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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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Dadurch schneidet er sich auch den Weg ab, vom Erhabenen der Natur
aufzusteigen zum Erhabenen des Geistes, denn hier fällt die Subreption
weg, die er doch für wesentlich hält; wiewohl er übrigens in der An-
merkung nach §. 29 treffliche Winke über das Pathos einstreut. Man
darf seiner Darstellung jedoch nur mit Wenigem nachhelfen, um den
Begriff des Widerspruchs, wie er im §. als Wesen des Erhabenen auf-
gestellt ist, in ihr zu finden. Er weist (a. a. O. §. 26), indem er
auch hier statt der Philosophie des Gegenstands nur eine Kritik des
subjectiven Actes gibt, nach, wie im Erhabenen die zwei Handlungen
des Auffassens und des Zusammenfassens in Widerstreit gerathen, indem
die erste fortrückt und die zweite nicht mehr folgen kann, sondern eben-
soviel, als ihr auf der einen Seite zugezählt wird, von den zuerst auf-
gefaßten Theilvorstellungen verliert. Es ist ein Fortschreiten und "Zu-
rücksinken" zugleich, ein Halten und Verlieren und diese Bewegung hat
ihren Grund im Gegenstande, der in jedem Moment seine Grenze auf-
zuheben im Begriff ist und sie doch festhält, der in der Grenze über die
Grenze hinausgeht. Wenn Kant den Ausdruck braucht, daß uns die
Größe des Weltgebäudes alles Große in der Natur als klein,
eigentlich aber unsere Einbildungskraft in ihrer Grenzen-
losigkeit als gegen die Ideen der Vernunft verschwindend
vorstelle
, so ist hierin eben dies in's Auge zu fassen, daß hier eine
Bewegung des Verschwindens vorliegt, ein Verschweben im Bleiben,
ein Bleiben im Verschweben. Diese Natur des Erhabenen hat Weiße
auf ihr objectives Wesen zurückgeführt, indem er sagt (Aesth. §. 22),
die Schönheit erscheine im Erhabenen in der doppelten Eigenschaft: einer-
seits als Attribut der einzelnen endlichen Dinge, andererseits des Gesammt-
wesens aller Endlichkeit, wiefern dieses Gesammtwesen jedes einzelne end-
liche Ding nicht nur in das Daseyn hervorruft, sondern es auch wiederum
verneint und in den allgemeinen Fluß aller Dinge zurücknimmt. Es ist ein
"Begrenzen der Gegenstände durch die Macht der Totalität und Allge-
meinheit" oder richtiger, wie es S. 155 heißt, ein Aufheben und Be-
grenzen der Grenze oder so zu sagen eine grenzlose Grenze. Weiße
übersieht nicht, daß die Grenze im Verschwinden bleibt, da "die Be-
grenzung des Besondern unmittelbar nicht durch das Allgemeine, sondern
stets wiederum durch Besonderes erfolgt", er stellt nur nicht ausdrücklich
genug hervor, daß dies ein Widerspruch und dieser Widerspruch das
Erhabene ist. "Das besondere und einzelne Ding ist das Daseyn des
Allgemeinen und Unbedingten nicht, wiefern es in seiner Einzelheit ist,

Dadurch ſchneidet er ſich auch den Weg ab, vom Erhabenen der Natur
aufzuſteigen zum Erhabenen des Geiſtes, denn hier fällt die Subreption
weg, die er doch für weſentlich hält; wiewohl er übrigens in der An-
merkung nach §. 29 treffliche Winke über das Pathos einſtreut. Man
darf ſeiner Darſtellung jedoch nur mit Wenigem nachhelfen, um den
Begriff des Widerſpruchs, wie er im §. als Weſen des Erhabenen auf-
geſtellt iſt, in ihr zu finden. Er weist (a. a. O. §. 26), indem er
auch hier ſtatt der Philoſophie des Gegenſtands nur eine Kritik des
ſubjectiven Actes gibt, nach, wie im Erhabenen die zwei Handlungen
des Auffaſſens und des Zuſammenfaſſens in Widerſtreit gerathen, indem
die erſte fortrückt und die zweite nicht mehr folgen kann, ſondern eben-
ſoviel, als ihr auf der einen Seite zugezählt wird, von den zuerſt auf-
gefaßten Theilvorſtellungen verliert. Es iſt ein Fortſchreiten und „Zu-
rückſinken“ zugleich, ein Halten und Verlieren und dieſe Bewegung hat
ihren Grund im Gegenſtande, der in jedem Moment ſeine Grenze auf-
zuheben im Begriff iſt und ſie doch feſthält, der in der Grenze über die
Grenze hinausgeht. Wenn Kant den Ausdruck braucht, daß uns die
Größe des Weltgebäudes alles Große in der Natur als klein,
eigentlich aber unſere Einbildungskraft in ihrer Grenzen-
loſigkeit als gegen die Ideen der Vernunft verſchwindend
vorſtelle
, ſo iſt hierin eben dies in’s Auge zu faſſen, daß hier eine
Bewegung des Verſchwindens vorliegt, ein Verſchweben im Bleiben,
ein Bleiben im Verſchweben. Dieſe Natur des Erhabenen hat Weiße
auf ihr objectives Weſen zurückgeführt, indem er ſagt (Aeſth. §. 22),
die Schönheit erſcheine im Erhabenen in der doppelten Eigenſchaft: einer-
ſeits als Attribut der einzelnen endlichen Dinge, andererſeits des Geſammt-
weſens aller Endlichkeit, wiefern dieſes Geſammtweſen jedes einzelne end-
liche Ding nicht nur in das Daſeyn hervorruft, ſondern es auch wiederum
verneint und in den allgemeinen Fluß aller Dinge zurücknimmt. Es iſt ein
„Begrenzen der Gegenſtände durch die Macht der Totalität und Allge-
meinheit“ oder richtiger, wie es S. 155 heißt, ein Aufheben und Be-
grenzen der Grenze oder ſo zu ſagen eine grenzloſe Grenze. Weiße
überſieht nicht, daß die Grenze im Verſchwinden bleibt, da „die Be-
grenzung des Beſondern unmittelbar nicht durch das Allgemeine, ſondern
ſtets wiederum durch Beſonderes erfolgt“, er ſtellt nur nicht ausdrücklich
genug hervor, daß dies ein Widerſpruch und dieſer Widerſpruch das
Erhabene iſt. „Das beſondere und einzelne Ding iſt das Daſeyn des
Allgemeinen und Unbedingten nicht, wiefern es in ſeiner Einzelheit iſt,

