druck der Unendlichkeit noch nicht die Anschauung eines in die Kraft selbst durch die Negation der Besinnung eintretenden Bruches in sich schloß, so hat dagegen das Pathos als wirklich geistige Macht die Negation in sich, wodurch es sich mit Bewußtseyn seinem Ausbruch entgegensetzen und über ihn stellen kann. Hieraus geht nun die wirklich negative und ungleich stärkere Form des sittlich Erhabenen hervor.
Um die starke Wirkung der ruhig drohenden Kraft sich zu vergegen- wärtigen, denke man z. B. an Volker und Hagen in der 29ten Aventiure des Nibelungenlieds. Die Stille vor einer Schlacht gehört hieher, sofern nun der Krieg als Kampf um sittliche Güter betrachtet wird. Daß das Pathos die Negation der Entgegensetzung in sich trägt, bedarf keines Be- weises, denn es ist eine selbstbewußte Kraft. Es gibt auch höhere Er- scheinungen drohender besonnener Kraft, als jene der Nibelungenhelden, wozu die Beispiele sich leicht darbieten. Der ganzen, nun eintretenden Sphäre des negativ Pathetischen kann man das bekannte Wort des Seneca vorsetzen: Ecce spectaculum dignum, ad quod respiciat intentus operi suo Deus: vir fortis cum mala fortuna compositus.
§. 112.
Diese negative Form setzt zunächst eine noch höhere Erscheinung des sittlichen Willens voraus, wodurch die, wie es schien, größtmögliche sittliche Stärke selbst besiegt wird. Allein die Betrachtung wendet sich jetzt nicht auf das thätige Subject in diesem Verhältniß; denn das leidende Subject nimmt, da es die Negativität der geistigen Unendlichkeit in sich trägt, durch einen Act der sittlichen Erhebung die zerstörende Macht mitten im Leiden, das ihm durch sie bereitet ist, in freier Anerkennung in sich herein, und nun mag das Leiden kommen, woher es mag, von der blinden Kraft, von der Leidenschaft, vom schwankenden, bösen, oder sittlich stärkeren Willen: das Subject erkennt es als gut an. Aber eben diese Seite führt von der vorliegenden Sphäre ganz ab und die letztere wird nur eingehalten, sofern die Anschauung bei dem leidenden Subjecte verweilt, wie es durch die Kraft der sittlichen Freiheit sein Leiden überwindet. Dieses Schauspiel des sittlichen Willens, der sich im Leiden be- währt, ist das negativ Pathetische.
Es ist ein Mangel der bisherigen ästhetischen Untersuchungen, daß sie die Nothwendigkeit der im §. enthaltenen Motivirung übersahen. Man
druck der Unendlichkeit noch nicht die Anſchauung eines in die Kraft ſelbſt durch die Negation der Beſinnung eintretenden Bruches in ſich ſchloß, ſo hat dagegen das Pathos als wirklich geiſtige Macht die Negation in ſich, wodurch es ſich mit Bewußtſeyn ſeinem Ausbruch entgegenſetzen und über ihn ſtellen kann. Hieraus geht nun die wirklich negative und ungleich ſtärkere Form des ſittlich Erhabenen hervor.
Um die ſtarke Wirkung der ruhig drohenden Kraft ſich zu vergegen- wärtigen, denke man z. B. an Volker und Hagen in der 29ten Aventiure des Nibelungenlieds. Die Stille vor einer Schlacht gehört hieher, ſofern nun der Krieg als Kampf um ſittliche Güter betrachtet wird. Daß das Pathos die Negation der Entgegenſetzung in ſich trägt, bedarf keines Be- weiſes, denn es iſt eine ſelbſtbewußte Kraft. Es gibt auch höhere Er- ſcheinungen drohender beſonnener Kraft, als jene der Nibelungenhelden, wozu die Beiſpiele ſich leicht darbieten. Der ganzen, nun eintretenden Sphäre des negativ Pathetiſchen kann man das bekannte Wort des Seneca vorſetzen: Ecce spectaculum dignum, ad quod respiciat intentus operi suo Deus: vir fortis cum mala fortuna compositus.
§. 112.
