seyn, der Ordnung der Ethik durch das Einzelne zu folgen. Hier nun vermittelt sich der Uebergang durch nähere Betrachtung der Leidenschaft. Sobald sie total und habituell wird, geht sie in Häßlichkeit über. Es ist vorzüglich der Haß, der hier in Betracht kommt. Nicht jeder Haß ist habituell gewordene Leidenschaft des Zorns. Zum Habituellen gehört, daß das Subject sich in der Leidenschaft so verbeißt, daß es seine besten Kräfte darin verzehrt. Der Haß kann aber, obwohl er als Richtung gegen den Feind constant gewordener Zorn ist, aus einem sittlichen Kerne, aus der Liebe des Guten fließen und daher zwar stetig seyn, aber doch nur bei gegebenem Anlasse hervortreten. Dieser Haß ist ein wesentliches Moment im sittlichen Pathos, das im jetzigen Zusammenhang zwar als solches noch nicht aufgetreten ist, aber die Kraft der Leiden- schaft als Unterlage und ihm bestimmtes Organ sich vorausschickt. Der schlechte Haß ist der verbissene und sein Object ist, weil er nicht aus dem Geiste fließt, keine geistige (böse) Allgemeinheit, sondern eine Einzel- heit. Kant hat diesen gemeinen Haß im Auge, wenn er (Anm. zu §. 29 a. a. O.) behauptet, der Haß könne niemals erhaben genannt werden. Eine andere Erscheinung, das Laster, ist im §. nicht er- wähnt worden. Es ist das Habituell werden eines auf Genuß gerichteten Triebs, und die Triebe des blosen Genusses sind zu gering, um im Erhabenen erwähnt zu werden, sie gehören in's Komische Die neuere Tragödie hat freilich sogar das bleierne, selbst des Reizes der Sinnlich- keit baare, hohle und arsenikalische Laster des Spiels zum tragischen Hebel benützt: eine der schlimmsten Verirrungen.
Die größeren Leidenschaften, von welchen hier die Rede ist, können zwar auch in ihrer Häßlichkeit noch furchtbar seyn und sind eben darum als ästhetischer Gehalt allerdings zuläßig. Aber in ihrer Unfreiheit liegt dennoch bereits zu Tage, daß sie in Wahrheit willenlos sind, und da sie den Zuschauer nöthigen, sich auf den Willen zu besinnen, der nicht Leiden- schaft, sondern reine Freiheit ist, so fühlt sich dieser in dem unantastbaren Heiligthum, das keine Drohung des Affects fürchtet. Das Furchtbare ver- schwindet also und das nur Häßliche bleibt, d. h. die Leidenschaft ist als ästhe- tischer Gegenstand aufgehoben und ein anderer, die wahre Freiheit gefordert.
2. Diese, wie sie nun ohne die Fülle der Leidenschaft, da die letztere so eben als häßlich verworfen wurde, auftritt, ist abstract. Soll sie ästhetisch werden, so muß sich die Leidenschaft mit ihr vereinigen, allein sie steht jetzt nur äußerlich neben ihr; Gegen- stand ist also nunmehr die zwischen Leidenschaft und reiner Freiheit
17*
ſeyn, der Ordnung der Ethik durch das Einzelne zu folgen. Hier nun vermittelt ſich der Uebergang durch nähere Betrachtung der Leidenſchaft. Sobald ſie total und habituell wird, geht ſie in Häßlichkeit über. Es iſt vorzüglich der Haß, der hier in Betracht kommt. Nicht jeder Haß iſt habituell gewordene Leidenſchaft des Zorns. Zum Habituellen gehört, daß das Subject ſich in der Leidenſchaft ſo verbeißt, daß es ſeine beſten Kräfte darin verzehrt. Der Haß kann aber, obwohl er als Richtung gegen den Feind conſtant gewordener Zorn iſt, aus einem ſittlichen Kerne, aus der Liebe des Guten fließen und daher zwar ſtetig ſeyn, aber doch nur bei gegebenem Anlaſſe hervortreten. Dieſer Haß iſt ein weſentliches Moment im ſittlichen Pathos, das im jetzigen Zuſammenhang zwar als ſolches noch nicht aufgetreten iſt, aber die Kraft der Leiden- ſchaft als Unterlage und ihm beſtimmtes Organ ſich vorausſchickt. Der ſchlechte Haß iſt der verbiſſene und ſein Object iſt, weil er nicht aus dem Geiſte fließt, keine geiſtige (böſe) Allgemeinheit, ſondern eine Einzel- heit. Kant hat dieſen gemeinen Haß im Auge, wenn er (Anm. zu §. 29 a. a. O.) behauptet, der Haß könne niemals erhaben genannt werden. Eine andere Erſcheinung, das Laſter, iſt im §. nicht er- wähnt worden. Es iſt das Habituell werden eines auf Genuß gerichteten Triebs, und die Triebe des bloſen Genuſſes ſind zu gering, um im Erhabenen erwähnt zu werden, ſie gehören in’s Komiſche Die neuere Tragödie hat freilich ſogar das bleierne, ſelbſt des Reizes der Sinnlich- keit baare, hohle und arſenikaliſche Laſter des Spiels zum tragiſchen Hebel benützt: eine der ſchlimmſten Verirrungen.
