stätigen. Der harmonischen Gestalt der jetzigen Natur unseres Planeten gingen jene Revolutionen voran, deren Vorstellung und deren Zeugen so erhaben sind. Die Völker waren kriegerisch stark, ehe sie sich zum Schönen erhoben, und die orientalische Kunst mit ihrer räthselhaften Erhabenheit war vor der griechischen. Allein wenn im vageren Ausdruck allerdings der noch gestaltlose, Gestalt erst erzeugende Kampf der Kräfte erhaben heißt, so vergesse man darum nicht, daß im strengen Begriffe das Erhabene, wenn es auch in gewissem Sinne gestaltlos zu nennen ist, dennoch selbst in dieser Gestaltlosigkeit schön seyn muß. Das Erhabene im ästhetischen Sinne ist nicht Kampf, wodurch Schönheit entsteht, sondern der Kampf selbst muß schön aussehen. Erscheinen uns jene Revolutionen des Planeten als ästhetisch erhaben, so haben wir sie bereits in einer Weise und mit einem Geiste aufgefaßt, der ihnen die rohe Materialität abstreift, und wir vollenden uns ihr Bild im Gegensatze gegen die uns schon bekannte, daher vorausgesetzte Schönheit der jetzigen Gestalt der Erde, als auch ein Bild der Schönheit, nur einer andern, einer kämpfenden Schönheit. Die Urkraft der Völker im Naturzustande ist roh, sie ist zwar eine Form des Erhabenen, aber der gebildete Geist, der das Schöne erzeugt, erzeugt höhere Formen auch des Erhabenen, und selbst um jene rohe Erhabenheit ästhetisch erhaben zu finden, müssen wir uns ein Bild davon machen, worin am Rohen das Rohe, was ästhetisch nicht brauchbar ist, ausgeschieden, also das ganze Schöne vorausgesetzt ist. Die orientalische Kunst endlich war nicht erhaben über- haupt, sondern erhaben in dem Sinne, daß sie der Form noch nicht völlig mächtig war, welche ebenda, wo Erhabenes mit künstlerischer Absicht her- vorgebracht werden soll, bereits vorausgesetzt ist, und die Griechen erst, die der Schönheit mächtig waren, schufen auch das wahrhaft Erhabene. Der letzte Grund aber, warum das einfach Schöne vor das Erhabene zu stellen ist, liegt in der allgemeinen Wahrheit, daß der Einheit gemäß dem Gesetze des Begriffs vor ihren Gegensätzen stehen muß. Es ist daher zu tadeln, daß Ruge zu der Auffassung Solgers zurückkehrt und das Erhabene (und Komische) als Formen der erst sich erzeugenden Schön- heit aufführt (a. a. O. S. 57 and.). Er hält sich darin freilich nicht ganz klar, fügt aber ebendarum zum Rückschritte die Verwirrung. Die letztere häuft sich dadurch, daß er in die Construction des allgemeinen Be- griffs der Schönheit schon ausdrücklich die künstlerische Thätigkeit aufnimmt. Wie sich nämlich in unserer Entwicklung weiterhin auch erweisen mag, daß schon zum blosen Sehen der außer der Kunst vorhandenen Schönheit das ästhetische Schauen nöthig ist, so unterscheidet doch dies Schauen, das
ſtätigen. Der harmoniſchen Geſtalt der jetzigen Natur unſeres Planeten gingen jene Revolutionen voran, deren Vorſtellung und deren Zeugen ſo erhaben ſind. Die Völker waren kriegeriſch ſtark, ehe ſie ſich zum Schönen erhoben, und die orientaliſche Kunſt mit ihrer räthſelhaften Erhabenheit war vor der griechiſchen. Allein wenn im vageren Ausdruck allerdings der noch geſtaltloſe, Geſtalt erſt erzeugende Kampf der Kräfte erhaben heißt, ſo vergeſſe man darum nicht, daß im ſtrengen Begriffe das Erhabene, wenn es auch in gewiſſem Sinne geſtaltlos zu nennen iſt, dennoch ſelbſt in dieſer Geſtaltloſigkeit ſchön ſeyn muß. Das Erhabene im äſthetiſchen Sinne iſt nicht Kampf, wodurch Schönheit entſteht, ſondern der Kampf ſelbſt muß ſchön ausſehen. Erſcheinen uns jene Revolutionen des Planeten als äſthetiſch erhaben, ſo haben wir ſie bereits in einer Weiſe und mit einem Geiſte aufgefaßt, der ihnen die rohe Materialität abſtreift, und wir vollenden uns ihr Bild im Gegenſatze gegen die uns ſchon bekannte, daher vorausgeſetzte Schönheit der jetzigen Geſtalt der Erde, als auch ein Bild der Schönheit, nur einer andern, einer kämpfenden Schönheit. Die Urkraft der Völker im Naturzuſtande iſt roh, ſie iſt zwar eine Form des Erhabenen, aber der gebildete Geiſt, der das Schöne erzeugt, erzeugt höhere Formen auch des Erhabenen, und ſelbſt um jene rohe Erhabenheit äſthetiſch erhaben zu finden, müſſen wir uns ein Bild davon machen, worin am Rohen das Rohe, was