des Schönen. Es setzt die Sinne in Bewegung, die von ihm ausgeschlossen sind (§. 71) und zwar abstoßend: den Geruchsinn, den Tastsinn, denn wir meinen die widerlich widerstandslose Masse berühren zu müssen, den Geschmack, denn es ist im Eckel eine Vorstellung, als müßte man den Gegenstand essen: "nur eine Art Häßlichkeit kann nicht der Natur gemäß vorgestellt werden, ohne alles ästhetische Wohlgefallen, mithin die Kunst- schönheit zu Grunde zu richten: nämlich diejenige, welche Eckel erweckt. Denn weil in dieser sonderbaren, auf lauter Einbildung beruhenden Em- pfindung der Gegenstand gleichsam, als ob er sich zum Genuße aufdränge, wider den wir doch mit Gewalt streben, vorgestellt wird, so wird die künstliche Vorstellung von der Natur dieses Gegenstands selbst in unserer Empfindung nicht mehr unterschieden und jene kann alsdann unmöglich für schön gehalten werden" (Kant a. a. O. §. 48). Das Schöne wird dadurch so ganz aufgehoben, daß selbst ein wahrhaft schöner Gegenstand, wenn zufällig, wo er gesehen wird, Gestank ist, Widerwillen erregt. Dennoch ist, wenn es schrecklich ist, auch das Eckelhafte als Moment im Schönen berechtigt. Es ist dabei freilich ein großer Unterschied unter den Künsten; es kommt Alles darauf an, ob es nur innerlich vorgestellt wird oder auch der äußeren Anschauung sich aufdrängt, und wenn das Letztere, wie weit die Versinnlichung geht (was schon zu §. 71 berührt ist).
§. 101.
Ruhe und Stille, welche auf die Zerstörung folgt, zeigt durch die Spuren1 derselben eine Kraft, welche sich auch in dieser größtmöglichen Wirkung nicht erschöpft hat, es schwebt die Möglichkeit einer unendlichen neuen Kraftent- wicklung vor, und diesen Eindruck kann Ruhe und Stille auch ohne vorher- gegangenen Ausbruch hervorrufen, wenn sie von Zeichen begleitet ist, welche eine über Vergleichung große Zerstörung verkündigen. Nun verbindet sich mit der Negativität der ganze Nachdruck der geahnten Unendlichkeit (§. 99). Diese2 Kraft nun aber, welche hinter der größtmöglichen Wirkung sich noch als eine Unendlichkeit verbirgt, ist wirklich nichts quantitativ Unendliches mehr. Ueber jede Kraft läßt sich eine höhere vorstellen und der Abschluß dieser Steigerung durch die Vorstellung einer zugleich offenbaren und verborgenen, wirklich un- bedingten Kraft ist vielmehr die Aufhebung dieser ganzen Kategorie. Der Fortgang in's Unendliche hebt sich in die ideelle, wahrhaft bei sich bleibende Einheit der Reflexion in sich auf: die Stille und Ruhe ist das Besinnen sowohl der Kraft als auch des Zuschauers auf sich.
des Schönen. Es ſetzt die Sinne in Bewegung, die von ihm ausgeſchloſſen ſind (§. 71) und zwar abſtoßend: den Geruchſinn, den Taſtſinn, denn wir meinen die widerlich widerſtandsloſe Maſſe berühren zu müſſen, den Geſchmack, denn es iſt im Eckel eine Vorſtellung, als müßte man den Gegenſtand eſſen: „nur eine Art Häßlichkeit kann nicht der Natur gemäß vorgeſtellt werden, ohne alles äſthetiſche Wohlgefallen, mithin die Kunſt- ſchönheit zu Grunde zu richten: nämlich diejenige, welche Eckel erweckt. Denn weil in dieſer ſonderbaren, auf lauter Einbildung beruhenden Em- pfindung der Gegenſtand gleichſam, als ob er ſich zum Genuße aufdränge, wider den wir doch mit Gewalt ſtreben, vorgeſtellt wird, ſo wird die künſtliche Vorſtellung von der Natur dieſes Gegenſtands ſelbſt in unſerer Empfindung nicht mehr unterſchieden und jene kann alsdann unmöglich für ſchön gehalten werden“ (Kant a. a. O. §. 48). Das Schöne wird dadurch ſo ganz aufgehoben, daß ſelbſt ein wahrhaft ſchöner Gegenſtand, wenn zufällig, wo er geſehen wird, Geſtank iſt, Widerwillen erregt. Dennoch iſt, wenn es ſchrecklich iſt, auch das Eckelhafte als Moment im Schönen berechtigt. Es iſt dabei freilich ein großer Unterſchied unter den Künſten; es kommt Alles darauf an, ob es nur innerlich vorgeſtellt wird oder auch der äußeren Anſchauung ſich aufdrängt, und wenn das Letztere, wie weit die Verſinnlichung geht (was ſchon zu §. 71 berührt iſt).
