In jeder Religion ist das negative Moment der Entsagung stärker, als das positive der Versöhnung; wird der volle Umfang des Lebens in die Versöhnung aufgenommen, so ist das spezifisch Religiöse durchbrochen und die vernünftige, totale, sittliche Bildung an ihre Stelle getreten. Auch der griechische Gott ist in der ächt religiösen ursprünglichen Vor- stellung düster erhaben, kommt dem wirklichen, anbetenden Selbst nicht entgegen, sondern weist es streng in sich zurück. Dies ist der eine Grund zur Erklärung von zwei bekannten griechischen Aeußerungen, deren eine von Aeschylos berichtet wird, die andere im Pausanias sich findet, daß die strengen, einfachen und düsteren Götterbilder aus der ältesten Zeit göttlicher seyen, als die neueren schönen. Den anderen Grund werden wir später finden. Im Christenthum, wo der Bruch mit der Sinnlichkeit den Grund-Charakter bildet, leuchtet es von selbst ein, daß das Ideal diesen negativen Zug in seiner ganzen Stärke tragen muß; er trat auch in den alten christlichen Bildern (der byzantinischen Malerei besonders) in abweisender Herbe hervor. Alle Götter sind eigentlich und ursprünglich furchtbar; das anbetende Subject scheint sich und seine Welt- lust in ihnen als verdammt und verworfen hinzustellen, und zunächst ist es auch wirklich so. Allein alle Götter sind auch launisch, grausam, böse. Zu welchem Kinder-Eigensinn und welcher blutigen Entsetzlichkeit selbst die griechischen Götter von der schönsten Heiterkeit und Milde über- gehen, bedarf keiner Darstellung; aber auch der Monotheismus hat von seiner Gründung im Judenthum an unendliche Reihen von Verbrechen und Schlächtereien seinem Gotte als Geheiß und Auftrag zugeschoben. Es ist leicht sagen, dies sey Mißbrauch. Der Gott ist kein Erfahrungs- wesen; wir wissen von ihm eben nur dies, was das ihn anbetende Be- wußtseyn von ihm aussagt, und noch jetzt sind es ebendiejenigen, die sich des ächten Bewußtseyns rühmen, welche in Bildern des Zorns, der Rache, der grimmigen Ausschließung ihren Gott zu bezeichnen pflegen. Der innere Grund dieses Göttercharakters ist im §. und schon in der Anm. zu §. 61 genannt. Wo nun die Fülle und Lieblichkeit des Schönen in die Götter- welt einzudringen anfängt, da ist bereits, ohne daß man es weiß, das spezifisch Aesthetische thätig. Die Griechen zwar kamen bald zum Bewußt- seyn, daß ihnen die Dichter ihre Götter gegeben, doch ohne die Con- sequenz zu ziehen. Was nun den inneren Widerspruch betrifft, der durch die Fortbildung des schönen Elements in die Religion eindringt, so verweisen wir auf das Werk des Verf. Kritische Gänge Bd. 1, 183--187.
In jeder Religion iſt das negative Moment der Entſagung ſtärker, als das poſitive der Verſöhnung; wird der volle Umfang des Lebens in die Verſöhnung aufgenommen, ſo iſt das ſpezifiſch Religiöſe durchbrochen und die vernünftige, totale, ſittliche Bildung an ihre Stelle getreten. Auch der griechiſche Gott iſt in der ächt religiöſen urſprünglichen Vor- ſtellung düſter erhaben, kommt dem wirklichen, anbetenden Selbſt nicht entgegen, ſondern weist es ſtreng in ſich zurück. Dies iſt der eine Grund zur Erklärung von zwei bekannten griechiſchen Aeußerungen, deren eine von Aeſchylos berichtet wird, die andere im Pauſanias ſich findet, daß die ſtrengen, einfachen und düſteren Götterbilder aus der älteſten Zeit göttlicher ſeyen, als die neueren ſchönen. Den anderen Grund werden wir ſpäter finden. Im Chriſtenthum, wo der Bruch mit der Sinnlichkeit den Grund-Charakter bildet, leuchtet es von ſelbſt ein, daß das Ideal dieſen negativen Zug in ſeiner ganzen Stärke tragen muß; er trat auch in den alten chriſtlichen Bildern (der byzantiniſchen Malerei beſonders) in abweiſender Herbe hervor. Alle Götter ſind eigentlich und urſprünglich furchtbar; das anbetende Subject ſcheint ſich und ſeine Welt- luſt in ihnen als verdammt und verworfen hinzuſtellen, und zunächſt iſt es auch wirklich ſo. Allein alle Götter ſind auch launiſch, grauſam, böſe. Zu