voraussetzt. Hat man aber die Idee der Schönheit, so begreift sich, daß der ästhetisch Genießende berechtigt ist, in Betreff des einzelnen vorliegenden Gegenstands allgemeine Zustimmung apriorisch zu for- dern, denn er befindet sich mitten im Leben der Idee, indem er sie in einem Gegenstande verwirklicht anschaut, und der, welcher über ihn und den Gegenstand denkt, kann beweisen, daß er sich im Leben der Idee befand, denn dieser begreift die Idee. Es ist also nicht richtig, daß es sich blos von einzelnen "Urtheilen" handelt; der unmittelbar Genie- ßende kann freilich blos einzelne "Urtheile" fällen; so verhält sich aber mit jedem Allgemeinen, das in Form der Empfindung auftreten kann: der blos Empfindende findet es erst, wenn es vorkommt, aber wer über ihn und hinter ihn zurückdenkt, der muß nothwendig allgemeine Urtheile fällen können, wie z. B.: der menschliche Körper als Gattung ist schön (wobei freilich noch gewisse Bedingungen fehlen, welche nicht erlauben, zu sagen: alle menschlichen Körper sind schön, aber Bedingun- gen, die ganz wohl ebenfalls in ihrer Allgemeinheit zu begreifen sind). Nun könnte man sagen, Kant gebe dies Denken als einen zweiten Act wohl zu, er fügt ja hinzu (§. 33): "der Verstand kann durch die Ver- gleichung des Objects im Punkte des Wohlgefälligen mit dem Urtheile Anderer ein allgemeines Urtheil machen: z. B. alle Tulpen sind schön; aber das ist alsdann kein Geschmacks-, sondern ein logisches Urtheil." Man sieht, Kant meint das logische blos formell und läßt es blos auf comparativem Wege entstehen; daher sagt er auch §. 34: "unter einem Prinzip des Geschmacks würde man einen Grundsatz verstehen, unter dessen Bedingung man den Begriff eines Gegenstands subsumiren und alsdann durch einen Schluß herausbringen könnte, daß er schön sey." Richtiger ausgedrückt ist dies Prinzip die Idee des Schönen, die er eben läugnet, indem er sofort ein solches Prinzip für schlechterdings unmöglich erklärt. Zum letztenmal faßt er den Gegenstand auf in der Dialektik der ästhetischen Urtheilskraft §. 55 -- 58. Hier stellt er den vorliegenden Widerspruch als Antinomie auf, löst diese dadurch, daß er zeigt, der Ausdruck Begriff sey in der These und Antithese verschieden genommen, und nennt denjenigen Begriff, der dem ästhetischen Urtheil zu Grunde liegt, im Gegensatze gegen den Verstandesbegriff einen tran- scendentalen, theoretisch unbestimmbaren Vernunftbegriff von dem Ueber- sinnlichen. Dieser Vernunftbegriff ist nun kein anderer, als der von der Natur als einem innerlich zweckmäßigen Ganzen, und damit halte man nun das tiefsinnige Wort (§. 57) zusammen: "das Geschmacksurtheil
Vischer's Aesthetik. 1. Bd. 14
vorausſetzt. Hat man aber die Idee der Schönheit, ſo begreift ſich, daß der äſthetiſch Genießende berechtigt iſt, in Betreff des einzelnen vorliegenden Gegenſtands allgemeine Zuſtimmung aprioriſch zu for- dern, denn er befindet ſich mitten im Leben der Idee, indem er ſie in einem Gegenſtande verwirklicht anſchaut, und der, welcher über ihn und den Gegenſtand denkt, kann beweiſen, daß er ſich im Leben der Idee befand, denn dieſer begreift die Idee. Es iſt alſo nicht richtig, daß es ſich blos von einzelnen „Urtheilen“ handelt; der unmittelbar Genie- ßende kann freilich blos einzelne „Urtheile“ fällen; ſo verhält ſich aber mit jedem Allgemeinen, das in Form der Empfindung auftreten kann: der blos Empfindende findet es erſt, wenn es vorkommt, aber wer über ihn und hinter ihn zurückdenkt, der muß nothwendig allgemeine Urtheile fällen können, wie z. B.: der menſchliche Körper als Gattung iſt ſchön (wobei freilich noch gewiſſe Bedingungen fehlen, welche nicht erlauben, zu ſagen: alle menſchlichen Körper ſind ſchön, aber Bedingun- gen, die ganz wohl ebenfalls in ihrer Allgemeinheit zu begreifen ſind). Nun könnte man ſagen, Kant gebe dies Denken als einen zweiten Act wohl zu, er fügt ja hinzu (§. 33): „der Verſtand kann durch die Ver- gleichung des Objects im Punkte des Wohlgefälligen mit dem Urtheile Anderer ein allgemeines Urtheil machen: z. B. alle Tulpen ſind ſchön; aber das iſt alsdann kein Geſchmacks-, ſondern ein logiſches Urtheil.