jectiven Idealismus hinarbeitet, welcher das Schöne überhaupt nur als eine Art, die Dinge zu sehen und danach selbst Dinge hervorzubringen, welche so gesehen seyn wollen, zu begreifen hat. Allein wenn wir auch das Berechtigte im subjectiven Idealismus festhalten und ihn über sich hinaus dahin steigern, daß der subjective Geist als Moment des abso- luten begriffen wird, so ist das Schöne doch nur so zu entwickeln, daß dieser Geist gefaßt wird zuerst als derjenige, welcher eine objective Welt hervorbringt, die so beschaffen ist, daß ihr Spiegelbild im Subjecte zu einem ästhetischen werden kann, wogegen Kant ganz aus- drücklich das Ganze nur subjectiv bestimmt. "Was an der Vorstellung eines Objects blos subjectiv ist, d. i. ihre Beziehung auf das Subject, nicht auf den Gegenstand ausmacht, ist die ästhetische Beschaffenheit der- selben" (a. a. O. Einl. Abschn. VII. u. and.). Dagegen haben wir nun, nachdem wir die metaphysische Möglichkeit des Schönen auf das- jenige, was Kant innere Zweckmäßigkeit nennt, als auf ein objectives Prinzip begründet und in das so begründete Schöne freilich das Subject mitbegriffen haben, den Vortheil, alle Momente der Bestimmtheit des Eindrucks, welchen das Schöne hervorbringt, und von welchem Kant den wahren Grund nicht angeben kann, als die einfache Kehrseite des Gegenstandes, als die subjectiv gewendete Beschaffenheit desselben entwickeln zu können. Es ist nur eine Uebersetzung des Objectiven in's Subjective, aber eine nothwendige.
2. Das "freie Spiel" erscheint bei Kant freilich nur als ein Spiel der Erkenntnißkräfte (a. a. O. §. 9), er meint es nur im Gegen- satz gegen das Gebundene und Bindende im logischen Urtheil; er hätte es aber wohl in dem weiten Sinne nehmen dürfen, daß er alle Merk- male des ästhetischen Wohlgefallens im Gegensatze auch gegen das prak- tische dadurch bezeichnete. Man könnte nun gegen die Anwendung dieses Begriffes auf das Schöne freilich vorbringen, er sey zu niedrig, da im Spiele eine blos verständige Ordnung und eine blos sinnliche Befriedi- gung durcheinander gehen; doch muß der Begriff auch höher gefaßt werden dürfen. Schiller vertheidigt ihn (Ueber d. ästh. Erz. d. M. Br. 15): "Diesen Namen rechtfertigt der Sprachgebrauch vollkommen, der Alles das, was weder subjectiv noch objectiv zufällig ist und doch weder äußerlich noch innerlich nöthigt, mit dem Worte Spiel zu bezeichnen pflegt. Da sich das Gemüth bei Anschauung des Schönen in einer glücklichen Mitte zwischen dem Gesetz und Bedürfniß befindet, so ist es eben darum, weil es sich zwischen beiden theilt, dem Zwange sowohl
Vischer's Aesthetik. 1. Bd. 13
jectiven Idealismus hinarbeitet, welcher das Schöne überhaupt nur als eine Art, die Dinge zu ſehen und danach ſelbſt Dinge hervorzubringen, welche ſo geſehen ſeyn wollen, zu begreifen hat. Allein wenn wir auch das Berechtigte im ſubjectiven Idealismus feſthalten und ihn über ſich hinaus dahin ſteigern, daß der ſubjective Geiſt als Moment des abſo- luten begriffen wird, ſo iſt das Schöne doch nur ſo zu entwickeln, daß dieſer Geiſt gefaßt wird zuerſt als derjenige, welcher eine objective Welt hervorbringt, die ſo beſchaffen iſt, daß ihr Spiegelbild im Subjecte zu einem äſthetiſchen werden kann, wogegen Kant ganz aus- drücklich das Ganze nur ſubjectiv beſtimmt. „Was an der Vorſtellung eines Objects blos ſubjectiv iſt, d. i. ihre Beziehung auf das Subject, nicht auf den Gegenſtand ausmacht, iſt die äſthetiſche Beſchaffenheit der- ſelben“ (a. a. O. Einl. Abſchn. VII. u. and.). Dagegen haben wir nun, nachdem wir die metaphyſiſche Möglichkeit des Schönen auf das- jenige, was Kant innere Zweckmäßigkeit nennt, als auf ein objectives Prinzip begründet und in das ſo begründete Schöne freilich das Subject mitbegriffen haben, den Vortheil, alle Momente der Beſtimmtheit des Eindrucks, welchen das Schöne hervorbringt, und von welchem Kant den wahren Grund nicht angeben kann, als die einfache Kehrſeite des Gegenſtandes, als die ſubjectiv gewendete Beſchaffenheit deſſelben entwickeln zu können. Es iſt nur eine Ueberſetzung des Objectiven in’s Subjective, aber eine nothwendige.
