzustellen eilt, ehe er dem bindenden Gesetze des Guten zu gehorchen verstand. In wissenschaftlichem Zusammenhang kann aber nicht davon die Rede seyn, daß eine Veranlassung wäre, die vorausgesetzte Sphäre darum als eine überflüßige anzusehen, weil eine höhere über sie tritt. Auch haben alle wahrhaft großen Künstler-Naturen einfach und menschlich dem Guten gedient und selbst in ihrem ästhetischen Hervor- bringen sich zwar billig mit den reinen Form-Prinzipien beschäftigt, im Grunde des Herzens aber meinten sie nur den großen Forderungen eines großen Gehalts zu folgen und waren sich nicht einmal bewußt, daß er in ihren Händen aufhörte, bloser Gehalt zu seyn. Die großen alten Dichter setzen, unbewußt über das Gesetz ihres eigenen Thuns, den Werth ihrer Werke in sittliche Erhebung. Die Sittlichkeit ist ferner als realer Kampf totaler, aber der kleine Punkt, in welchen die Schönheit das vollendete Ganze zaubert, ist ein Weltall und zieht die extensiv unendliche Thätigkeit des Guten intensiv in Eins zusammen. Wirth führt am Schlusse die Schönheit in die Sittlichkeit selbst ein als ihre höchste Vollendung, das "System der schönen Sittlichkeit" bildet den Gipfel seiner Ethik und so behauptet er, die Sittlichkeit setze das schöne Element zu einer blosen Potenz ihrer selbst herab (S. 14). Allein zuerst ist zu erwägen, daß die Welt der Sittlichkeit als Stoff (Inhalt) in die Schönheit eingeht; dies ist das Hauptverhältniß und die Sphäre, welcher die andere zum Stoff wird, steht höher, also in der Rang-Ordnung weiter vorwärts. Wirklich ist es gerade das Bewußtseyn, daß in der Welt der Sittlichkeit ein niemals überwundener Rest bleibt, was den Geist eben von da hinaufführt in die Sphäre des Absoluten, wo er diesen letzten Rest als gehoben anschaut. Der Geist kommt, so zu sagen, müde von dem Kampfe des Willens im Reich des Absoluten an, wo er die unendliche Versöhnung sich gibt. Wenn nun aber allerdings auch der sittliche Geist die Schönheit in sich auf-
ſich Vollenden, was eine Wahrheit iſt. Die Schönheit wartet nicht, bis die Sittlichkeit fertig iſt, darum wird ihr freilich die Arbeit leicht, oder richtiger, ſie hat in dem Sinne, in welchem der ſittliche Wille ſie hat, gar keine Arbeit, keinen Kampf; die Arbeit, welche ſie braucht, um dies Arbeitsloſe darzuſtellen, hat zwar auch ihre Herbe, gehört aber nicht hieher. Dies Müheloſe ſetzt alſo jenes Mühevolle voraus, ſteht über ihm. Nur wenn ſubjectiv der falſche Standpunkt eingenommen würde, das Schöne zu preiſen, als erſpare es den ſchweren realen Kampf des Guten, dies wäre verwerflich. Es iſt dies der Standpunkt des Schöngeiſts, der insbeſondere in der eigenen Perſönlichkeit die ungebundene Natur des Schönen darzuſtellen eilt, ehe er dem bindenden Geſetze des Guten zu gehorchen verſtand. In wiſſenſchaftlichem Zuſammenhang kann aber nicht davon die Rede ſeyn, daß eine Veranlaſſung wäre, die vorausgeſetzte Sphäre darum als eine überflüßige anzuſehen, weil eine höhere über ſie tritt. Auch haben alle wahrhaft großen Künſtler-Naturen einfach und menſchlich dem Guten gedient und ſelbſt in ihrem äſthetiſchen Hervor- bringen ſich zwar billig mit den reinen Form-Prinzipien beſchäftigt, im Grunde des Herzens aber meinten ſie nur den großen Forderungen eines großen Gehalts zu folgen und waren ſich nicht einmal bewußt, daß er in ihren Händen aufhörte, bloſer Gehalt zu ſeyn. Die großen alten Dichter ſetzen, unbewußt über das Geſetz ihres eigenen Thuns, den Werth ihrer Werke in ſittliche Erhebung. Die Sittlichkeit iſt ferner als realer Kampf totaler, aber der kleine Punkt, in welchen die Schönheit das vollendete Ganze zaubert, iſt ein Weltall und zieht die extenſiv unendliche Thätigkeit des Guten intenſiv in Eins zuſammen. Wirth führt am Schluſſe die