zu erledigen sind. Es könnte ferner eine Beschreibung der Methode verlangt werden, welche in der Gestaltung dieser Wissenschaft befolgt werden soll. Diese kann keine andere seyn, als die philosophische; die Streitfrage über die wahre philosophische Methode ist aber durch den jetzigen Stand der Philosophie einstimmig dahin entschieden, daß der Gegensatz des analytischen und synthetischen Gangs sich in den dialekti- schen Prozeß aufzuheben hat, dessen Natur hier als bekannt vorausgesetzt wird und von dessen richtiger Durchführung ebenfalls nur das folgende System selbst die Probe zu liefern hat. Der erste Abschnitt des folgenden Systems scheint synthetisch zu verfahren durch stete Rückberufung auf die Lehnsätze, von denen er ausgehen muß; man wird aber finden, daß nur diese vorausgesetzt sind und alles Weitere nicht Construction, sondern Entwicklung, Fortgang und Rückgang zugleich ist.
2 Ast: System der Kunstlehre. Solger: philosophische Kunst- lehre. Hegel: Philosophie der Kunst, und bestimmter: Philosophie der schönen Kunst. Daß die Naturschönheit und die Schönheit des innern Phantasiebildes nur unvollkommene Formen der Verwirklichung des Schönen sind, welche der höheren in der Kunst als ihre Voraussetzungen vorangehen: dies soll erst im Systeme entwickelt, nicht in der Definition vorweggenommen werden.
3 Baumgarten: Aesthetica 1750. Aestheticorum pars altera 1758. Sie ist bei ihm ein Theil der Gnoseologie, welche als instrumen- tale Wissenschaft den übrigen Haupt-Disciplinen der Philosophie vor- angeht. Die Gnoscologie hat das Geschäft, die Werkzeuge der Er- kenntniß zu untersuchen und die Anweisung zu ihrem richtigen Gebrauche zu geben. Baumgarten findet in dieser Wissenschaft, welche schon das Haupt seiner Schule, Wolff, unter dem Namen der Logik als propädeutischen Theil dem Systeme vorangestellt hatte, eine wesentliche Lücke. Wolff hatte alle Erkenntniß in sensitive und intellectuelle getheilt, in seiner Logik aber nur die Gesetze der letzteren dargestellt. Baumgarten verlangt als ersten Theil dieser propädeutischen Wissenschaft (scientia cognitionis in genere s. gnoseologia, logica latiori significatu) die Untersuchung der Natur und des richtigen Gebrauchs der sinnlichen oder sensitiven Erkenntniß, und dies nennt er Aesthetik. Vergebens sucht man (um den zweiten Einwurf des §. zuerst hervorzuheben) nun bei Baumgarten eine Aufklärung darüber, mit welchem Rechte mit der sinnlichen Erkenntniß die Erkenntniß des Schönen, welche zwar allerdings auch sinnlich, aber, wie ihr Gegenstand, sinnlich und ideal
zu erledigen ſind. Es könnte ferner eine Beſchreibung der Methode verlangt werden, welche in der Geſtaltung dieſer Wiſſenſchaft befolgt werden ſoll. Dieſe kann keine andere ſeyn, als die philoſophiſche; die Streitfrage über die wahre philoſophiſche Methode iſt aber durch den jetzigen Stand der Philoſophie einſtimmig dahin entſchieden, daß der Gegenſatz des analytiſchen und ſynthetiſchen Gangs ſich in den dialekti- ſchen Prozeß aufzuheben hat, deſſen Natur hier als bekannt vorausgeſetzt wird und von deſſen richtiger Durchführung ebenfalls nur das folgende Syſtem ſelbſt die Probe zu liefern hat. Der erſte Abſchnitt des folgenden Syſtems ſcheint ſynthetiſch zu verfahren durch ſtete Rückberufung auf die Lehnſätze, von denen er ausgehen muß; man wird aber finden, daß nur dieſe vorausgeſetzt ſind und alles Weitere nicht Conſtruction, ſondern Entwicklung, Fortgang und Rückgang zugleich iſt.
2 Aſt: Syſtem der Kunſtlehre. Solger: philoſophiſche Kunſt- lehre. Hegel: Philoſophie der Kunſt, und beſtimmter: Philoſophie der ſchönen Kunſt. Daß die Naturſchönheit und die Schönheit des innern Phantaſiebildes nur unvollkommene Formen der Verwirklichung des Schönen ſind, welche der höheren in der Kunſt als ihre Vorausſetzungen vorangehen: dies ſoll erſt im Syſteme entwickelt, nicht in der Definition vorweggenommen werden.