2. Das „freie Spiel“ erſcheint bei Kant freilich nur als ein Spiel der Erkenntnißkräfte (a. a. O. §. 9), er meint es nur im Gegen- ſatz gegen das Gebundene und Bindende im logiſchen Urtheil; er hätte es aber wohl in dem weiten Sinne nehmen dürfen, daß er alle Merk- male des äſthetiſchen Wohlgefallens im Gegenſatze auch gegen das prak- tiſche dadurch bezeichnete. Man könnte nun gegen die Anwendung dieſes Begriffes auf das Schöne freilich vorbringen, er ſey zu niedrig, da im Spiele eine blos verſtändige Ordnung und eine blos ſinnliche Befriedi- gung durcheinander gehen; doch muß der Begriff auch höher gefaßt werden dürfen. Schiller vertheidigt ihn (Ueber d. äſth. Erz. d. M. Br. 15): „Dieſen Namen rechtfertigt der Sprachgebrauch vollkommen, der Alles das, was weder ſubjectiv noch objectiv zufällig iſt und doch weder äußerlich noch innerlich nöthigt, mit dem Worte Spiel zu bezeichnen pflegt. Da ſich das Gemüth bei Anſchauung des Schönen in einer glücklichen Mitte zwiſchen dem Geſetz und Bedürfniß befindet, ſo iſt es eben darum, weil es ſich zwiſchen beiden theilt, dem Zwange ſowohl
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 13
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das Berechtigte im ſubjectiven Idealismus feſthalten und ihn über ſich
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luten begriffen wird, ſo iſt das Schöne doch nur ſo zu entwickeln, daß
dieſer Geiſt gefaßt wird zuerſt als derjenige, welcher eine objective
Welt hervorbringt, die ſo beſchaffen iſt, daß ihr Spiegelbild im
Subjecte zu einem äſthetiſchen werden kann, wogegen Kant ganz aus-
drücklich das Ganze nur ſubjectiv beſtimmt. „Was an der Vorſtellung
eines Objects blos ſubjectiv iſt, d. i. ihre Beziehung auf das Subject,
nicht auf den Gegenſtand ausmacht, iſt die äſthetiſche Beſchaffenheit der-
ſelben“ (a. a. O. Einl. Abſchn. VII. u. and.). Dagegen haben wir
nun, nachdem wir die metaphyſiſche Möglichkeit des Schönen auf das-
jenige, was Kant innere Zweckmäßigkeit nennt, als auf ein objectives
Prinzip begründet und in das ſo begründete Schöne freilich das Subject
mitbegriffen haben, den Vortheil, alle Momente der Beſtimmtheit des
Eindrucks, welchen das Schöne hervorbringt, und von welchem Kant
den wahren Grund nicht angeben kann, als die einfache Kehrſeite des
Gegenſtandes, als die ſubjectiv gewendete Beſchaffenheit deſſelben entwickeln
zu können. Es iſt nur eine Ueberſetzung des Objectiven in’s Subjective,
aber eine nothwendige.
2. Das „freie Spiel“ erſcheint bei Kant freilich nur als ein Spiel
der Erkenntnißkräfte (a. a. O. §. 9), er meint es nur im Gegen-
ſatz gegen das Gebundene und Bindende im logiſchen Urtheil; er hätte
es aber wohl in dem weiten Sinne nehmen dürfen, daß er alle Merk-
male des äſthetiſchen Wohlgefallens im Gegenſatze auch gegen das prak-
tiſche dadurch bezeichnete. Man könnte nun gegen die Anwendung dieſes
Begriffes auf das Schöne freilich vorbringen, er ſey zu niedrig, da im
Spiele eine blos verſtändige Ordnung und eine blos ſinnliche Befriedi-
gung durcheinander gehen; doch muß der Begriff auch höher gefaßt werden
dürfen. Schiller vertheidigt ihn (Ueber d. äſth. Erz. d. M. Br. 15):
„Dieſen Namen rechtfertigt der Sprachgebrauch vollkommen, der Alles
das, was weder ſubjectiv noch objectiv zufällig iſt und doch weder
äußerlich noch innerlich nöthigt, mit dem Worte Spiel zu bezeichnen
pflegt. Da ſich das Gemüth bei Anſchauung des Schönen in einer
glücklichen Mitte zwiſchen dem Geſetz und Bedürfniß befindet, ſo iſt
es eben darum, weil es ſich zwiſchen beiden theilt, dem Zwange ſowohl
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/207>, abgerufen am 04.12.2024.
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