Die größeren Leidenſchaften, von welchen hier die Rede iſt, können zwar auch in ihrer Häßlichkeit noch furchtbar ſeyn und ſind eben darum als äſthetiſcher Gehalt allerdings zuläßig. Aber in ihrer Unfreiheit liegt dennoch bereits zu Tage, daß ſie in Wahrheit willenlos ſind, und da ſie den Zuſchauer nöthigen, ſich auf den Willen zu beſinnen, der nicht Leiden- ſchaft, ſondern reine Freiheit iſt, ſo fühlt ſich dieſer in dem unantaſtbaren Heiligthum, das keine Drohung des Affects fürchtet. Das Furchtbare ver- ſchwindet alſo und das nur Häßliche bleibt, d. h. die Leidenſchaft iſt als äſthe- tiſcher Gegenſtand aufgehoben und ein anderer, die wahre Freiheit gefordert.
2. Dieſe, wie ſie nun ohne die Fülle der Leidenſchaft, da die letztere ſo eben als häßlich verworfen wurde, auftritt, iſt abſtract. Soll ſie äſthetiſch werden, ſo muß ſich die Leidenſchaft mit ihr vereinigen, allein ſie ſteht jetzt nur äußerlich neben ihr; Gegen- ſtand iſt alſo nunmehr die zwiſchen Leidenſchaft und reiner Freiheit
17*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0273"n="259"/>ſeyn, der Ordnung der Ethik durch das Einzelne zu folgen. Hier nun<lb/>
vermittelt ſich der Uebergang durch nähere Betrachtung der Leidenſchaft.<lb/>
Sobald ſie total und habituell wird, geht ſie in Häßlichkeit über. Es<lb/>
iſt vorzüglich der Haß, der hier in Betracht kommt. Nicht jeder Haß<lb/>
iſt habituell gewordene Leidenſchaft des Zorns. Zum Habituellen gehört,<lb/>
daß das Subject ſich in der Leidenſchaft ſo verbeißt, daß es ſeine beſten<lb/>
Kräfte darin verzehrt. Der Haß kann aber, obwohl er als Richtung<lb/>
gegen den Feind conſtant gewordener Zorn iſt, aus einem ſittlichen<lb/>
Kerne, aus der Liebe des Guten fließen und daher zwar ſtetig ſeyn,<lb/>
aber doch nur bei gegebenem Anlaſſe hervortreten. Dieſer Haß iſt ein<lb/>
weſentliches Moment im ſittlichen Pathos, das im jetzigen Zuſammenhang<lb/>
zwar als ſolches noch nicht aufgetreten iſt, aber die Kraft der Leiden-<lb/>ſchaft als Unterlage und ihm beſtimmtes Organ ſich vorausſchickt. Der<lb/>ſchlechte Haß iſt der verbiſſene und ſein Object iſt, weil er nicht aus<lb/>
dem Geiſte fließt, keine geiſtige (böſe) Allgemeinheit, ſondern eine Einzel-<lb/>
heit. <hirendition="#g">Kant</hi> hat dieſen gemeinen Haß im Auge, wenn er (Anm. zu<lb/>
§. 29 a. a. O.) behauptet, der Haß könne niemals erhaben genannt<lb/>
werden. Eine andere Erſcheinung, das <hirendition="#g">Laſter</hi>, iſt im §. nicht er-<lb/>
wähnt worden. Es iſt das Habituell werden eines auf Genuß gerichteten<lb/>
Triebs, und die Triebe des bloſen Genuſſes ſind zu gering, um im<lb/>
Erhabenen erwähnt zu werden, ſie gehören in’s Komiſche Die neuere<lb/>
Tragödie hat freilich ſogar das bleierne, ſelbſt des Reizes der Sinnlich-<lb/>
keit baare, hohle und arſenikaliſche Laſter des Spiels zum tragiſchen<lb/>
Hebel benützt: eine der ſchlimmſten Verirrungen.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">Die größeren Leidenſchaften, von welchen hier die Rede iſt,<lb/>
können zwar auch in ihrer Häßlichkeit noch furchtbar ſeyn und ſind eben<lb/>
darum als äſthetiſcher Gehalt allerdings zuläßig. Aber in ihrer Unfreiheit<lb/>
liegt dennoch bereits zu Tage, daß ſie in Wahrheit willenlos ſind, und da ſie<lb/>
den Zuſchauer nöthigen, ſich auf den Willen zu beſinnen, der nicht Leiden-<lb/>ſchaft, ſondern reine Freiheit iſt, ſo fühlt ſich dieſer in dem unantaſtbaren<lb/>
Heiligthum, das keine Drohung des Affects fürchtet. Das Furchtbare ver-<lb/>ſchwindet alſo und das nur Häßliche bleibt, d. h. die Leidenſchaft iſt als äſthe-<lb/>
tiſcher Gegenſtand aufgehoben und ein anderer, die <choice><sic>wabre</sic><corr>wahre</corr></choice> Freiheit gefordert.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">2. Dieſe, wie ſie nun ohne die Fülle der Leidenſchaft,<lb/>
da die letztere ſo eben als häßlich verworfen wurde, auftritt,<lb/>
iſt abſtract. Soll ſie äſthetiſch werden, ſo muß ſich die Leidenſchaft<lb/>
mit ihr vereinigen, allein ſie ſteht jetzt nur äußerlich neben ihr; Gegen-<lb/>ſtand iſt alſo nunmehr die zwiſchen Leidenſchaft und reiner Freiheit</hi><lb/><fwplace="bottom"type="sig">17*</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[259/0273]
ſeyn, der Ordnung der Ethik durch das Einzelne zu folgen. Hier nun
vermittelt ſich der Uebergang durch nähere Betrachtung der Leidenſchaft.
