Jean Paul (Vorsch. d. Aesth. Thl. 1, §. 58) noch einmal gethan hat, nachdem schon durch Lessing, ja durch Aristoteles die Verhandlung über diese leicht zu lösende Frage als beendigt betrachtet werden konnte. Er führt neben Epaminondas, Sokrates, Jesus vorzüglich weibliche Charaktere an, die Töchter des Oedipus, Göthes Iphigenie und Leonore u. s. w. Er vergißt, daß der Mann immer nur ein bestimmtes Pathos zu dem seinigen machen kann und schon dadurch schuldig wird, daß das Weib schon durch sein Geschlecht auf bestimmte Tugenden beschränkt ist. Jesus ist nicht zu erwähnen; denn die religiöse Vorstellung hat ihn freilich zu dem absoluten Widerspruch erhoben, Absolutes und Subject zugleich zu seyn, aber es braucht keines Beweises, daß dieser Widerspruch, der als Existenz undenkbar ist, auch die ästhetische Darstellung ausschließt, denn was nicht seyn kann, ist auch nicht darzustellen. Jean Paul kannte die Wahrheit nicht: determinatio est negatio. Er kannte ebendarum das Tragische nicht, und dies lag in der ganzen subjectiven Reflexionsweise der Zeit, wie man auch aus Schillers Behauptung sieht, daß der wahrhaft tragische Held unschuldig seyn müsse. Schiller hat (vergl. §. 112, Anm.) überhaupt in seinen beiden Abhandlungen: Ueber den Grund des Vermögens an trag. Gegenständen, und: Ueber die tragische Kunst in der Meinung, das Tragische zu erörtern, nur das negativ Pathetische, eine Form des subjectiv Erhabenen, dargestellt. Es gilt aber nicht nur von der Tragödie als Kunstform, sondern von allem Tragischen, wenn Aristoteles (Poetik 6) sagt, jene sey nicht eine Darstellung von Menschen, sondern von Handlungen, von Leben, Glück und Unglück. Er drückt dies in seiner Weise realistisch aus, wo wir sagen würden: das subjectiv Erhabene ist ein verschwindendes Moment in der Bewegung des Tragischen. Schillern folgte Wilhelm Schlegel (Vorles. über dramat. Kunst und Liter. 3. Vorles.), der zwar auch eine höhere Ordnung erwähnt, die sich im Gang der Begebenheiten geheimnißvoll offenbare, dann aber ganz die Schiller'sche Begriffs- bestimmung aufnimmt, wonach im Tragischen die sittliche Freiheit sich im Widerstreit mit den sinnlichen Trieben bewährt. Was nun die Triebe feindlich berührt, nannte man als Ausfluß des unvermeidlichen Natur- gesetzes Nothwendigkeit und schlug sich so mit den Begriffen der Freiheit und Nothwendigkeit im Trüben umher, bis Solger Licht brachte. Vergl. die Schrift des Verf. über das Erhabene und Komische S. 87 -- 89 und Solgers Kritik von W. Schlegels ebengenannten Vorles. Nachgel. Werke B. 2.
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Jean Paul (Vorſch. d. Aeſth. Thl. 1, §. 58) noch einmal gethan hat, nachdem ſchon durch Leſſing, ja durch Ariſtoteles die Verhandlung über dieſe leicht zu löſende Frage als beendigt betrachtet werden konnte. Er führt neben Epaminondas, Sokrates, Jeſus vorzüglich weibliche Charaktere an, die Töchter des Oedipus, Göthes Iphigenie und Leonore u. ſ. w. Er vergißt, daß der Mann immer nur ein beſtimmtes Pathos zu dem ſeinigen machen kann und ſchon dadurch ſchuldig wird, daß das Weib ſchon durch ſein Geſchlecht auf beſtimmte Tugenden beſchränkt iſt. Jeſus iſt nicht zu erwähnen; denn die religiöſe Vorſtellung hat ihn freilich zu dem abſoluten Widerſpruch erhoben, Abſolutes und Subject zugleich zu ſeyn, aber es braucht keines Beweiſes, daß dieſer Widerſpruch, der als Exiſtenz undenkbar iſt, auch die äſthetiſche Darſtellung ausſchließt, denn was nicht ſeyn kann, iſt auch nicht darzuſtellen. Jean Paul kannte die Wahrheit nicht: determinatio est negatio. Er kannte ebendarum das Tragiſche nicht, und dies lag in der ganzen ſubjectiven Reflexionsweiſe der Zeit, wie man auch aus Schillers Behauptung ſieht, daß der wahrhaft tragiſche Held unſchuldig ſeyn müſſe. Schiller hat (vergl. §. 