§. 101.
Ruhe und Stille, welche auf die Zerſtörung folgt, zeigt durch die Spuren1 derſelben eine Kraft, welche ſich auch in dieſer größtmöglichen Wirkung nicht erſchöpft hat, es ſchwebt die Möglichkeit einer unendlichen neuen Kraftent- wicklung vor, und dieſen Eindruck kann Ruhe und Stille auch ohne vorher- gegangenen Ausbruch hervorrufen, wenn ſie von Zeichen begleitet iſt, welche eine über Vergleichung große Zerſtörung verkündigen. Nun verbindet ſich mit der Negativität der ganze Nachdruck der geahnten Unendlichkeit (§. 99). Dieſe2 Kraft nun aber, welche hinter der größtmöglichen Wirkung ſich noch als eine Unendlichkeit verbirgt, iſt wirklich nichts quantitativ Unendliches mehr. Ueber jede Kraft läßt ſich eine höhere vorſtellen und der Abſchluß dieſer Steigerung durch die Vorſtellung einer zugleich offenbaren und verborgenen, wirklich un- bedingten Kraft iſt vielmehr die Aufhebung dieſer ganzen Kategorie. Der Fortgang in’s Unendliche hebt ſich in die ideelle, wahrhaft bei ſich bleibende Einheit der Reflexion in ſich auf: die Stille und Ruhe iſt das Beſinnen ſowohl der Kraft als auch des Zuſchauers auf ſich.
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des Schönen. Es ſetzt die Sinne in Bewegung, die von ihm ausgeſchloſſen
ſind (§. 71) und zwar abſtoßend: den Geruchſinn, den Taſtſinn, denn
wir meinen die widerlich widerſtandsloſe Maſſe berühren zu müſſen, den
Geſchmack, denn es iſt im Eckel eine Vorſtellung, als müßte man den
Gegenſtand eſſen: „nur eine Art Häßlichkeit kann nicht der Natur gemäß
vorgeſtellt werden, ohne alles äſthetiſche Wohlgefallen, mithin die Kunſt-
ſchönheit zu Grunde zu richten: nämlich diejenige, welche Eckel erweckt.
Denn weil in dieſer ſonderbaren, auf lauter Einbildung beruhenden Em-
pfindung der Gegenſtand gleichſam, als ob er ſich zum Genuße aufdränge,
wider den wir doch mit Gewalt ſtreben, vorgeſtellt wird, ſo wird die
künſtliche Vorſtellung von der Natur dieſes Gegenſtands ſelbſt in unſerer
Empfindung nicht mehr unterſchieden und jene kann alsdann unmöglich
für ſchön gehalten werden“ (Kant a. a. O. §. 48). Das Schöne wird
dadurch ſo ganz aufgehoben, daß ſelbſt ein wahrhaft ſchöner Gegenſtand,
wenn zufällig, wo er geſehen wird, Geſtank iſt, Widerwillen erregt.
Dennoch iſt, wenn es ſchrecklich iſt, auch das Eckelhafte als Moment im
Schönen berechtigt. Es iſt dabei freilich ein großer Unterſchied unter den
Künſten; es kommt Alles darauf an, ob es nur innerlich vorgeſtellt wird
oder auch der äußeren Anſchauung ſich aufdrängt, und wenn das Letztere,
wie weit die Verſinnlichung geht (was ſchon zu §. 71 berührt iſt).
§. 101.
Ruhe und Stille, welche auf die Zerſtörung folgt, zeigt durch die Spuren
derſelben eine Kraft, welche ſich auch in dieſer größtmöglichen Wirkung nicht
erſchöpft hat, es ſchwebt die Möglichkeit einer unendlichen neuen Kraftent-
wicklung vor, und dieſen Eindruck kann Ruhe und Stille auch ohne vorher-
gegangenen Ausbruch hervorrufen, wenn ſie von Zeichen begleitet iſt, welche
eine über Vergleichung große Zerſtörung verkündigen. Nun verbindet ſich mit
der Negativität der ganze Nachdruck der geahnten Unendlichkeit (§. 99). Dieſe
Kraft nun aber, welche hinter der größtmöglichen Wirkung ſich noch als eine
Unendlichkeit verbirgt, iſt wirklich nichts quantitativ Unendliches mehr. Ueber
jede Kraft läßt ſich eine höhere vorſtellen und der Abſchluß dieſer Steigerung
durch die Vorſtellung einer zugleich offenbaren und verborgenen, wirklich un-
bedingten Kraft iſt vielmehr die Aufhebung dieſer ganzen Kategorie. Der
Fortgang in’s Unendliche hebt ſich in die ideelle, wahrhaft bei ſich bleibende
Einheit der Reflexion in ſich auf: die Stille und Ruhe iſt das Beſinnen ſowohl
der Kraft als auch des Zuſchauers auf ſich.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/265>, abgerufen am 26.11.2024.
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