3 Baumgarten: Aesthetica 1750. Aestheticorum pars altera 1758. Sie iſt bei ihm ein Theil der Gnoſeologie, welche als inſtrumen- tale Wiſſenſchaft den übrigen Haupt-Disciplinen der Philoſophie vor- angeht. Die Gnoſcologie hat das Geſchäft, die Werkzeuge der Er- kenntniß zu unterſuchen und die Anweiſung zu ihrem richtigen Gebrauche zu geben. Baumgarten findet in dieſer Wiſſenſchaft, welche ſchon das Haupt ſeiner Schule, Wolff, unter dem Namen der Logik als propädeutiſchen Theil dem Syſteme vorangeſtellt hatte, eine weſentliche Lücke. Wolff hatte alle Erkenntniß in ſenſitive und intellectuelle getheilt, in ſeiner Logik aber nur die Geſetze der letzteren dargeſtellt. Baumgarten verlangt als erſten Theil dieſer propädeutiſchen Wiſſenſchaft (scientia cognitionis in genere s. gnoseologia, logica latiori significatu) die Unterſuchung der Natur und des richtigen Gebrauchs der ſinnlichen oder ſenſitiven Erkenntniß, und dies nennt er Aeſthetik. Vergebens ſucht man (um den zweiten Einwurf des §. zuerſt hervorzuheben) nun bei Baumgarten eine Aufklärung darüber, mit welchem Rechte mit der ſinnlichen Erkenntniß die Erkenntniß des Schönen, welche zwar allerdings auch ſinnlich, aber, wie ihr Gegenſtand, ſinnlich und ideal
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0018"n="4"/><hirendition="#et">zu erledigen ſind. Es könnte ferner eine Beſchreibung der <hirendition="#g">Methode</hi><lb/>
verlangt werden, welche in der Geſtaltung dieſer Wiſſenſchaft befolgt<lb/>
werden ſoll. Dieſe kann keine andere ſeyn, als die philoſophiſche; die<lb/>
Streitfrage über die wahre philoſophiſche Methode iſt aber durch den<lb/>
jetzigen Stand der Philoſophie einſtimmig dahin entſchieden, daß der<lb/>
Gegenſatz des analytiſchen und ſynthetiſchen Gangs ſich in den dialekti-<lb/>ſchen Prozeß aufzuheben hat, deſſen Natur hier als bekannt vorausgeſetzt<lb/>
wird und von deſſen richtiger Durchführung ebenfalls nur das folgende<lb/>
Syſtem ſelbſt die Probe zu liefern hat. Der erſte Abſchnitt des folgenden<lb/>
Syſtems ſcheint ſynthetiſch zu verfahren durch ſtete Rückberufung auf die<lb/>
Lehnſätze, von denen er ausgehen muß; man wird aber finden, daß<lb/>
nur dieſe vorausgeſetzt ſind und alles Weitere nicht Conſtruction, ſondern<lb/>
Entwicklung, Fortgang und Rückgang zugleich iſt.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">2 <hirendition="#g">Aſt</hi>: Syſtem der Kunſtlehre. <hirendition="#g">Solger</hi>: philoſophiſche Kunſt-<lb/>
lehre. <hirendition="#g">Hegel</hi>: Philoſophie der Kunſt, und beſtimmter: Philoſophie<lb/>
der ſchönen Kunſt. Daß die Naturſchönheit und die Schönheit des innern<lb/>
Phantaſiebildes nur unvollkommene Formen der Verwirklichung des<lb/>
Schönen ſind, welche der höheren in der Kunſt als ihre Vorausſetzungen<lb/>
vorangehen: dies ſoll erſt im Syſteme entwickelt, nicht in der Definition<lb/>
vorweggenommen werden.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">3 <hirendition="#g">Baumgarten</hi>: <hirendition="#aq">Aesthetica 1750. Aestheticorum pars altera<lb/>
1758.</hi> Sie iſt bei ihm ein Theil der Gnoſeologie, welche als inſtrumen-<lb/>
tale Wiſſenſchaft den übrigen Haupt-Disciplinen der Philoſophie vor-<lb/>
angeht. Die Gnoſcologie hat das Geſchäft, die Werkzeuge der Er-<lb/>
kenntniß zu unterſuchen und die Anweiſung zu ihrem richtigen Gebrauche<lb/>
zu geben. <hirendition="#g">Baumgarten</hi> findet in dieſer Wiſſenſchaft, welche ſchon<lb/>
das Haupt ſeiner Schule, <hirendition="#g">Wolff</hi>, unter dem Namen der Logik als<lb/>
propädeutiſchen Theil dem Syſteme vorangeſtellt hatte, eine weſentliche<lb/>
