lische, religiöse Interesse am Schönen pathologisch genannt, wovon nach- her weiter zu sprechen ist. Der Ausdruck wurde übrigens von diesen bereits auch auf das Object angewendet. Ist nämlich der Geist, der ein schönes Werk hervorzubringen sucht, mit dem Inhalte desselben ganz oder theilweise unfrei verwachsen, so weiß er ihn nicht von sich zu lösen und zur reinen Form herauszubilden. Davon ist die Folge, daß auch der Anschauende das Werk nicht als reine Form genießen kann, sondern den Urheber dazu nehmen muß, dessen Zustände ihm nun als bloser Stoff (der Neigung, Abneigung, Beobachtung u. s. w.) interessant seyn mögen. Das Objective und Subjective sind also auch hier nur die Kehrseiten voneinander. Interessant heißt zunächst ganz allge- mein, was aus der Reihe des Gewöhnlichen heraustritt, dadurch über- rascht und anzieht. Das Schöne nun tritt aus der Umgebung des Gewöhnlichen allerdings heraus; allein es ist eine reine Harmonie, in welche das Gewöhnliche, freilich über sich selbst erhoben, mitaufgenom- men ist; es ist daher einfach und reizt keine vereinzelte Kraft im Zu- schauer zur Thätigkeit. Das Interessante aber reizt eine vereinzelte Kraft auf und der Grund davon ist, daß es selbst ein Vereinzeltes ist, d. h. daß es aus dem Gewöhnlichen nicht durch die Einfalt der Vollkommenheit hervor- sticht, sondern durch die Abnormität der Einseitigkeit. Nun nehme man dazu das Unruhige, Unzufriedene einer gährenden, verstimmten, subjectiven Zeit, wie die moderne, so leuchtet ein, daß sie vorzüglich das Schauspiel der Ver- stimmung anziehend finden wird, man erwäge ferner, daß die verstimmte Persönlichkeit, die sich als Schauspiel gibt, vermöge der Subjectivität der Zeit diesen Eindruck hervorzubringen suchen und der Zuschauer, weil er ebenso ist, diesem Suchen entgegen kommen wird: so hat man den Begriff des Interessanten, wie ihn der Sprachgebrauch bestimmt hat.
Den Ausdruck contemplativ hat ebenfalls Kant zuerst gebraucht a. a. O. §. 5.
§. 76.
Das Interesse, das auf den Stoff im eigentlichen Sinne (§. 55) geht, ist ein1 sinnliches und die aus seiner Befriedigung entspringende Lust ein Wohlgefallen am Angenehmen; dasjenige, welches auf die Idee als Gehalt abgesehen von ihrem Aufgegangenseyn in die reine Form bezogen ist, ein sittliches und die Lust ein Wohlgefallen am Guten (vergl. 56--60). So verschieden diese beiden Arten des Interesses und Wohlgefallens sind, so sind sie doch beide von der ästhetischen
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liſche, religiöſe Intereſſe am Schönen pathologiſch genannt, wovon nach- her weiter zu ſprechen iſt. Der Ausdruck wurde übrigens von dieſen bereits auch auf das Object angewendet. Iſt nämlich der Geiſt, der ein ſchönes Werk hervorzubringen ſucht, mit dem Inhalte deſſelben ganz oder theilweiſe unfrei verwachſen, ſo weiß er ihn nicht von ſich zu löſen und zur reinen Form herauszubilden. Davon iſt die Folge, daß auch der Anſchauende das Werk nicht als reine Form genießen kann, ſondern den Urheber dazu nehmen muß, deſſen Zuſtände ihm nun als bloſer Stoff (der Neigung, Abneigung, Beobachtung u. ſ. w.) intereſſant ſeyn mögen. Das Objective und Subjective ſind alſo auch hier nur die Kehrſeiten voneinander. Intereſſant heißt zunächſt ganz allge- mein, was aus der Reihe des Gewöhnlichen heraustritt, dadurch über- raſcht und anzieht. Das Schöne nun tritt aus der Umgebung des Gewöhnlichen allerdings heraus; allein es iſt eine reine Harmonie, in welche das Gewöhnliche, freilich über ſich ſelbſt erhoben, mitaufgenom- men iſt; es iſt daher einfach und reizt keine vereinzelte Kraft im Zu- ſchauer zur Thätigkeit. Das Intereſſante aber reizt eine vereinzelte Kraft auf und der Grund davon iſt, daß es ſelbſt ein Vereinzeltes iſt, d. h. daß es aus dem Gewöhnlichen nicht durch die Einfalt der Vollkommenheit hervor- ſticht, ſondern durch die Abnormität der Einſeitigkeit. Nun nehme man dazu das Unruhige, Unzufriedene einer gährenden, verſtimmten, ſubjectiven Zeit, wie die moderne, ſo leuchtet ein, daß ſie vorzüglich das Schauſpiel der Ver- ſtimmung anziehend finden wird, man erwäge ferner, daß die verſtimmte Perſönlichkeit, die ſich als Schauſpiel gibt, vermöge der Subjectivität der Zeit dieſen Eindruck hervorzubringen ſuchen und der Zuſchauer, weil er ebenſo iſt, dieſem Suchen entgegen kommen wird: ſo hat man den Begriff des Intereſſanten, wie ihn der Sprachgebrauch beſtimmt hat.