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[222/0236] Dadurch ſchneidet er ſich auch den Weg ab, vom Erhabenen der Natur aufzuſteigen zum Erhabenen des Geiſtes, denn hier fällt die Subreption weg, die er doch für weſentlich hält; wiewohl er übrigens in der An- merkung nach §. 29 treffliche Winke über das Pathos einſtreut. Man darf ſeiner Darſtellung jedoch nur mit Wenigem nachhelfen, um den Begriff des Widerſpruchs, wie er im §. als Weſen des Erhabenen auf- geſtellt iſt, in ihr zu finden. Er weist (a. a. O. §. 26), indem er auch hier ſtatt der Philoſophie des Gegenſtands nur eine Kritik des ſubjectiven Actes gibt, nach, wie im Erhabenen die zwei Handlungen des Auffaſſens und des Zuſammenfaſſens in Widerſtreit gerathen, indem die erſte fortrückt und die zweite nicht mehr folgen kann, ſondern eben- ſoviel, als ihr auf der einen Seite zugezählt wird, von den zuerſt auf- gefaßten Theilvorſtellungen verliert. Es iſt ein Fortſchreiten und „Zu- rückſinken“ zugleich, ein Halten und Verlieren und dieſe Bewegung hat ihren Grund im Gegenſtande, der in jedem Moment ſeine Grenze auf- zuheben im Begriff iſt und ſie doch feſthält, der in der Grenze über die Grenze hinausgeht. Wenn Kant den Ausdruck braucht, daß uns die Größe des Weltgebäudes alles Große in der Natur als klein, eigentlich aber unſere Einbildungskraft in ihrer Grenzen- loſigkeit als gegen die Ideen der Vernunft verſchwindend vorſtelle, ſo iſt hierin eben dies in’s Auge zu faſſen, daß hier eine Bewegung des Verſchwindens vorliegt, ein Verſchweben im Bleiben, ein Bleiben im Verſchweben. Dieſe Natur des Erhabenen hat Weiße auf ihr objectives Weſen zurückgeführt, indem er ſagt (Aeſth. §. 22), die Schönheit erſcheine im Erhabenen in der doppelten Eigenſchaft: einer- ſeits als Attribut der einzelnen endlichen Dinge, andererſeits des Geſammt- weſens aller Endlichkeit, wiefern dieſes Geſammtweſen jedes einzelne end- liche Ding nicht nur in das Daſeyn hervorruft, ſondern es auch wiederum verneint und in den allgemeinen Fluß aller Dinge zurücknimmt. Es iſt ein „Begrenzen der Gegenſtände durch die Macht der Totalität und Allge- meinheit“ oder richtiger, wie es S. 155 heißt, ein Aufheben und Be- grenzen der Grenze oder ſo zu ſagen eine grenzloſe Grenze. Weiße überſieht nicht, daß die Grenze im Verſchwinden bleibt, da „die Be- grenzung des Beſondern unmittelbar nicht durch das Allgemeine, ſondern ſtets wiederum durch Beſonderes erfolgt“, er ſtellt nur nicht ausdrücklich genug hervor, daß dies ein Widerſpruch und dieſer Widerſpruch das Erhabene iſt. „Das beſondere und einzelne Ding iſt das Daſeyn des Allgemeinen und Unbedingten nicht, wiefern es in ſeiner Einzelheit iſt,

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/236>, abgerufen am 28.11.2024.