“ Man ſieht, Kant meint das logiſche blos formell und läßt es blos auf comparativem Wege entſtehen; daher ſagt er auch §. 34: „unter einem Prinzip des Geſchmacks würde man einen Grundſatz verſtehen, unter deſſen Bedingung man den Begriff eines Gegenſtands ſubſumiren und alsdann durch einen Schluß herausbringen könnte, daß er ſchön ſey.“ Richtiger ausgedrückt iſt dies Prinzip die Idee des Schönen, die er eben läugnet, indem er ſofort ein ſolches Prinzip für ſchlechterdings unmöglich erklärt. Zum letztenmal faßt er den Gegenſtand auf in der Dialektik der äſthetiſchen Urtheilskraft §. 55 — 58. Hier ſtellt er den vorliegenden Widerſpruch als Antinomie auf, löst dieſe dadurch, daß er zeigt, der Ausdruck Begriff ſey in der Theſe und Antitheſe verſchieden genommen, und nennt denjenigen Begriff, der dem äſthetiſchen Urtheil zu Grunde liegt, im Gegenſatze gegen den Verſtandesbegriff einen tran- ſcendentalen, theoretiſch unbeſtimmbaren Vernunftbegriff von dem Ueber- ſinnlichen. Dieſer Vernunftbegriff iſt nun kein anderer, als der von der Natur als einem innerlich zweckmäßigen Ganzen, und damit halte man nun das tiefſinnige Wort (§. 57) zuſammen: „das Geſchmacksurtheil
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 14
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vorausſetzt. Hat man aber die Idee der Schönheit, ſo begreift ſich,
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vorliegenden Gegenſtands allgemeine Zuſtimmung aprioriſch zu for-
dern, denn er befindet ſich mitten im Leben der Idee, indem er ſie in
einem Gegenſtande verwirklicht anſchaut, und der, welcher über ihn und
den Gegenſtand denkt, kann beweiſen, daß er ſich im Leben der Idee
befand, denn dieſer begreift die Idee. Es iſt alſo nicht richtig, daß
es ſich blos von einzelnen „Urtheilen“ handelt; der unmittelbar Genie-
ßende kann freilich blos einzelne „Urtheile“ fällen; ſo verhält ſich aber
mit jedem Allgemeinen, das in Form der Empfindung auftreten kann:
der blos Empfindende findet es erſt, wenn es vorkommt, aber wer
über ihn und hinter ihn zurückdenkt, der muß nothwendig allgemeine
Urtheile fällen können, wie z. B.: der menſchliche Körper als Gattung
iſt ſchön (wobei freilich noch gewiſſe Bedingungen fehlen, welche nicht
erlauben, zu ſagen: alle menſchlichen Körper ſind ſchön, aber Bedingun-
gen, die ganz wohl ebenfalls in ihrer Allgemeinheit zu begreifen ſind).
Nun könnte man ſagen, Kant gebe dies Denken als einen zweiten Act
wohl zu, er fügt ja hinzu (§. 33): „der Verſtand kann durch die Ver-
gleichung des Objects im Punkte des Wohlgefälligen mit dem Urtheile
Anderer ein allgemeines Urtheil machen: z. B. alle Tulpen ſind ſchön;
aber das iſt alsdann kein Geſchmacks-, ſondern ein logiſches Urtheil.“
Man ſieht, Kant meint das logiſche blos formell und läßt es blos auf
comparativem Wege entſtehen; daher ſagt er auch §. 34: „unter einem
Prinzip des Geſchmacks würde man einen Grundſatz verſtehen, unter
deſſen Bedingung man den Begriff eines Gegenſtands ſubſumiren und
alsdann durch einen Schluß herausbringen könnte, daß er ſchön ſey.“
Richtiger ausgedrückt iſt dies Prinzip die Idee des Schönen, die er
eben läugnet, indem er ſofort ein ſolches Prinzip für ſchlechterdings
unmöglich erklärt. Zum letztenmal faßt er den Gegenſtand auf in der
Dialektik der äſthetiſchen Urtheilskraft §. 55 — 58. Hier ſtellt er den
vorliegenden Widerſpruch als Antinomie auf, löst dieſe dadurch, daß er
zeigt, der Ausdruck Begriff ſey in der Theſe und Antitheſe verſchieden
genommen, und nennt denjenigen Begriff, der dem äſthetiſchen Urtheil
zu Grunde liegt, im Gegenſatze gegen den Verſtandesbegriff einen tran-
ſcendentalen, theoretiſch unbeſtimmbaren Vernunftbegriff von dem Ueber-
ſinnlichen. Dieſer Vernunftbegriff iſt nun kein anderer, als der von der
Natur als einem innerlich zweckmäßigen Ganzen, und damit halte man
nun das tiefſinnige Wort (§. 57) zuſammen: „das Geſchmacksurtheil
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/223>, abgerufen am 04.12.2024.
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