äſthetiſch nicht brauchbar iſt, ausgeſchieden, alſo das ganze Schöne vorausgeſetzt iſt. Die orientaliſche Kunſt endlich war nicht erhaben über- haupt, ſondern erhaben in dem Sinne, daß ſie der Form noch nicht völlig mächtig war, welche ebenda, wo Erhabenes mit künſtleriſcher Abſicht her- vorgebracht werden ſoll, bereits vorausgeſetzt iſt, und die Griechen erſt, die der Schönheit mächtig waren, ſchufen auch das wahrhaft Erhabene. Der letzte Grund aber, warum das einfach Schöne vor das Erhabene zu ſtellen iſt, liegt in der allgemeinen Wahrheit, daß der Einheit gemäß dem Geſetze des Begriffs vor ihren Gegenſätzen ſtehen muß. Es iſt daher zu tadeln, daß Ruge zu der Auffaſſung Solgers zurückkehrt und das Erhabene (und Komiſche) als Formen der erſt ſich erzeugenden Schön- heit aufführt (a. a. O. S. 57 and.). Er hält ſich darin freilich nicht ganz klar, fügt aber ebendarum zum Rückſchritte die Verwirrung. Die letztere häuft ſich dadurch, daß er in die Conſtruction des allgemeinen Be- griffs der Schönheit ſchon ausdrücklich die künſtleriſche Thätigkeit aufnimmt. Wie ſich nämlich in unſerer Entwicklung weiterhin auch erweiſen mag, daß ſchon zum bloſen Sehen der außer der Kunſt vorhandenen Schönheit das äſthetiſche Schauen nöthig iſt, ſo unterſcheidet doch dies Schauen, das
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ſtätigen. Der harmoniſchen Geſtalt der jetzigen Natur unſeres Planeten
gingen jene Revolutionen voran, deren Vorſtellung und deren Zeugen ſo
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erhoben, und die orientaliſche Kunſt mit ihrer räthſelhaften Erhabenheit war
vor der griechiſchen. Allein wenn im vageren Ausdruck allerdings der noch
geſtaltloſe, Geſtalt erſt erzeugende Kampf der Kräfte erhaben heißt, ſo
vergeſſe man darum nicht, daß im ſtrengen Begriffe das Erhabene, wenn
es auch in gewiſſem Sinne geſtaltlos zu nennen iſt, dennoch ſelbſt in dieſer
Geſtaltloſigkeit ſchön ſeyn muß. Das Erhabene im äſthetiſchen Sinne iſt nicht
Kampf, wodurch Schönheit entſteht, ſondern der Kampf ſelbſt muß ſchön
ausſehen. Erſcheinen uns jene Revolutionen des Planeten als äſthetiſch
erhaben, ſo haben wir ſie bereits in einer Weiſe und mit einem Geiſte
aufgefaßt, der ihnen die rohe Materialität abſtreift, und wir vollenden uns
ihr Bild im Gegenſatze gegen die uns ſchon bekannte, daher vorausgeſetzte
Schönheit der jetzigen Geſtalt der Erde, als auch ein Bild der Schönheit,
nur einer andern, einer kämpfenden Schönheit. Die Urkraft der Völker im
Naturzuſtande iſt roh, ſie iſt zwar eine Form des Erhabenen, aber der
gebildete Geiſt, der das Schöne erzeugt, erzeugt höhere Formen auch des
Erhabenen, und ſelbſt um jene rohe Erhabenheit äſthetiſch erhaben zu
finden, müſſen wir uns ein Bild davon machen, worin am Rohen das Rohe,
was äſthetiſch nicht brauchbar iſt, ausgeſchieden, alſo das ganze Schöne
vorausgeſetzt iſt. Die orientaliſche Kunſt endlich war nicht erhaben über-
haupt, ſondern erhaben in dem Sinne, daß ſie der Form noch nicht völlig
mächtig war, welche ebenda, wo Erhabenes mit künſtleriſcher Abſicht her-
vorgebracht werden ſoll, bereits vorausgeſetzt iſt, und die Griechen erſt,
die der Schönheit mächtig waren, ſchufen auch das wahrhaft Erhabene.
Der letzte Grund aber, warum das einfach Schöne vor das Erhabene
zu ſtellen iſt, liegt in der allgemeinen Wahrheit, daß der Einheit gemäß
dem Geſetze des Begriffs vor ihren Gegenſätzen ſtehen muß. Es iſt daher
zu tadeln, daß Ruge zu der Auffaſſung Solgers zurückkehrt und das
Erhabene (und Komiſche) als Formen der erſt ſich erzeugenden Schön-
heit aufführt (a. a. O. S. 57 and.). Er hält ſich darin freilich nicht
ganz klar, fügt aber ebendarum zum Rückſchritte die Verwirrung. Die
letztere häuft ſich dadurch, daß er in die Conſtruction des allgemeinen Be-
griffs der Schönheit ſchon ausdrücklich die künſtleriſche Thätigkeit aufnimmt.
Wie ſich nämlich in unſerer Entwicklung weiterhin auch erweiſen mag,
daß ſchon zum bloſen Sehen der außer der Kunſt vorhandenen Schönheit
das äſthetiſche Schauen nöthig iſt, ſo unterſcheidet doch dies Schauen, das
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/230>, abgerufen am 04.12.2024.
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