Lücke. <hirendition="#g">Wolff</hi> hatte alle Erkenntniß in ſenſitive und intellectuelle<lb/>
getheilt, in ſeiner Logik aber nur die Geſetze der letzteren dargeſtellt.<lb/><hirendition="#g">Baumgarten</hi> verlangt als erſten Theil dieſer propädeutiſchen Wiſſenſchaft<lb/>
(<hirendition="#aq">scientia cognitionis in genere s. gnoseologia, logica latiori significatu</hi>)<lb/>
die Unterſuchung der Natur und des richtigen Gebrauchs der ſinnlichen<lb/>
oder ſenſitiven Erkenntniß, und dies nennt er <hirendition="#g">Aeſthetik</hi>. Vergebens<lb/>ſucht man (um den zweiten Einwurf des §. zuerſt hervorzuheben) nun<lb/>
bei <hirendition="#g">Baumgarten</hi> eine Aufklärung darüber, mit welchem Rechte mit<lb/>
der ſinnlichen Erkenntniß die Erkenntniß des Schönen, welche zwar<lb/>
allerdings auch ſinnlich, aber, wie ihr Gegenſtand, ſinnlich und ideal<lb/></hi></p></div></div></body></text></TEI>
[4/0018]
zu erledigen ſind. Es könnte ferner eine Beſchreibung der Methode
verlangt werden, welche in der Geſtaltung dieſer Wiſſenſchaft befolgt
werden ſoll. Dieſe kann keine andere ſeyn, als die philoſophiſche; die
Streitfrage über die wahre philoſophiſche Methode iſt aber durch den
jetzigen Stand der Philoſophie einſtimmig dahin entſchieden, daß der
Gegenſatz des analytiſchen und ſynthetiſchen Gangs ſich in den dialekti-
ſchen Prozeß aufzuheben hat, deſſen Natur hier als bekannt vorausgeſetzt
wird und von deſſen richtiger Durchführung ebenfalls nur das folgende
Syſtem ſelbſt die Probe zu liefern hat. Der erſte Abſchnitt des folgenden
Syſtems ſcheint ſynthetiſch zu verfahren durch ſtete Rückberufung auf die
Lehnſätze, von denen er ausgehen muß; man wird aber finden, daß
nur dieſe vorausgeſetzt ſind und alles Weitere nicht Conſtruction, ſondern
Entwicklung, Fortgang und Rückgang zugleich iſt.
2 Aſt: Syſtem der Kunſtlehre. Solger: philoſophiſche Kunſt-
lehre. Hegel: Philoſophie der Kunſt, und beſtimmter: Philoſophie
der ſchönen Kunſt. Daß die Naturſchönheit und die Schönheit des innern
Phantaſiebildes nur unvollkommene Formen der Verwirklichung des
Schönen ſind, welche der höheren in der Kunſt als ihre Vorausſetzungen
vorangehen: dies ſoll erſt im Syſteme entwickelt, nicht in der Definition
vorweggenommen werden.
3 Baumgarten: Aesthetica 1750. Aestheticorum pars altera
1758. Sie iſt bei ihm ein Theil der Gnoſeologie, welche als inſtrumen-
tale Wiſſenſchaft den übrigen Haupt-Disciplinen der Philoſophie vor-
angeht. Die Gnoſcologie hat das Geſchäft, die Werkzeuge der Er-
kenntniß zu unterſuchen und die Anweiſung zu ihrem richtigen Gebrauche
zu geben. Baumgarten findet in dieſer Wiſſenſchaft, welche ſchon
das Haupt ſeiner Schule, Wolff, unter dem Namen der Logik als
propädeutiſchen Theil dem Syſteme vorangeſtellt hatte, eine weſentliche
Lücke. Wolff hatte alle Erkenntniß in ſenſitive und intellectuelle
getheilt, in ſeiner Logik aber nur die Geſetze der letzteren dargeſtellt.
Baumgarten verlangt als erſten Theil dieſer propädeutiſchen Wiſſenſchaft
(scientia cognitionis in genere s. gnoseologia, logica latiori significatu)
die Unterſuchung der Natur und des richtigen Gebrauchs der ſinnlichen
oder ſenſitiven Erkenntniß, und dies nennt er Aeſthetik. Vergebens
ſucht man (um den zweiten Einwurf des §. zuerſt hervorzuheben) nun
bei Baumgarten eine Aufklärung darüber, mit welchem Rechte mit
der ſinnlichen Erkenntniß die Erkenntniß des Schönen, welche zwar
allerdings auch ſinnlich, aber, wie ihr Gegenſtand, ſinnlich und ideal
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/18>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.