metaphysisch ausgedrückt ist es die Negation der Negation: Kraft hebt Kraft auf und die Kräfte sinken in ein Drittes ein; im ästhetischen Zusammenhang aber ist der Uebergang wesentlich zu fassen als eine Forderung der Anschauung. In dem stillen Brüten der ver- borgenen Kraft sucht der Geist die Erscheinung seiner selbst, indem er sich auf sich selbst besinnt. In der zu §. 92 angeführten Stelle geht auch Kant von der extensiven Unendlichkeit auf die wahre des Geistes über, auf das "Individuum, das auf sein unsichtbares Ich zurückgeht und die absolute Freiheit seines Willens allen Schrecken des Schicksals und der Tyrannei entgegenstellt, von seinen nächsten Umgebungen anfangend sie für sich verschwinden, ebenso das, was als dauernd erscheint, Welten über Welten in Trümmer zusammen- stürzen läßt und einsam sich als sich gleich selbst erkennt." Diese Stelle kann uns in unserem Zusammenhang allerdings auch in dem Sinne dienen, daß hier mit dem Gegenstande der subjective Eindruck in sein Gegentheil umschlägt. Sobald jene Besinnung auf sich eintritt, ist auch das Gefühl desjenigen im Zuschauer da, woran alle blose Kraft scheitert, des Willens, welchen, si fractus illabatur orbis, impavidum ferient ruinse, und welchem nun nicht mehr blose Kraft, sondern nur überlegener Geist imponiren kann.
§. 102.
Zugleich mit der Kraft heben sich aber, weil sie in ihr als aufgehobene enthalten sind, alle Formen des objectiv Erhabenen auf. Es ergibt sich jetzt für das anschauende Bewußtseyn selbst, daß nur eine doppelte Täuschung von Seiten des Subjects den Schein der wahren Erhabenheit in diese ganze Sphäre gelegt hat. Die erste Täuschung bestand darin, daß der in Wahrheit begrenzte Gegenstand als ein in's Unendliche fortgesetzter, die zweite darin, daß diese Unendlichkeit der blosen Fortsetzung als wahre Unendlichkeit aufgefaßt wurde. Das Subject würde kein Object erhaben finden, wenn es ihm nicht seine Un- endlichkeit durch einen gewissen Vorgriff unterlegen würde; sobald es sich darauf besinnt, so erscheint nicht mehr das Object, sondern das Subject als erhaben: das Leihende tritt an die Stelle dessen, dem geliehen wurde.
Was hier vom Erhabenen gesagt ist, gilt allerdings auch vom einfach Schönen. Die nicht wahrhaft begeisteten Naturwesen erscheinen als per- sönlich, wie dies zum Schönen gefordert wird, nur durch denselben Vor-
metaphyſiſch ausgedrückt iſt es die Negation der Negation: Kraft hebt Kraft auf und die Kräfte ſinken in ein Drittes ein; im äſthetiſchen Zuſammenhang aber iſt der Uebergang weſentlich zu faſſen als eine Forderung der Anſchauung. In dem ſtillen Brüten der ver- borgenen Kraft ſucht der Geiſt die Erſcheinung ſeiner ſelbſt, indem er ſich auf ſich ſelbſt beſinnt. In der zu §. 92 angeführten Stelle geht auch Kant von der extenſiven Unendlichkeit auf die wahre des Geiſtes über, auf das „Individuum, das auf ſein unſichtbares Ich zurückgeht und die abſolute Freiheit ſeines Willens allen Schrecken des Schickſals und der Tyrannei entgegenſtellt, von ſeinen nächſten Umgebungen anfangend ſie für ſich verſchwinden, ebenſo das, was als dauernd erſcheint, Welten über Welten in Trümmer zuſammen- ſtürzen läßt und einſam ſich als ſich gleich ſelbſt erkennt.“ Dieſe Stelle kann uns in unſerem Zuſammenhang allerdings auch in dem Sinne dienen, daß hier mit dem Gegenſtande der ſubjective Eindruck in ſein Gegentheil umſchlägt. Sobald jene Beſinnung auf ſich eintritt, iſt auch das Gefühl desjenigen im Zuſchauer da, woran alle bloſe Kraft ſcheitert, des Willens, welchen, si fractus illabatur orbis, impavidum ferient ruinse, und welchem nun nicht mehr bloſe Kraft, ſondern nur überlegener Geiſt imponiren kann.