Dieſe negative Form ſetzt zunächſt eine noch höhere Erſcheinung des ſittlichen Willens voraus, wodurch die, wie es ſchien, größtmögliche ſittliche Stärke ſelbſt beſiegt wird. Allein die Betrachtung wendet ſich jetzt nicht auf das thätige Subject in dieſem Verhältniß; denn das leidende Subject nimmt, da es die Negativität der geiſtigen Unendlichkeit in ſich trägt, durch einen Act der ſittlichen Erhebung die zerſtörende Macht mitten im Leiden, das ihm durch ſie bereitet iſt, in freier Anerkennung in ſich herein, und nun mag das Leiden kommen, woher es mag, von der blinden Kraft, von der Leidenſchaft, vom ſchwankenden, böſen, oder ſittlich ſtärkeren Willen: das Subject erkennt es als gut an. Aber eben dieſe Seite führt von der vorliegenden Sphäre ganz ab und die letztere wird nur eingehalten, ſofern die Anſchauung bei dem leidenden Subjecte verweilt, wie es durch die Kraft der ſittlichen Freiheit ſein Leiden überwindet. Dieſes Schauſpiel des ſittlichen Willens, der ſich im Leiden be- währt, iſt das negativ Pathetiſche.
Es iſt ein Mangel der bisherigen äſthetiſchen Unterſuchungen, daß ſie die Nothwendigkeit der im §. enthaltenen Motivirung überſahen. Man
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es ſich mit Bewußtſeyn ſeinem Ausbruch entgegenſetzen und über ihn ſtellen
kann. Hieraus geht nun die wirklich negative und ungleich ſtärkere Form des
ſittlich Erhabenen hervor.
Um die ſtarke Wirkung der ruhig drohenden Kraft ſich zu vergegen-
wärtigen, denke man z. B. an Volker und Hagen in der 29ten Aventiure
des Nibelungenlieds. Die Stille vor einer Schlacht gehört hieher, ſofern
nun der Krieg als Kampf um ſittliche Güter betrachtet wird. Daß das
Pathos die Negation der Entgegenſetzung in ſich trägt, bedarf keines Be-
weiſes, denn es iſt eine ſelbſtbewußte Kraft. Es gibt auch höhere Er-
ſcheinungen drohender beſonnener Kraft, als jene der Nibelungenhelden,
wozu die Beiſpiele ſich leicht darbieten. Der ganzen, nun eintretenden
Sphäre des negativ Pathetiſchen kann man das bekannte Wort des Seneca
vorſetzen: Ecce spectaculum dignum, ad quod respiciat intentus operi
suo Deus: vir fortis cum mala fortuna compositus.
§. 112.
Dieſe negative Form ſetzt zunächſt eine noch höhere Erſcheinung des
ſittlichen Willens voraus, wodurch die, wie es ſchien, größtmögliche ſittliche
Stärke ſelbſt beſiegt wird. Allein die Betrachtung wendet ſich jetzt nicht auf
das thätige Subject in dieſem Verhältniß; denn das leidende Subject nimmt,
da es die Negativität der geiſtigen Unendlichkeit in ſich trägt, durch einen Act
der ſittlichen Erhebung die zerſtörende Macht mitten im Leiden, das ihm durch
ſie bereitet iſt, in freier Anerkennung in ſich herein, und nun mag das Leiden
kommen, woher es mag, von der blinden Kraft, von der Leidenſchaft, vom
ſchwankenden, böſen, oder ſittlich ſtärkeren Willen: das Subject erkennt es als
gut an. Aber eben dieſe Seite führt von der vorliegenden Sphäre ganz ab
und die letztere wird nur eingehalten, ſofern die Anſchauung bei dem leidenden
Subjecte verweilt, wie es durch die Kraft der ſittlichen Freiheit ſein Leiden
überwindet. Dieſes Schauſpiel des ſittlichen Willens, der ſich im Leiden be-
währt, iſt das negativ Pathetiſche.
Es iſt ein Mangel der bisherigen äſthetiſchen Unterſuchungen, daß ſie
die Nothwendigkeit der im §. enthaltenen Motivirung überſahen. Man
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/282>, abgerufen am 24.11.2024.
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