welchem Kinder-Eigenſinn und welcher blutigen Entſetzlichkeit ſelbſt die griechiſchen Götter von der ſchönſten Heiterkeit und Milde über- gehen, bedarf keiner Darſtellung; aber auch der Monotheismus hat von ſeiner Gründung im Judenthum an unendliche Reihen von Verbrechen und Schlächtereien ſeinem Gotte als Geheiß und Auftrag zugeſchoben. Es iſt leicht ſagen, dies ſey Mißbrauch. Der Gott iſt kein Erfahrungs- weſen; wir wiſſen von ihm eben nur dies, was das ihn anbetende Be- wußtſeyn von ihm ausſagt, und noch jetzt ſind es ebendiejenigen, die ſich des ächten Bewußtſeyns rühmen, welche in Bildern des Zorns, der Rache, der grimmigen Ausſchließung ihren Gott zu bezeichnen pflegen. Der innere Grund dieſes Göttercharakters iſt im §. und ſchon in der Anm. zu §. 61 genannt. Wo nun die Fülle und Lieblichkeit des Schönen in die Götter- welt einzudringen anfängt, da iſt bereits, ohne daß man es weiß, das ſpezifiſch Aeſthetiſche thätig. Die Griechen zwar kamen bald zum Bewußt- ſeyn, daß ihnen die Dichter ihre Götter gegeben, doch ohne die Con- ſequenz zu ziehen. Was nun den inneren Widerſpruch betrifft, der durch die Fortbildung des ſchönen Elements in die Religion eindringt, ſo verweiſen wir auf das Werk des Verf. Kritiſche Gänge Bd. 1, 183—187.
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In jeder Religion iſt das negative Moment der Entſagung ſtärker,
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und die vernünftige, totale, ſittliche Bildung an ihre Stelle getreten.
Auch der griechiſche Gott iſt in der ächt religiöſen urſprünglichen Vor-
ſtellung düſter erhaben, kommt dem wirklichen, anbetenden Selbſt nicht
entgegen, ſondern weist es ſtreng in ſich zurück. Dies iſt der eine
Grund zur Erklärung von zwei bekannten griechiſchen Aeußerungen, deren
eine von Aeſchylos berichtet wird, die andere im Pauſanias ſich
findet, daß die ſtrengen, einfachen und düſteren Götterbilder aus der
älteſten Zeit göttlicher ſeyen, als die neueren ſchönen. Den anderen
Grund werden wir ſpäter finden. Im Chriſtenthum, wo der Bruch mit
der Sinnlichkeit den Grund-Charakter bildet, leuchtet es von ſelbſt ein,
daß das Ideal dieſen negativen Zug in ſeiner ganzen Stärke tragen muß;
er trat auch in den alten chriſtlichen Bildern (der byzantiniſchen Malerei
beſonders) in abweiſender Herbe hervor. Alle Götter ſind eigentlich und
urſprünglich furchtbar; das anbetende Subject ſcheint ſich und ſeine Welt-
luſt in ihnen als verdammt und verworfen hinzuſtellen, und zunächſt iſt
es auch wirklich ſo. Allein alle Götter ſind auch launiſch, grauſam,
böſe. Zu welchem Kinder-Eigenſinn und welcher blutigen Entſetzlichkeit
ſelbſt die griechiſchen Götter von der ſchönſten Heiterkeit und Milde über-
gehen, bedarf keiner Darſtellung; aber auch der Monotheismus hat von
ſeiner Gründung im Judenthum an unendliche Reihen von Verbrechen
und Schlächtereien ſeinem Gotte als Geheiß und Auftrag zugeſchoben.
Es iſt leicht ſagen, dies ſey Mißbrauch. Der Gott iſt kein Erfahrungs-
weſen; wir wiſſen von ihm eben nur dies, was das ihn anbetende Be-
wußtſeyn von ihm ausſagt, und noch jetzt ſind es ebendiejenigen, die ſich
des ächten Bewußtſeyns rühmen, welche in Bildern des Zorns, der Rache,
der grimmigen Ausſchließung ihren Gott zu bezeichnen pflegen. Der innere
Grund dieſes Göttercharakters iſt im §. und ſchon in der Anm. zu §. 61
genannt. Wo nun die Fülle und Lieblichkeit des Schönen in die Götter-
welt einzudringen anfängt, da iſt bereits, ohne daß man es weiß, das
ſpezifiſch Aeſthetiſche thätig. Die Griechen zwar kamen bald zum Bewußt-
ſeyn, daß ihnen die Dichter ihre Götter gegeben, doch ohne die Con-
ſequenz zu ziehen. Was nun den inneren Widerſpruch betrifft, der
durch die Fortbildung des ſchönen Elements in die Religion eindringt, ſo
verweiſen wir auf das Werk des Verf. Kritiſche Gänge Bd. 1,
183—187.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/181>, abgerufen am 23.11.2024.
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