Schönheit in die Sittlichkeit ſelbſt ein als ihre höchſte Vollendung, das „Syſtem der ſchönen Sittlichkeit“ bildet den Gipfel ſeiner Ethik und ſo behauptet er, die Sittlichkeit ſetze das ſchöne Element zu einer bloſen Potenz ihrer ſelbſt herab (S. 14). Allein zuerſt iſt zu erwägen, daß die Welt der Sittlichkeit als Stoff (Inhalt) in die Schönheit eingeht; dies iſt das Hauptverhältniß und die Sphäre, welcher die andere zum Stoff wird, ſteht höher, alſo in der Rang-Ordnung weiter vorwärts. Wirklich iſt es gerade das Bewußtſeyn, daß in der Welt der Sittlichkeit ein niemals überwundener Reſt bleibt, was den Geiſt eben von da hinaufführt in die Sphäre des Abſoluten, wo er dieſen letzten Reſt als gehoben anſchaut. Der Geiſt kommt, ſo zu ſagen, müde von dem Kampfe des Willens im Reich des Abſoluten an, wo er die unendliche Verſöhnung ſich gibt. Wenn nun aber allerdings auch der ſittliche Geiſt die Schönheit in ſich auf-
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ſich Vollenden, was eine Wahrheit iſt. Die Schönheit wartet nicht, bis
die Sittlichkeit fertig iſt, darum wird ihr freilich die Arbeit leicht, oder
richtiger, ſie hat in dem Sinne, in welchem der ſittliche Wille ſie hat,
gar keine Arbeit, keinen Kampf; die Arbeit, welche ſie braucht, um dies
Arbeitsloſe darzuſtellen, hat zwar auch ihre Herbe, gehört aber nicht hieher.
Dies Müheloſe ſetzt alſo jenes Mühevolle voraus, ſteht über ihm. Nur
wenn ſubjectiv der falſche Standpunkt eingenommen würde, das Schöne
zu preiſen, als erſpare es den ſchweren realen Kampf des Guten,
dies wäre verwerflich. Es iſt dies der Standpunkt des Schöngeiſts,
der insbeſondere in der eigenen Perſönlichkeit die ungebundene Natur des
Schönen darzuſtellen eilt, ehe er dem bindenden Geſetze des Guten zu
gehorchen verſtand. In wiſſenſchaftlichem Zuſammenhang kann aber nicht
davon die Rede ſeyn, daß eine Veranlaſſung wäre, die vorausgeſetzte
Sphäre darum als eine überflüßige anzuſehen, weil eine höhere über ſie
tritt. Auch haben alle wahrhaft großen Künſtler-Naturen einfach und
menſchlich dem Guten gedient und ſelbſt in ihrem äſthetiſchen Hervor-
bringen ſich zwar billig mit den reinen Form-Prinzipien beſchäftigt, im
Grunde des Herzens aber meinten ſie nur den großen Forderungen eines
großen Gehalts zu folgen und waren ſich nicht einmal bewußt, daß er in
ihren Händen aufhörte, bloſer Gehalt zu ſeyn. Die großen alten Dichter
ſetzen, unbewußt über das Geſetz ihres eigenen Thuns, den Werth ihrer
Werke in ſittliche Erhebung. Die Sittlichkeit iſt ferner als realer Kampf
totaler, aber der kleine Punkt, in welchen die Schönheit das vollendete
Ganze zaubert, iſt ein Weltall und zieht die extenſiv unendliche Thätigkeit
des Guten intenſiv in Eins zuſammen. Wirth führt am Schluſſe die
Schönheit in die Sittlichkeit ſelbſt ein als ihre höchſte Vollendung, das
„Syſtem der ſchönen Sittlichkeit“ bildet den Gipfel ſeiner Ethik und
ſo behauptet er, die Sittlichkeit ſetze das ſchöne Element zu einer bloſen
Potenz ihrer ſelbſt herab (S. 14). Allein zuerſt iſt zu erwägen, daß die
Welt der Sittlichkeit als Stoff (Inhalt) in die Schönheit eingeht; dies
iſt das Hauptverhältniß und die Sphäre, welcher die andere zum Stoff
wird, ſteht höher, alſo in der Rang-Ordnung weiter vorwärts. Wirklich
iſt es gerade das Bewußtſeyn, daß in der Welt der Sittlichkeit ein niemals
überwundener Reſt bleibt, was den Geiſt eben von da hinaufführt in die
Sphäre des Abſoluten, wo er dieſen letzten Reſt als gehoben anſchaut.
Der Geiſt kommt, ſo zu ſagen, müde von dem Kampfe des Willens im Reich
des Abſoluten an, wo er die unendliche Verſöhnung ſich gibt. Wenn
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/167>, abgerufen am 27.11.2024.
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