Sobald ſie total und habituell wird, geht ſie in Häßlichkeit über. Es
iſt vorzüglich der Haß, der hier in Betracht kommt. Nicht jeder Haß
iſt habituell gewordene Leidenſchaft des Zorns. Zum Habituellen gehört,
daß das Subject ſich in der Leidenſchaft ſo verbeißt, daß es ſeine beſten
Kräfte darin verzehrt. Der Haß kann aber, obwohl er als Richtung
gegen den Feind conſtant gewordener Zorn iſt, aus einem ſittlichen
Kerne, aus der Liebe des Guten fließen und daher zwar ſtetig ſeyn,
aber doch nur bei gegebenem Anlaſſe hervortreten. Dieſer Haß iſt ein
weſentliches Moment im ſittlichen Pathos, das im jetzigen Zuſammenhang
zwar als ſolches noch nicht aufgetreten iſt, aber die Kraft der Leiden-
ſchaft als Unterlage und ihm beſtimmtes Organ ſich vorausſchickt. Der
ſchlechte Haß iſt der verbiſſene und ſein Object iſt, weil er nicht aus
dem Geiſte fließt, keine geiſtige (böſe) Allgemeinheit, ſondern eine Einzel-
heit. Kant hat dieſen gemeinen Haß im Auge, wenn er (Anm. zu
§. 29 a. a. O.) behauptet, der Haß könne niemals erhaben genannt
werden. Eine andere Erſcheinung, das Laſter, iſt im §. nicht er-
wähnt worden. Es iſt das Habituell werden eines auf Genuß gerichteten
Triebs, und die Triebe des bloſen Genuſſes ſind zu gering, um im
Erhabenen erwähnt zu werden, ſie gehören in’s Komiſche Die neuere
Tragödie hat freilich ſogar das bleierne, ſelbſt des Reizes der Sinnlich-
keit baare, hohle und arſenikaliſche Laſter des Spiels zum tragiſchen
Hebel benützt: eine der ſchlimmſten Verirrungen.
Die größeren Leidenſchaften, von welchen hier die Rede iſt,
können zwar auch in ihrer Häßlichkeit noch furchtbar ſeyn und ſind eben
darum als äſthetiſcher Gehalt allerdings zuläßig. Aber in ihrer Unfreiheit
liegt dennoch bereits zu Tage, daß ſie in Wahrheit willenlos ſind, und da ſie
den Zuſchauer nöthigen, ſich auf den Willen zu beſinnen, der nicht Leiden-
ſchaft, ſondern reine Freiheit iſt, ſo fühlt ſich dieſer in dem unantaſtbaren
Heiligthum, das keine Drohung des Affects fürchtet. Das Furchtbare ver-
ſchwindet alſo und das nur Häßliche bleibt, d. h. die Leidenſchaft iſt als äſthe-
tiſcher Gegenſtand aufgehoben und ein anderer, die wahre Freiheit gefordert.
2. Dieſe, wie ſie nun ohne die Fülle der Leidenſchaft,
da die letztere ſo eben als häßlich verworfen wurde, auftritt,
iſt abſtract. Soll ſie äſthetiſch werden, ſo muß ſich die Leidenſchaft
mit ihr vereinigen, allein ſie ſteht jetzt nur äußerlich neben ihr; Gegen-
ſtand iſt alſo nunmehr die zwiſchen Leidenſchaft und reiner Freiheit
17*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/273>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.