§. 102.
Zugleich mit der Kraft heben ſich aber, weil ſie in ihr als aufgehobene enthalten ſind, alle Formen des objectiv Erhabenen auf. Es ergibt ſich jetzt für das anſchauende Bewußtſeyn ſelbſt, daß nur eine doppelte Täuſchung von Seiten des Subjects den Schein der wahren Erhabenheit in dieſe ganze Sphäre gelegt hat. Die erſte Täuſchung beſtand darin, daß der in Wahrheit begrenzte Gegenſtand als ein in’s Unendliche fortgeſetzter, die zweite darin, daß dieſe Unendlichkeit der bloſen Fortſetzung als wahre Unendlichkeit aufgefaßt wurde. Das Subject würde kein Object erhaben finden, wenn es ihm nicht ſeine Un- endlichkeit durch einen gewiſſen Vorgriff unterlegen würde; ſobald es ſich darauf beſinnt, ſo erſcheint nicht mehr das Object, ſondern das Subject als erhaben: das Leihende tritt an die Stelle deſſen, dem geliehen wurde.
Was hier vom Erhabenen geſagt iſt, gilt allerdings auch vom einfach Schönen. Die nicht wahrhaft begeiſteten Naturweſen erſcheinen als per- ſönlich, wie dies zum Schönen gefordert wird, nur durch denſelben Vor-
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als eine Forderung der Anſchauung. In dem ſtillen Brüten der ver-
borgenen Kraft ſucht der Geiſt die Erſcheinung ſeiner ſelbſt, indem er
ſich auf ſich ſelbſt beſinnt. In der zu §. 92 angeführten Stelle
geht auch Kant von der extenſiven Unendlichkeit auf die wahre des
Geiſtes über, auf das „Individuum, das auf ſein unſichtbares
Ich zurückgeht und die abſolute Freiheit ſeines Willens allen Schrecken
des Schickſals und der Tyrannei entgegenſtellt, von ſeinen nächſten
Umgebungen anfangend ſie für ſich verſchwinden, ebenſo das, was
als dauernd erſcheint, Welten über Welten in Trümmer zuſammen-
ſtürzen läßt und einſam ſich als ſich gleich ſelbſt erkennt.“ Dieſe
Stelle kann uns in unſerem Zuſammenhang allerdings auch in dem Sinne
dienen, daß hier mit dem Gegenſtande der ſubjective Eindruck in ſein
Gegentheil umſchlägt. Sobald jene Beſinnung auf ſich eintritt, iſt auch
das Gefühl desjenigen im Zuſchauer da, woran alle bloſe Kraft ſcheitert,
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Zugleich mit der Kraft heben ſich aber, weil ſie in ihr als aufgehobene
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für das anſchauende Bewußtſeyn ſelbſt, daß nur eine doppelte Täuſchung von
Seiten des Subjects den Schein der wahren Erhabenheit in dieſe ganze Sphäre
gelegt hat. Die erſte Täuſchung beſtand darin, daß der in Wahrheit begrenzte
Gegenſtand als ein in’s Unendliche fortgeſetzter, die zweite darin, daß dieſe
Unendlichkeit der bloſen Fortſetzung als wahre Unendlichkeit aufgefaßt wurde.
Das Subject würde kein Object erhaben finden, wenn es ihm nicht ſeine Un-
endlichkeit durch einen gewiſſen Vorgriff unterlegen würde; ſobald es ſich darauf
beſinnt, ſo erſcheint nicht mehr das Object, ſondern das Subject als erhaben:
das Leihende tritt an die Stelle deſſen, dem geliehen wurde.
Was hier vom Erhabenen geſagt iſt, gilt allerdings auch vom einfach
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ſönlich, wie dies zum Schönen gefordert wird, nur durch denſelben Vor-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/267>, abgerufen am 26.11.2024.
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