Den Ausdruck contemplativ hat ebenfalls Kant zuerſt gebraucht a. a. O. §. 5.
§. 76.
Das Intereſſe, das auf den Stoff im eigentlichen Sinne (§. 55) geht, iſt ein1 ſinnliches und die aus ſeiner Befriedigung entſpringende Luſt ein Wohlgefallen am Angenehmen; dasjenige, welches auf die Idee als Gehalt abgeſehen von ihrem Aufgegangenſeyn in die reine Form bezogen iſt, ein ſittliches und die Luſt ein Wohlgefallen am Guten (vergl. 56—60). So verſchieden dieſe beiden Arten des Intereſſes und Wohlgefallens ſind, ſo ſind ſie doch beide von der äſthetiſchen
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liſche, religiöſe Intereſſe am Schönen pathologiſch genannt, wovon nach-
her weiter zu ſprechen iſt. Der Ausdruck wurde übrigens von dieſen
bereits auch auf das Object angewendet. Iſt nämlich der Geiſt, der
ein ſchönes Werk hervorzubringen ſucht, mit dem Inhalte deſſelben
ganz oder theilweiſe unfrei verwachſen, ſo weiß er ihn nicht von ſich
zu löſen und zur reinen Form herauszubilden. Davon iſt die Folge,
daß auch der Anſchauende das Werk nicht als reine Form genießen kann,
ſondern den Urheber dazu nehmen muß, deſſen Zuſtände ihm nun als
bloſer Stoff (der Neigung, Abneigung, Beobachtung u. ſ. w.) intereſſant
ſeyn mögen. Das Objective und Subjective ſind alſo auch hier nur
die Kehrſeiten voneinander. Intereſſant heißt zunächſt ganz allge-
mein, was aus der Reihe des Gewöhnlichen heraustritt, dadurch über-
raſcht und anzieht. Das Schöne nun tritt aus der Umgebung des
Gewöhnlichen allerdings heraus; allein es iſt eine reine Harmonie, in
welche das Gewöhnliche, freilich über ſich ſelbſt erhoben, mitaufgenom-
men iſt; es iſt daher einfach und reizt keine vereinzelte Kraft im Zu-
ſchauer zur Thätigkeit. Das Intereſſante aber reizt eine vereinzelte Kraft
auf und der Grund davon iſt, daß es ſelbſt ein Vereinzeltes iſt, d. h. daß es
aus dem Gewöhnlichen nicht durch die Einfalt der Vollkommenheit hervor-
ſticht, ſondern durch die Abnormität der Einſeitigkeit. Nun nehme man dazu
das Unruhige, Unzufriedene einer gährenden, verſtimmten, ſubjectiven Zeit,
wie die moderne, ſo leuchtet ein, daß ſie vorzüglich das Schauſpiel der Ver-
ſtimmung anziehend finden wird, man erwäge ferner, daß die verſtimmte
Perſönlichkeit, die ſich als Schauſpiel gibt, vermöge der Subjectivität
der Zeit dieſen Eindruck hervorzubringen ſuchen und der Zuſchauer, weil
er ebenſo iſt, dieſem Suchen entgegen kommen wird: ſo hat man den
Begriff des Intereſſanten, wie ihn der Sprachgebrauch beſtimmt hat.
Den Ausdruck contemplativ hat ebenfalls Kant zuerſt gebraucht
a. a. O. §. 5.
§. 76.
Das Intereſſe, das auf den Stoff im eigentlichen Sinne (§. 55) geht, iſt ein
ſinnliches und die aus ſeiner Befriedigung entſpringende Luſt ein Wohlgefallen am
Angenehmen; dasjenige, welches auf die Idee als Gehalt abgeſehen von ihrem
Aufgegangenſeyn in die reine Form bezogen iſt, ein ſittliches und die Luſt ein
Wohlgefallen am Guten (vergl. 56—60). So verſchieden dieſe beiden Arten
des Intereſſes und Wohlgefallens ſind, ſo ſind ſie doch beide von der äſthetiſchen
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/209>, abgerufen am 04.12.2024.
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