112, Anm.) überhaupt in ſeinen beiden Abhandlungen: Ueber den Grund des Vermögens an trag. Gegenſtänden, und: Ueber die tragiſche Kunſt in der Meinung, das Tragiſche zu erörtern, nur das negativ Pathetiſche, eine Form des ſubjectiv Erhabenen, dargeſtellt. Es gilt aber nicht nur von der Tragödie als Kunſtform, ſondern von allem Tragiſchen, wenn Ariſtoteles (Poetik 6) ſagt, jene ſey nicht eine Darſtellung von Menſchen, ſondern von Handlungen, von Leben, Glück und Unglück. Er drückt dies in ſeiner Weiſe realiſtiſch aus, wo wir ſagen würden: das ſubjectiv Erhabene iſt ein verſchwindendes Moment in der Bewegung des Tragiſchen. Schillern folgte Wilhelm Schlegel (Vorleſ. über dramat. Kunſt und Liter. 3. Vorleſ.), der zwar auch eine höhere Ordnung erwähnt, die ſich im Gang der Begebenheiten geheimnißvoll offenbare, dann aber ganz die Schiller’ſche Begriffs- beſtimmung aufnimmt, wonach im Tragiſchen die ſittliche Freiheit ſich im Widerſtreit mit den ſinnlichen Trieben bewährt. Was nun die Triebe feindlich berührt, nannte man als Ausfluß des unvermeidlichen Natur- geſetzes Nothwendigkeit und ſchlug ſich ſo mit den Begriffen der Freiheit und Nothwendigkeit im Trüben umher, bis Solger Licht brachte. Vergl. die Schrift des Verf. über das Erhabene und Komiſche S. 87 — 89 und Solgers Kritik von W. Schlegels ebengenannten Vorleſ. Nachgel. Werke B. 2.
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Jean Paul (Vorſch. d. Aeſth. Thl. 1, §. 58) noch einmal gethan hat,
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über dieſe leicht zu löſende Frage als beendigt betrachtet werden konnte.
Er führt neben Epaminondas, Sokrates, Jeſus vorzüglich weibliche
Charaktere an, die Töchter des Oedipus, Göthes Iphigenie und Leonore
u. ſ. w. Er vergißt, daß der Mann immer nur ein beſtimmtes Pathos
zu dem ſeinigen machen kann und ſchon dadurch ſchuldig wird, daß das
Weib ſchon durch ſein Geſchlecht auf beſtimmte Tugenden beſchränkt iſt.
Jeſus iſt nicht zu erwähnen; denn die religiöſe Vorſtellung hat ihn freilich
zu dem abſoluten Widerſpruch erhoben, Abſolutes und Subject zugleich
zu ſeyn, aber es braucht keines Beweiſes, daß dieſer Widerſpruch, der
als Exiſtenz undenkbar iſt, auch die äſthetiſche Darſtellung ausſchließt,
denn was nicht ſeyn kann, iſt auch nicht darzuſtellen. Jean
Paul kannte die Wahrheit nicht: determinatio est negatio. Er kannte
ebendarum das Tragiſche nicht, und dies lag in der ganzen ſubjectiven
Reflexionsweiſe der Zeit, wie man auch aus Schillers Behauptung ſieht,
daß der wahrhaft tragiſche Held unſchuldig ſeyn müſſe. Schiller hat
(vergl. §. 112, Anm.) überhaupt in ſeinen beiden Abhandlungen: Ueber
den Grund des Vermögens an trag. Gegenſtänden, und: Ueber die
tragiſche Kunſt in der Meinung, das Tragiſche zu erörtern, nur das
negativ Pathetiſche, eine Form des ſubjectiv Erhabenen, dargeſtellt.
Es gilt aber nicht nur von der Tragödie als Kunſtform, ſondern von
allem Tragiſchen, wenn Ariſtoteles (Poetik 6) ſagt, jene ſey nicht
eine Darſtellung von Menſchen, ſondern von Handlungen, von Leben,
Glück und Unglück. Er drückt dies in ſeiner Weiſe realiſtiſch aus, wo
wir ſagen würden: das ſubjectiv Erhabene iſt ein verſchwindendes
Moment in der Bewegung des Tragiſchen. Schillern folgte Wilhelm
Schlegel (Vorleſ. über dramat. Kunſt und Liter. 3. Vorleſ.), der zwar
auch eine höhere Ordnung erwähnt, die ſich im Gang der Begebenheiten
geheimnißvoll offenbare, dann aber ganz die Schiller’ſche Begriffs-
beſtimmung aufnimmt, wonach im Tragiſchen die ſittliche Freiheit ſich
im Widerſtreit mit den ſinnlichen Trieben bewährt. Was nun die Triebe
feindlich berührt, nannte man als Ausfluß des unvermeidlichen Natur-
geſetzes Nothwendigkeit und ſchlug ſich ſo mit den Begriffen der Freiheit
und Nothwendigkeit im Trüben umher, bis Solger Licht brachte. Vergl.
die Schrift des Verf. über das Erhabene und Komiſche S. 87 — 89
und Solgers Kritik von W. Schlegels ebengenannten Vorleſ. Nachgel.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/289>, abgerufen am 23.11.2024.
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